Читать книгу Im Schatten des Betrügers - Gretchen Hilbrands - Страница 13
ОглавлениеOstfriesland - Dienstag, 26. Oktober
Der Dienstagmorgen kam und damit die standesamtliche Hochzeit. Bella hatte ihr Kleid von Dior angezogen, sich geschminkt und zurechtgemacht und sah unglaublich attraktiv aus. Bodo sah sie fasziniert an und dieses Mal war seine Gefühlsregung echt. Mit dieser Frau hätte er wirklich Staat machen können, so dachte er noch, während er sie durch das Foyer des Hotels führte. Auch Bodo hatte sich dem Anlass entsprechend perfekt gekleidet und übergab Bella einen wunderschönen Hochzeitsstrauß. Ein Traumpaar, die zwei. Während sie durch die Eingangshalle schritten, fingen ein paar der Hotelgäste an zu klatschen. Andere stimmten mit ein und bald erklang lauter wohlwollender Applaus.
Bella kam sich vor wie eine Prinzessin. „Richtig kindisch“, dachte sie, „aber auch ungemein wohltuend.“ Lange hatte sie nicht mehr so eine Lebensfreude gespürt. Sie hatte nie damit gerechnet, dass ihr das Glück einmal in dieser Fülle begegnen sollte.
Doch es kam noch besser. Statt zu Bellas Auto zu gehen, führte Bodo sie rund um das Hotel herum. Und dort stand, unglaublich, aber wahr, eine luxuriöse Hochzeitskutsche, ein Zweispänner. Schon als Kind hatte Bella sich sehnlichst gewünscht, einmal mit einer Hochzeitskutsche zur eigenen Trauung gefahren zu werden. Ein Traum wurde wahr. Doch woher wusste Bodo davon? Es war einfach alles wie in einem Märchen. Nie hätte Bella gedacht, dass ein Mann so empathisch sein könnte wie Bodo. Er schien ihr jeden Herzenswunsch zu erfüllen. Und das Unfassbare war, dass er zu wissen ahnte, was sie, die nach außen kühl wirkende, sachlich denkende und aufgeräumt auftretende Frau, im Innersten bewegte.
Die Kutsche und die Pferde sowie das Hochzeitspaar zogen viele fröhliche Blicke auf sich. Ostfriesen, die von Haus aus jedem ein freundliches „Moin“ zuriefen, und auch Touristen, die ihnen nicht nachstehen wollten und ein „Moin-Moin“ daraus werden ließen und dadurch sofort als Touristen erkannt wurden, blieben am Straßenrand stehen und winkten Bella und Bodo fröhlich zu. Und die beiden winkten fröhlich und genüsslich zurück. Der Kutscher ließ seine Gerte durch die Luft schnalzen und grinste ebenfalls breit und gut gelaunt. Auch für ihn waren solche Momente kostbar und durchschnitten das Einerlei seines sonstigen Arbeitstages.
Gut fünf Kilometer später kam das Gespann in Pilsum am rot-gelb-rot geringelten Leuchtturm zum Stehen, der auch Ottoturm hieß. Benannt nach Otto Waalkes, dem Komiker, der in der nahegelegenen Stadt Emden geboren und aufgewachsen war und der dem 12 m hohen Pilsumer Leuchtturm in seinem Film Otto - Der Außerfriesische zur Berühmtheit verhalf. In diesem Film wohnte Otto im Pilsumer Leuchtturm, der dadurch zum Wahrzeichen geworden war.
Bella hatte den Film mit Heike, Freya und Daike vor vielen Jahren im Kino angesehen und später Bodo davon erzählt. Der Gedanke, im Otto-Turm zu heiraten, war so außergewöhnlich, dass sie ihn einfach nur gut fand. Wer von ihrer Familie, ihren Freunden oder Bekannten auf Sylt würde ihr das schon zutrauen? Niemand. Und allein das war schon phänomenal.
Die Kutsche hielt und Bodo, charmant wie er nun einmal war, half seiner bald Angetrauten, aus derselbigen auszusteigen und mit ihm den letzten kurzen Weg den Deich hochzulaufen. Würdevoll, voller Genuss, auf das, was nun kommen sollte, und voller Freude auf das, was sich in Kürze ereignen würde. Beide beflügelte dieses gemeinsame Abenteuer, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven.
