Читать книгу Im Schatten des Betrügers - Gretchen Hilbrands - Страница 9
ОглавлениеSylt - Samstag, 23. Oktober
Das kurze Telefonat, das Bodo an genau diesem Tag mit Bella führen konnte, hatte ihm gezeigt, dass der Zeitpunkt reif war für seine nächsten geplanten Schritte, und Bodo zögerte nicht mehr und machte sich sofort auf nach Sylt, um Tatsachen zu schaffen. Diese Enttäuschungswut von Bella galt es zu nutzen. Sie lechzte geradezu nach Verständnis, nach Liebe und Geborgenheit, nach jemandem, der nur ihr gehörte.
Und genau dieser Jemand wollte Bodo sein. Nun galt es, einen Keil zwischen Bella, ihre Familie und ihre Freunde zu treiben. Nur so, so wusste Bodo aus seiner reichhaltigen Erfahrung, würde es ihm gelingen, ihr bedingungsloses Vertrauen auch in finanzieller Hinsicht noch weiter ausbauen zu können. Die Stichworte Deutsche Bank, Anwalt und Berater des Aufsichtsrats, als die ihn die Website der Deutschen Bank auswies, untermauerten sein Unterfangen natürlich. Bodos Sachen waren schnell gepackt. Dieses Mal nahm er den Flieger. Nur so konnte er Bella noch am selben Tag erreichen.
Bella hatte einen schweren Tag hinter sich. Sie war todmüde, ausgelaugt und tief enttäuscht von Raik und damit auch von Daike, die, so nahm Bella an, selbstverständlich auf der Seite ihres Mannes stehen würde. Aber auch von ihrer Freundin Freya, die nachmittags im Store auftauchte und bei einem schnellen Kaffee von dem Streitgespräch mit Raik erfuhr und sich tatsächlich auf seine Seite zu stellen wagte. Wobei sie seine Ausdrücke zwar ausdrücklich missbilligte, aber dennoch für ihn Partei ergriff. Bella fühlte sich alleingelassen und zutiefst missverstanden. Wieder machte sich ein Gefühl der Leere und Perspektivlosigkeit in Bella breit. Wenn doch nur Bodo in der Nähe wäre. Aber der war weit weg und noch nicht einmal telefonisch zu erreichen. Sie hatte es des Öfteren am Abend versucht. Vergeblich. Bella weinte bitterlich.
Bodo wusste genau, welche Gefühle orkangleich in Bella tobten. Manche der notwendigen Stellschrauben hatte er in Kraft gesetzt, manches angestoßen in Gesprächen mit Bella, hier und da vorsichtig und undurchschaubar Zweifel gesät in Bezug auf ihre Familie und ihre Freunde. Und dann hatte er sich raffiniert und behutsam zugleich als Lösung all ihrer momentanen und zukünftigen Probleme angeboten. Die Frucht war reif. Er würde sie ernten. Und Bella würde es noch nicht einmal bemerken.
Mittlerweile war es später Abend geworden. Auch Raik war gerade eben erst nach Hause gekommen, wo ihn seine Kinder stürmisch in Empfang nahmen. Er hatte sie längst im Bett vermutet, aber Daike hatte den beiden versprochen, dass sie ihren Vater wenigstens am Abend noch zu Gesicht bekommen würden. Besonders Tomke, die eine besondere Vater-Tochter-Beziehung hatte und ein wenig eifersüchtig auf das Baby ins Mamas Bauch war, dies aber natürlich niemals zugeben würde, hatte sehnsüchtig auf ihren Vater gewartet. Ins Geschäft zu gehen, um Raik dort anzutreffen, hatte die Mutter ihr tags zuvor schon verboten. Es machte bei den betuchten Kunden einfach keinen guten Eindruck, wenn sie lautstark und vom Spielen verschmutzt in den elitären Store käme, hatte auch Raik immer wieder betont. Daher hatte Daike zugestimmt, dass die beiden Kinder auch am späten Abend noch auf ihren Vater warten durften. Morgen war ja schließlich auch Sonntag.
