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DIE WAHRSAGERIN

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In einem Dorf bei einem kleinen Wald lebte einmal eine arme Frau. Sie schlug sich hungernd durchs Leben, wollte aber auch nicht betteln. Da sie eine findige Person war, kam ihr die Idee, Wahrsagerin zu werden.


So holte sie einmal die Ziege ihres Nachbarn und steckte sie in die Kohlengrube. Bald vermisste der Nachbar seine Ziege und suchte überall nach ihr, konnte sie allerdings nicht finden. Da lief ihm die Frau über den Weg.

„Hast du meine Ziege gesehen?“, fragte der Mann.

„Ich habe sie nicht gesehen“, antwortete sie, „aber wenn du möchtest, kann ich wahrsagen und sie auf diese Art finden.“

„Such mal, bitte!“, sagte der Mann.

„Gut! Komm!“

Die Frau ging in ihre Hütte, verweilte dort ein Stündchen und kam wieder raus. Draußen sagte sie zu ihrem Nachbarn:

„Deine Ziege ist in der Kohlengrube. Geh hin und hole sie.“

Der Mann ging dorthin und fand seine Ziege. Er bedankte sich bei der Frau und beschenkte sie noch obendrein. Und den anderen erzählte er, dass seine Nachbarin eine Wahrsagerin sei – von ihrer Hütte aus könne sie sagen, wohin eine Sache verschwunden sei.

Ein anderes Mal entwendete die Frau die Ochsen eines anderen Nachbarn und kettete sie an einem Baum im Wald an. Sie selbst versteckte sich in der Nähe. Nach einem Stündchen sah sie, wie ein bekannter Viehhändler aus der Stadt kam. Als er die Ochsen sah, schaute er sich um und nahm die Ochsen mit. Die Frau ging nach Hause zurück.

Nach einer Weile lief ihr Nachbar, der inzwischen seine Ochsen vermisste, zu ihr. „Ach, liebe Frau, meine Ochsen sind verschwunden“, jammerte der Mann. „Kannst du mir, Verehrte, wahrsagen, wo sie sein könnten?“

„Gut“, sagte die Frau. „Und was gibst du mir dafür? Ich kann nicht meine Zeit verschwenden. Ich muss mir das Brot verdienen.“

Der Mann versprach ihr einen Scheffel Roggen und noch einen Käse dazu. Die Frau ließ den Mann im Zimmer und sie selbst ging in die Kammer, um wahrzusagen. Nach einem Stündchen kam sie zurück und sagte: „Lauf schnell in die Stadt – bei Joshua findest du deine Ochsen. Beeile dich. Nicht, dass er sie in der Zeit schlachtet.“

Der Bauer sprang auf sein Pferd und ritt in die Stadt, wo er Joshua bei den Vorbereitungen zum Schlachten seiner Ochsen vorfand.

„Was machst du, Joshua? Das sind meine Ochsen!“

„Woher soll ich das wissen?“, sagte Joshua. „Ich habe sie im Wald angekettet gefunden und nahm sie mit, damit die Wölfe sie nicht auffressen.“

„Dann ist der Dieb wohl weggelaufen, als er dich gesehen hat“, sagte der Bauer. Er nahm seine Tiere mit und ging glücklich heim.


Beim dritten Mal entführte die Frau das Pferd eines anderen Bauern und kettete es an einer Eiche im Wald an. Auch dieser Bauer kam zu der Frau gelaufen und bat, sie möge ihm sagen, wo sein Pferd sei.

„Und was gibst du mir dafür?“, fragte die Frau.

