Читать книгу Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag - Группа авторов - Страница 11

Parlamente im Parlament: Die Fraktionen

Оглавление

Die Fraktionen bilden eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der parlamentarischen Abläufe. Die Bezeichnung kommt aus dem lateinischen Wort fractio für „Bruchstück“. Es umschreibt ein doppeltes Herausbrechen eines Teiles: Einerseits ist jede Fraktion Teil eines Parlamentes und mit zahlreichen Sonderrechten ausgestattet, um sich über zusätzliche Mitarbeiter arbeitsfähig zu machen und mit Fachwissen auszustatten, die Abläufe im Parlament mit zu gestalten und parlamentarische Initiativen von besonderem Gewicht zu starten. Andererseits ist jede Fraktion faktisch auch ein herausgebrochener Teil jener Partei, der ihre Mitglieder angehören. Bei den Fraktionen von SPD, AfD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ist das leicht ersichtlich. Für die CDU/CSU-Fraktion ist erst zu Beginn jeder Wahlperiode ein neuer Beschluss von CDU und CSU nötig, sich zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammenzuschließen. Das ist so lange möglich, wie die beiden Parteien in keinem Bundesland gegeneinander antreten und gleichgerichtete Ziele verfolgen.

Das Parlament des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern hat 71 Abgeordnete. Fast so viele Abgeordnete stellen im Bundestag allein die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen mit 67 Abgeordneten und Die Linke mit 69 Abgeordneten. Alle anderen Fraktionen liegen noch deutlich darüber. Der größte deutsche Landtag in Nordrhein-Westfalen besteht aus 199 Abgeordneten. Allein die Unionsfraktion im Bundestag besteht jedoch aus 246 Abgeordneten. Schon von diesen Zahlen liegt es daher nahe, dass sich auch innerhalb einer Fraktion im Bundestag unterschiedliche Gruppierungen wiederfinden. Da gibt es die Gruppe der Frauen oder die Gruppe der jungen Abgeordneten, es gibt Zusammenschlüsse entlang politischer Strömungen und solche entsprechend der Landsmannschaften. In allererster Linie beziehen sich die fraktionsinternen Strukturen aber auf Arbeitsgruppen und Arbeitskreise, in denen sich Sozialpolitiker genauso verbinden wie Wirtschaftspolitiker, Finanzpolitiker oder Innenpolitiker. Diese Gremien leisten wichtige Schrittmacherfunktionen und prägen Meinungen und Einstellungen der Kollegen. Sie schlagen ihrer eigenen Fraktion Positionierungen vor, tragen diese in die Detailberatung der Fachausschüsse und koppeln von dort den Beratungsfortschritt zurück in die Fraktion, damit diese rechtzeitig eine einheitliche Meinung festlegen kann.

Natürlich wäre es theoretisch möglich, dass sich alle 709 Abgeordneten allein als Vertreter des ganzen Volkes entsprechend den grundgesetzlichen Vorgaben aus Artikel 38 unbeeinflusst von irgendwelchen Gremien eine Meinung bilden. Aber ist es realistisch, dass sich jeder Abgeordnete in jedes von mehreren tausend Gesetzen mit seinen Hintergründen, Problemen, alternativen Lösungen und Perspektiven einarbeitet? Da ist es schon einfacher, sich innerhalb einer Gruppe von im Grundsatz gleichgesinnten Abgeordneten arbeitsteilig professionell aufzustellen und dem Fachwissen der politisch befreundeten Kollegen zu vertrauen, so wie sich diese auf die Empfehlungen unserer Beispielabgeordneten auf ihren Fachgebieten verlassen.

Der unscharfe Begriff „Fraktionszwang“

Im Laufe dieses Meinungsbildungsprozesses zu jedem einzelnen Gesetzentwurf bildet sich innerhalb jeder Fraktion eine Empfehlung heraus, über die dann abgestimmt wird und deren Mehrheitsentscheidung in der Regel von allen Fraktionsangehörigen akzeptiert werden soll. Das wird in der Öffentlichkeit häufig als „Fraktionszwang“ bezeichnet. Gerade bei umstrittenen Themen und knappen Mehrheiten im Parlament gibt es tatsächlich mehr oder weniger sanften Druck auf diejenigen, die sich entsprechend der Fraktionsregularien beim Fraktionsvorstand melden müssen, wenn sie von der Mehrheitsentscheidung abweichen wollen. Die „Abweichler“ werden dann möglicherweise verstärkt „bearbeitet“ und in „Beichtstuhlgesprächen“ unter vier Augen auf die Konsequenzen ihres Votums hingewiesen. Letztlich verbietet sich jedoch eben aufgrund von Artikel 38 und der darin garantierten Freiheit des Mandates, Abgeordnete zu einer bestimmten Stimmabgabe zu „zwingen“.

Rund 90 Prozent der parlamentarischen Arbeit findet außerhalb des Plenums statt.

Allerdings ist die oft zu hörende Kritik an möglichst einheitlicher Stimmabgabe von Abgeordneten einer Fraktion ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Es gibt neben dem Artikel 38 zur Unabhängigkeit der Abgeordneten auch den Artikel 21, demzufolge die Parteien an der Willensbildung mitwirken. Wer Parteien also daran misst, was sie vor der Wahl ankündigen und nach der Wahl davon umsetzen, der sollte auch Verständnis dafür haben, dass Fraktionsführungen jeden einzelnen Abgeordneten von einer gemeinsam gefundenen Linie zu überzeugen versuchen. Und wer die Stabilität einer Regierung danach beurteilt, wie geschlossen sie von den sie tragenden Fraktionen unterstützt wird, der sollte sich auch nicht wundern, wenn die Fraktionsführungen ebenfalls auf diesen Aspekt achten. So greift vieles ineinander und entlarvt oft zu hörende Kritikmuster an bestimmten Vorgängen im Bundestag als in sich widersprüchlich.

Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag

Подняться наверх