Kaum trat Raik durch die Tür, flog ihm Tomke auch schon entgegen, worauf Raik sie fröhlich in die Arme nahm. Raik liebte seine Familie über alles. Das Glück lag für ihn hier auf Sylt, mitten im Kreis seiner bald drei Kinder und seiner Daike. Dafür zu arbeiten, lohnte sich allemal. Für Raik war das elterliche Erbe die Konstante im Leben, die ihm genau dieses Glück ermöglichte. Für Raik gab es keine Option, irgendwo anders zu leben, und so genoss er jedes Zusammensein, auch wenn das in der Hauptsaison häufig dürftig ausfiel.
Nachdem die Kinder und vor allem Tomke ausgiebig erzählt und noch genascht hatten, während Raik zu Abend aß, kam der Wink mit dem Zaunpfahl, dass es allmählich Zeit fürs Zubettgehen sei. Worauf auch beide Kinder widerstrebend die Küche verließen. Endlich konnte Raik Daike von dem Streit mit Bella, ihrem komischen Verhalten und Getue, ihrer Unzufriedenheit, ihrer Wut und alles, was ihm sonst noch einfiel, erzählen. Besonders von ihrem Gerede über Bodo war er fürchterlich genervt. Daike zeigte mehr Verständnis für Bella, gerade auch, weil diese endlich die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben schien. Allein Raik wollte davon nichts wissen.
„Bodo. Wer ist er denn schon? Wir wissen so gut wie nichts über ihn.“
„Na ja“, meinte Daike. „Wir wissen immerhin, dass er in Frankfurt am Main lebt und dort bei der Deutschen Bank arbeitet. Als Anwalt. Nun hab dich nicht so. Gönn ihr doch dieses Glück …“
„Ja, das sagt er zumindest. Aber ob das auch stimmt? Er taucht hier immer wieder kurz mal auf, verschwindet plötzlich und unerwartet und es liegt ihm nicht die Spur daran, Bellas Familie kennenzulernen. Ich finde das sehr merkwürdig, schon fast verdächtig.“
„Ja, ja, Raik, als ob du als eines deiner ersten Projekte versucht hättest, meine Familie kennenzulernen. Du hattest auch nie wirklich Zeit“, erinnerte ihn Daike und grinste amüsiert, als sie an Raiks zahlreiche Ausreden dachte, die er ihr gegenüber damals geäußert hatte.
„Das ist ja wohl was ganz Anderes“, kam dann auch prompt als Antwort. „Wer weiß, nachher ist Bodo noch ein Heiratsschwindler, der …“, er unterbrach sich, als er seine Tochter an der Tür stehen sah, die ihn mit weit aufgerissenen Augen bezirzend ansah.
„Paps, liest du mir noch eine Gute-Nacht-Geschichte vor?“ Heiratsschwindler war Bodo also möglicherweise. Das musste sie sich merken. Und unbedingt Tante Bella mal fragen. Was würde die wohl dazu sagen, dachte Tomke noch, während sie ihren Papa im Schlepptau zum Vorlesen schleifte.
Es läutete Sturm an der Haustür. Bella war todmüde und wollte sich eigentlich gerade hinlegen. Neben der Müdigkeit kam noch die tiefe Enttäuschung über Raik, sein Verhalten und das Nicht- Verstanden-Werden hinzu. Alles zusammen summierte sich zu einem angehäuften, giftigen und schmerzenden Cocktail innerer Verletzungen. Und nun auch noch das pausenlose Klingeln.