Der kleine Leuchtturm war gar nicht so klein, wie Bella ihn sich vorgestellt hatte, und die 58 Stufen zum Trauzimmer immer schön in der Runde gelaufen, brachten Bodo und Bella gleichermaßen zum Lachen. Oben angekommen wurden sie von ihrem Standesbeamten, Jonas Weber, den Bodo ja kannte, begrüßt und die Zeremonie fand feierlich und durch passende Musik untermalt statt. Es war berauschend, wunderschön, nahezu himmlisch …
Bella genoss jeden Moment dieser besonderen Feier, die ermutigenden, wertschätzenden und festlichen Worte des Standesbeamten, der sie beide persönlich ansprach. Bodo hatte einen richtig guten Griff mit diesem Standesbeamten getan. Jonas Weber war voll in seinem Element und seine Worte gingen zu Herzen. Bella war überglücklich.
Das Einzige, was Bella störte, war, dass es keinen Fotografen gab und dass Jonas Weber mit Bellas Kamera und Bodos Handy Fotos machen musste. So hatten sie kein Foto, auf dem ihr Standesbeamter mit drauf war. Aber immerhin verfügten nun sowohl Bodo als auch Bella über wunderschöne Aufnahmen, die sie dann ja beizeiten in Wetzlar beim Fotografen zu einem persönlichen Hochzeitsbuch gestalten lassen konnten. Kaum hatte Bella diesen Gedanken bewegt, als auch schon ihre Unterschrift das Eheabkommen besiegeln sollte: Frau Isabell von Hohenstedt geborene Boysen. Und Bella schwebte an der Seite ihres Bodos in voller Glückseligkeit. Einfach traumhaft das Ganze. Was für ein Liebeshappyend.
Das Einzige, was Bella wirklich traurig machte, war, das Bodo noch am selben Tag Richtung Süddeutschland fahren musste, um seinen beruflichen Verpflichtungen nachzukommen. Er hatte ihr das ja auf Sylt schon gesagt, trotzdem, gerade jetzt hätte sie so gerne als Ehepaar noch wenigstens ein paar Tage mit ihm gemeinsam verbracht. Allein der Gedanke, dass sie bald für immer zusammenwohnen würden, versöhnte sie.
Immerhin hatte er ihr versprochen, dass er in Wetzlar vorbeifahren würde, um sich das Haus anzuschauen, mit Franka Bosch zu reden und ein paar Fotos für Bella zu machen. Das bedeutete, das Projekt Wetzlar konnte beginnen. Bodo hatte ihr ja schon auf der Fahrt von Sylt nach Ostfriesland versichert, dass auf Franka Bosch total Verlass wäre und wenn sie ein Haus prämiere, dieses auch der Empfehlung gerecht werden würde. Nicht eine Sekunde zweifele er daran, dass der Hauskauf scheitern könnte, so hatte er ihr garantiert. Im Gegenteil, ihre gemeinsame Zukunft sei gesichert. Letztendlich müssten sie nur noch die restliche Zahlung vornehmen, Maler- und eventuelle Reparaturarbeiten in Auftrag geben. Aber zuerst wolle er sich das Haus ansehen. Spätestens am morgigen Tag.
„Lass uns schnell sein, Bella, und entschlussfreudig. Wenn das Haus uns auf Dauer doch nicht gefallen sollte, können wir es immer noch gewinnbringend verkaufen. Der Immobilienmarkt brummt derzeit und so schnell wird sich das bei den niedrigen Zinsen und der Wohnungsnot nicht ändern.“
Das hatte auch Bella als Geschäftsfrau überzeugt und sie hatte ihm in allem zugestimmt. Sie waren sich einig, dass es ausgesprochen schade war, dass Bella zuerst noch nach Sylt zurück musste, um einige dringende und nicht aufschiebbare Angelegenheiten zu regeln, und Bodo nicht gleich begleiten konnte.
Auch Bodo drückte sein äußerstes Bedauern aus und zeigte sich tieftraurig darüber, dass er als frisch angetrauter Ehemann ohne seine Liebste fahren müsse, das wiederholte er mehrmals. Sogar einzelne Tränen liefen ihm dabei über die Wangen. Aber es gäbe ja immerhin Licht am Horizont. Bald sei ja November und Bella habe ab dem 08.11. doch drei Wochen frei, dann könne sie in jedem Fall zu ihm nach Wetzlar kommen und hoffentlich auch ganz bei ihm bleiben, so hatte er zerknirscht gemeint. Aber zuerst müssten sie eben doch noch getrennte Wege gehen. Leider. Die jetzige Entwicklung sei ja auch wie ein plötzlicher Vulkanausbruch über sie hereingebrochen und die Ereignisse hätten sich nur so überschlagen. Wie gut, so dachte Bodo in diesem Moment, dass Bella keine Gedanken lesen kann.