„Du bekommst je einen Scheffel Roggen und Weizen. Sag mir bloß schnell, wo mein Pferd ist.“

„Nein, nein! Versprich mir einen Trog Weizenmehl und die Hälfte einer Speckseite.“

„Gut“, sagte der Mann. „Kriegst du alles! Mach bloß!“

Die Frau ging in die Kammer und kam nach einem Stündchen wieder heraus. „Geh in den Wald zu der Stelle, wo Eichen wachsen, dort findest du dein Pferd.“

„Dort müsste auch der Dieb sein“, sagte der Bauer. „Könnte ich mich auf die Lauer legen und ihn erwischen?“

„Nein, nein“, entgegnete die Frau. „Der Dieb hat vor lauter Angst das Pferd stehen gelassen. Er spürte meine Kraft und ist weggelaufen, damit du ihn mit dem Pferd nicht erwischst.“

Ab jetzt hatte sich das Gerücht ganz weit verbreitet, dass die Frau eine gute Wahrsagerin sei, allen die Wahrheit erzähle und alles vorhersage.

Bald darauf wurde ein Gutsherr von seinem Lakai und seinem Kutscher bestohlen. Sie stahlen ihm eine Kiste Gold. Der Gutsherr suchte und suchte, konnte sie aber nicht finden.

Jemand hat ihm dann irgendwann von dieser Wahrsagerin erzählt. Der Gutsherr schickte sofort seinen Lakaien und seinen Kutscher los, damit sie diese Frau holen. Die Frau, als sie erfahren hatte, wohin sie gebracht werden sollte, sträubte sich dagegen. Sie wollte auf keinen Fall mitkommen.

„An Gutsherren bin ich nicht gewöhnt. Ich traue mich nicht, ich möchte nicht!“, wehrte sie sich.

Aber der Lakai und der Kutscher zwangen sie, in die schöne Kutsche einzusteigen, und machten sich auf den Weg. Die Frau saß nun in der Kutsche, vor lauter Angst und Kummer kratzte sie sich hinter den Ohren und brabbelte vor sich hin: „Was kommen muss, das wird geschehen … Jetzt kommt es aber!“

Der Lakai und der Kutscher hörten zu und bekamen einen Schreck. Sie schauten einander an und fielen der Frau zu Füßen. Mit nettesten Worten baten sie sie um Gunst und Rettung. Die Frau verstand sofort, dass die beiden ihre Finger im Spiel hatten.

„Gut“, sagte sie, „ich kann euch retten, aber was kriege ich dafür?“

Die beiden boten ihr dieses und jenes an, aber es reichte ihr immer noch nicht. Schließlich vereinbarten sie dreihundert Taler für ihre Rettung.

„Seht aber zu, dass diese dreihundert Taler noch heute Abend bei mir sind!“, drohte sie den beiden. „Und ihr müsst noch sagen, wo ihr die Kiste mit dem Gold versteckt habt. Wenn ich nicht in meinem eigenen Hause bin, dauert es länger, bis ich richtig vorhersehe.“

„Gut“, sagten der Lakai und der Kutscher. „Du wirst gleich selbst den Teich sehen, in dem die Kiste mit dem Gold liegt.“

Sie kamen zum Gutshof und der Lakai flüsterte der Frau zu: „Das ist der Teich.“

Der Lakai brachte die Frau zum Gutsherrn und sagte: „Hier, mein Herr, ist die Wahrsagerin.“

Der Gutsherr schaute sie sich an und sagte: „Kannst du mein Gold finden?“

Die Frau fühlte sich jetzt ganz mutig und ohne zu zwinkern sagte sie zu dem Gutsherrn: „Warum denn nicht? Was ist denn schon dabei?“

„Dann los!“, sagte der Gutsherr.

„Nicht so schnell, mein Herr“, sagte die Wahrsagerin. „Versprecht mir zuerst ein Drittel von Eurem Gold und dann lasst mich ausruhen und ausschlafen.“

Der Gutsherr wollte nicht so viel Gold abgeben, aber da sich die Frau auf nichts anderes einlassen wollte, musste er nachgeben. Danach ließ er seine Diener das Bett für sie fertig machen und aufpassen, dass kein Krach gemacht wurde, damit sie sich gut erholen konnte. Sie hatte inzwischen ihre dreihundert Taler bekommen, legte sich getrost ins Bett und schlief ein.