„Welcher Blödmann ist das denn?“, grunzte Bella genervt. „Wehe, wenn du das bist, Raik. Dann kannst du was erleben … Immer dieses bescheuerte Geschäft. Na, warte … “
Bella war mehr als verärgert. Konnte sie denn noch nicht einmal in ihrer eigenen Wohnung die Ruhe genießen, die ihr zustand? Und das nach dem katastrophalen Tag. So stürmte Bella zur Haustür, aufgeputscht durch ihre Wut und zu allem fähig. Sie riss die Tür auf und fing auch gleich an den Mann, der davorstand, mit rigorosen Worten abzubürsten, um dann im nächsten Moment erschrocken und erstaunt zugleich innezuhalten: „Bodo, du?“
„Ja, Bella, ich. Was für ein Empfang.“ Bodo lachte und nahm sie in die Arme. „Da komme ich wohl gerade zur richtigen Zeit, oder?“
Schon schob er die total verblüffte Bella in den Flur, schloss die Tür und küsste sie zärtlich. „Erzähl doch mal. Was macht dich so wütend?“
Bella brauchte keine weitere Aufforderung. Sie begann zu erzählen, kehrte ihren Gemütszustand nach außen und berichtete alles haarklein, was sie erlebt hatte und was in ihr vorging. Sie ließ nichts aus und war selbst erstaunt, wie tief die inneren Wunden in ihr rumorten.
Bodo schwieg währenddessen, ließ den ganzen Erguss über sich ergehen und warf nur hin und wieder ein paar aufmunternde Worte, auch ja nur alles zu sagen, ein.
„Es tut gut, sich auszusprechen, Bella. Das muss alles mal raus.“
In Wirklichkeit ging es Bodo keineswegs darum, dass Bella sich einfach mal aussprechen konnte. Wichtig war ihm, dass Bella überzeugt davon war, was sie sagte. Dadurch konnte er, Bodo, sein Ziel so schnell wie möglich erreichen. „Wie gut“, so dachte Bodo und klopfte sich gedanklich anerkennend auf die Schulter, „wie gut, dass ich geflogen bin. Wieder einmal alles richtig gemacht, Bodo. Dein Timing ist perfekt. Die Falle hat zugeschnappt.“ Fast hätte er gegrinst, konnte es sich aber im letzten Moment noch verkneifen.
In diesem Moment zog Bella das vernichtende Resümee: „Ich mag nicht mehr, Bodo. Immer diese Maloche. Sylt ist wunderschön, meine Heimat. Aber ist es das wert? Immer dieses Angebundensein, kaum Freizeit zu haben und dann die Vorwürfe von Raik und Daike … Ich … “
„Heirate mich, Bella. Heirate mich einfach. Und lass uns gemeinsam ein neues Leben beginnen.“
Bella sah ihn ernst an und wischte ihre Tränen fort. Das war die Chance. Die Chance auf ein Leben mit Bodo. Ein Neustart. Fernab von Sylt, aber mit neuen Möglichkeiten. Eigentlich war es ja genau das, was sie die letzten Tage und Wochen schon immer wieder gespürt hatte. Langsam leuchtete ihr Gesicht auf. Bodo nahm es in seine Hände und sprach ganz zärtlich und liebevoll: „Willst du meine Frau werden, Bella? Ich mag nicht mehr ohne dich leben. Wir gehören zusammen!“
„Ja, Bodo. Ja.“ Bella betonte jedes Ja, getrieben durch die Gefühle, die in ihr geschlummert hatten und die zur aufblühenden Erkenntnis heranwuchsen. „Ja, Bodo. Ich will mein weiteres Leben mit dir gemeinsam verbringen.“ Weg war alle Müdigkeit, weg aller Frust, alle Missstimmung. Neues wuchs in Bella auf. Neue Hoffnungen und neue Kraft für ein Leben mit Bodo. Und plötzlich entstanden Zukunftspläne, präzise, innovativ und miteinander. Das Glück war da und es lachte aus jeder einzelnen Ritze ihres Daseins. So glücklich war Bella schon lange nicht mehr gewesen. Gleich morgen, am Sonntag, wollten sie alles Weitere planen, alles besprechen und bedenken. Morgen.