Bella hatte ihm die Tränen von der Wange gewischt und sich bei Bodo angeschmiegt. Auch sie wäre am liebsten sofort mit nach Wetzlar gegangen und zumindest jetzt erst einmal nicht nach Sylt zurückgekehrt. Aber sie musste direkt vor Ort regeln, was zu regeln war, und sich überlegen, wie und was sie in Zukunft zu tun gedachte. Nur eins wusste sie, sie musste einiges mit Raik besprechen. Möglichst schnell. Ihr graute davor. Das Geschäftliche und Finanzielle mussten neu bewertet und geordnet und die Zukunft der Stores musste besprochen werden. Oder besser, ihr Anteil daran und ihre Rolle dabei. Bella war sich überhaupt nicht sicher, wie sie damit verfahren sollte. Aber es war einleuchtend, sie und Raik brauchten klare und geordnete Verhältnisse. Und auch das war unstrittig, sie und Bodo brauchten Geld, viel Geld, um in Wetzlar wieder neu beginnen zu können.
Auch ihre private Situation musste Bella neu ordnen. Möglicherweise ihr Haus in Keitum verkaufen oder auch Geschäftsanteile an Raik. Sie würde in Zukunft ja doch nicht mehr auf Sylt arbeiten und leben. Aber irgendetwas anderes wollte sie sich beruflich natürlich aufbauen. Was, wusste sie noch nicht, hatte dies weder durchdacht noch reflektiert. Das Ganze hatte sich einfach so unglaublich schnell entwickelt. Bella, ganz Norddeutsche, dachte bildlich gesehen im Gegensatz zu Bodo eher an einen plötzlich hereinbrechenden Orkan als an einen ausbrechenden Vulkan. Stürmischen Wind liebte Bella sehr, einen Orkan aber nicht. Nein, auf keinen Fall, der war selbst Bella einfach zu gefährlich …
So kam es, wie es kommen musste. Bella und Bodo konnten immerhin noch ein paar wunderschöne Stunden miteinander genießen. Bella brachte Bodo am frühen Nachmittag noch nach Leer zum Bahnhof und gemeinsam erkundeten sie den schönen Hafen in Leer und die reizende Altstadt. In der Brunnenstraße stießen sie auf das Teemuseum, an dessen Tür ein „wegen Krankheit heute geschlossen“- Schild hing, was Bella sehr bedauerte. Doch schon wenige Häuser weiter wurden sie versöhnt durch den Laden von J. Bünting Coloniale, wo es den echten ostfriesischen Tee und reichliches Zubehör, ostfriesisches Teegeschirr und alles, was das Herz begehrte, nicht nur zu kaufen gab. Nein, hier konnte man tatsächlich die ostfriesische Teezeremonie auch im Original genießen.
Bella hatte auch in anderen Gegenden in Deutschland schon in Hotels und Restaurants ostfriesischen Tee bestellt und sich über die lieblose Weise gewundert, wie er angeboten wurde. Geschmeckt hatte er ihr nicht wirklich. Hier in Leer jedoch wurde der Tee regelrecht zelebriert: Das original ostfriesische Teegeschirr mit ostfriesischer Teerose, das Ziehen auf einem dazu passenden Teestövchen, das Gießen durch ein spezielles Teesieb … Gemütlich, feinsinnig, beruhigend - eine Auszeit der besonderen Art. Der aufgegossene Tee hatte eine Qualität, wie man ihn wohl nur hier in Ostfriesland zubereiten konnte. Das passende Wasser, die von Bella bevorzugte Teesorte Bünting Privat, der obligatorische Kluntje, den sie normalerweise verschmähte, und das kleine Wölkchen Teesahne - perfekt. Ein echter Hochgenuss! Bella liebte diese Zeremonie der Ostfriesen sehr.
Bodo fand das ostfriesische Teegeschirr niedlich und entzückend, aber er schmecke keinen großen Unterschied zum Teebeuteltee, worauf ihn Bella mit großen Augen erstaunt ansah und lachend meinte, sie würde ihm auch in Hessen diese kulinarische Köstlichkeit anbieten und ihn schon davon zu überzeugen wissen, so sie denn herausfände, welcher Tee von Bünting zu der Wassersorte in Wetzlar passe. Eine echte Ostfriesin habe ihr mal davon auf Sylt erzählt, dass eben alles zusammenpassen müsse. So auch das Wasser zur jeweiligen Teesorte. Seitdem achte sie auch auf solche Feinheiten und es zahle sich aus. Nach diesem Statement von Bella mussten beide herzhaft lachen und sahen einander verliebt an. Sich im Inneren bewusst, dass der Abschied nahte.