Читать книгу Das Leuchten in mir - Grégoire Delacourt - Страница 18

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Am nächsten Tag ging ich wieder in die Rue de Béthune.

Ich zögerte jedoch, ehe ich das Restaurant betrat, beinahe hätte ich darauf verzichtet. Ich war eine verheiratete Frau, eine glückliche Mutter; noch war ich eine geliebte Frau, eine treue Frau. Warum sollte ich mich einem Unbekannten nähern, versuchen, von ihm bemerkt zu werden? Weshalb dieses Prickeln in meinen Fingern? In meiner Brust?

Meine Mutter fand immer strenge Worte für solche Frauen. Sie sagte »Nichtswürdige«. Sie sagte »Perverse«, sagte »Bordsteinschwalbe«, weil Hure ein schmutziges Wort ist.

Ich ging hinein. Trotz des Banns. Trotz der Verachtung.

Ich erspähte ihn sofort, hinter den lauten Gästen, den diskreten Treffen, den unaufmerksamen Kellnern.

Diesmal war er allein, und unsere Blicke trafen sich.

Seiner richtete sich eher zufällig auf mich, instinktiv, wie wenn man sich beobachtet fühlt. Wie ein Tier.

Als er mein Gesicht sah, als er spürte, dass nichts ihn bedrohte, und meine Unruhe verstand, wurde er sanfter.

Ich senkte die Augen, und es kam mir vor, als röteten sich meine Wangen.

Die Röte des Geständnisses, schon.

Als ich wieder versuchte, seinen Blick zu treffen, lächelte er, glaube ich, aber ich bin mir heute nicht mehr sicher, vielleicht lächelte er auch etwas später, als ich eine Haarsträhne beiseiteschob, um mein Gesicht zu zeigen, wie man einen Knopf am Kleid öffnet, um die Blässe, die Zartheit der Haut zu enthüllen, eine Spur zu legen.

Plötzlich war etwas Raubtierhaftes zwischen uns. Etwas Geschmeidiges, Flüssiges.

Unsere Blicke spielten, als verfolgten sie einen unsichtbaren Gummiball: Sie richteten sich immer neben den Punkt, an dem man mit ihnen rechnete, wie ein Kribbeln auf der Schulter, am Hals, auf der Stirn, dem Ohr, der Wange, noch nicht auf dem Mund, noch nicht auf der Hand, dann prallte der Ball gegen andere Stellen, auf ein Ohrläppchen, den Rand eines Nasenflügels, Almásys Bosporus, und schließlich auf die Lippen und schließlich auf die Finger, und seine waren schmal und lang, und mir wurde heiß, und ich glaube, ihm wurde auch heiß, dann richteten sich meine Augen erneut auf seinen Mund, den er am ersten Tag so behutsam abgetupft hatte, ließen sich dort nieder, wie ein Kopf an einer Schulter, legten sich auf die vollen Lippen, in denen dickflüssiges Blut pulsierte, und ich bekam Lust, in diese Lippen zu beißen, Lust, dieses Blut zu trinken, Lust auf Spritzer, Spuren, Narben, ich bekam Lust, seinen Mund zu küssen, noch nicht ihn, noch nicht den Mann, nur, seinen Mund zu verschlingen.

Danach sah er mich nicht mehr an.

Lächelnd aß er sein Mittag zu Ende. Er trank ein paar Schluck Wein, bestellte einen Espresso, immer noch lächelnd. Er sagte Espresso, wie ein Italiener. Und das Lächeln war sein erstes Wort, und ich war eine begehrte Frau.

Verloren.

Dieses verwirrende Schweigen hat mich erst überflutet, dann erfüllt. Mir gefiel diese Unterbrechung. Die Leere. Mir gefiel es, einen Moment nichts mehr zu sein, nur eine Frau, die vor ihrer Teetasse und einem unberührten Stück Tagestorte an der Bar sitzt. Mir gefiel, dass er nicht aufstand, nicht zu mir kam, keine ersten banalen Worte sprach, ein Kaffee, das ist nett, vielen Dank, nein danke, ich trinke Tee, ich nehme keinen Zucker, ich achte auf meine Linie, lieben Sie Brahms?, Sie erinnern mich an jemand. Manchmal sind die ersten Worte, die einen überwältigen, brutal, ungeduldig und schön, ich würde gern mit Ihnen schlafen, ich würde gern von Ihrem Bauch trinken, ich würde gern mit Ihnen fliehen, Sie verschlingen. Aber man spricht sie nicht aus, sie verbergen sich im Schweigen, sind in den Blick eingeschrieben, der sich nicht mehr auf dich richtet und dich trotzdem besser errät als alles andere, besser als du selbst, in den abwesenden Blick, der dich sieht, dich schon bis ins Innerste kennt. Es ist ein fast schmerzhaftes Gefühl.

Genau da, als er mich nicht mehr angesehen hat, als seine Augen nicht mehr mit mir gesprochen haben und ich wieder nur eine Möglichkeit war, nur eine Frau unter vielen, genau da spürte ich, dass ich mich ihm hingeben würde, falls er mich darum bat, dass ich mich wie eine Besiegte ergeben, ihn meine Schatten erobern lassen und uns beide in seinem Verlangen verlieren würde.

Dann stand ich auf und ging hinaus, ich spürte seinen Blick nicht auf meinem Rücken, meinem Nacken, meinem Hintern, ich spürte kein Brennen, ich drehte mich nicht um und ich lächelte in mich hinein, so wie er sicher im selben Moment vor seinem Espresso, den Henkel der kleinen dicken und heißen Tasse zwischen seinen langen schmalen Fingern, von denen ich träumte, dass sie sich auf meinen Hals legten, ihn sanft umklammerten, bis zur Ekstase.

Bis zum Taumel.

Bis zum Verderben.

Draußen lief ich wie eine Betrunkene, hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, zu rennen, zu fliehen, dem Wunsch, die Arme auszustrecken, um gerettet, dem angekündigten Untergang entrissen zu werden, und dem Wunsch, zu lachen und zu tanzen. Meine Tränen flossen, ich bekam zum ersten Mal Angst und mir wurde kalt, wie wenn man auf dem schmalen Grat eines Gipfels läuft und weiß, dass man in jedem Fall abstürzen wird.

Dass es vorbei ist.

Das Leuchten in mir

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