Am Morgen sagte sie nach einem guten Schlaf und Frühstück zu dem Gutsherrn: „Jetzt, mein Herr, nehmt Euren Lakaien und lasst uns gehen.“

Dem Lakaien schlotterten schon die Knie vor lauter Angst. Weiß der Gutsherr schon etwas? Was kommt, wenn das Weib ihn und den Kutscher doch verrät?

Aber gut. Die drei gingen zum Teich, und die Frau sagte: „In diesem Teich ist Euer Gold, mein Herr.“

Dann drehte sie sich zum Lakaien und sagte: „Nimm einen Haken und zieh das Gold heraus.“

Der Lakai holte einen langen Haken, tastete damit im Wasser umher und zog schließlich die Kiste mit dem Gold raus. Der Gutsherr freute sich sehr. Aber es kam ihm vor, dass der Lakai die Kiste sehr schnell gefunden habe, als ob er schon gewusst hätte, wo sie war.

„Hatte er die Finger im Spiel?“, fragte der Gutsherr die Wahrsagerin.

„Nein, nein!“, sagte die Frau. „Der Dieb ist schon längst hinter allen Bergen. Er kommt nie wieder zurück, weil er weiß, dass ich hier bin. Und das Gold hat er vor lauter Angst versenkt, weil Eure Hunde den Dieb erspäht haben.“

Der Gutsherr übergab der Frau ein Drittel seines Goldes, und sie durfte noch eine Weile bei ihm bleiben. Er selbst hat am nächsten Tag alle Gutsherren und alle Priester aus der Nachbarschaft zum Mittagessen eingeladen. Er wollte noch einmal die Frau auf die Probe stellen, ob sie in der Tat so eine gute Wahrsagerin sei.

Der Gutsherr ließ seinen Koch je ein Haselhuhn für seine Gäste und für die Wahrsagerin eine Schnepfe zubereiten.

Als die Mittagszeit kam, setzten sich alle Gutsherrn und Priester an den Tisch und die Wahrsagerin setzte sich auch dazu. Die Diener stellten jedem Gutsherrn und jedem Priester je ein Haselhuhn hin und der Wahrsagerin eine Schnepfe. Die Frau schaute sich die Gutsherren und Priester an, schaute sich den prachtvollen Tisch an und fühlte sich beschämt. „Schnepfe du, Schnepfe“, sagte sie zu sich selbst mit dem Kopf nickend. „Bist du denn wert, hier unter solchen Herren und Priestern zu sitzen?“


Der Gutsherr hörte, was die Frau sagte, und ließ seine Diener die Schnepfe wegbringen und der Frau, wie auch den anderen Gästen, ein Haselhuhn servieren. Jetzt war er sich ganz sicher, dass die Frau eine richtige Wahrsagerin sei und alles wisse. Er bewirtete sie gut, ließ sie noch über eine Nacht bei ihm bleiben und am nächsten Tag mit guten Pferden und in einer bequemen Kutsche nach Hause bringen.

Als die Frau reich zu Hause angekommen war, dachte sie nach, und die Furcht überkam sie, dass jemand sie wieder als Wahrsagerin zur Hilfe hole. Sie nahm das Geld und zündete von innen ihre Hütte an. Als das Feuer richtig brannte, lief sie hinaus und rief weinend: „Alle Sachen, die ich zum Wahrsagen brauche, sind verbrannt, meine Arbeitsgeräte! Jammer, ach Jammer! Wie werde ich jetzt wahrsagen können? Wie werde ich mein Brot verdienen?“

Die Menschen kamen gelaufen, aber es war schon zu spät. Und die Frau hat mit dem verdienten Geld ein neues Haus gebaut und ruhig bis an ihr Ende gelebt.

Ein glücklicher Mensch

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