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Wie Gesetze wirklich entstehen

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Es gibt eine dreifache Annäherung an den Kern der Arbeit des Bundestages als Gesetzgeber. Da ist zum ersten die Gewaltenteilungslehre, wie wir sie an den Schulen lernen. Danach macht die Legislative, also der Bundestag, die Gesetze, führt die Exekutive, also die Regierung, sie aus, und wendet die Judikative, also die Gerichte, sie an. Wir ahnen, dass dies formal richtig dargestellt ist, es in der Praxis aber anders läuft.

Aus der Praxis wird oft die Vorstellung verbreitet, dass tatsächlich die Regierung die Gesetze macht, der Bundestag sie durchwinkt, und sie in Kraft treten, wenn der Bundesrat das nicht verhindert. Dafür scheint es auch immer wieder Belege zu geben. Etwa wenn gemeldet wird, dass die Regierung dieses oder jenes Gesetz „beschlossen“ habe. So weit verbreitet diese zweite Darstellung auch sein mag – auch sie trifft nicht zu. Darauf zu bestehen, dass die Regierung kein „Gesetz“ beschlossen habe, sondern lediglich einen „Gesetzentwurf“, wäre der erste Schritt zu einem besseren Verständnis.

Das vielsagende „Struck’sche Gesetz“

Die dritte Variante ist besser: das genauere Betrachten der Abläufe – einschließlich eines Blicks hinter die Kulissen. Aus denen dringt das häufig zitierte „Struck’sche Gesetz“ heraus und lässt ahnen, dass die Rolle der Abgeordneten möglicherweise größer ist als vielfach angenommen. Dieses „Gesetz“ besteht aus einem einfachen Satz: „Kein Gesetz kommt aus dem Bundestag so heraus, wie es eingebracht worden ist.“ So betonte es der inzwischen verstorbene seinerzeitige SPD-Fraktionschef Peter Struck mehrfach in einer Zeit, in der seine Partei wohlgemerkt die Regierung stellte. Es war also eine klare Ansage an seine eigenen Parteifreunde in der Regierung, die Rolle des Bundestages nicht gering zu schätzen.

Die meisten Gesetze entstehen tatsächlich in den Ministerien. Hier gibt es entsprechenden großen fachlichen und juristischen Sachverstand. Wenn umweltrechtliche Vorgaben nicht zu den erhofften Ergebnissen führen und eine Nachbesserung nötig machen, sitzen im Umweltministerium diejenigen, die sich zusammen mit den Anwendern in anderen Behörden und Unternehmen am besten damit auskennen. Also liegt es nahe, dass sie auch die Vorschläge für eine Novelle erarbeiten und zusammen mit Fachleuten aus anderen Abteilungen und anderen Ministerien beurteilen, welche Vorteile, Nachteile und Nebenwirkungen eine neue haben würde. Zudem führt der Koalitionsvertrag zu einem Arbeitsplan der neuen Bundesregierung: Welche der vereinbarten Gesetze sollen in welcher Reihenfolge in Angriff genommen werden, welches Ministerium übernimmt dabei die Federführung, welches wird in welchem Umfang mit beteiligt? Auch deshalb liegt die Initiative vielfach bei der Regierung.

Also ist das Entwerfen von Paragrafen bei ihr im Prinzip gut aufgehoben. Daneben hat der Bundestag selbst natürlich auch das Recht, Gesetze zu schreiben. Auch der Bundesrat kann Gesetzentwürfe auf den Weg bringen. Doch alle müssen erst einmal in den Bundestag eingebracht und dort grundsätzlich und allgemein in der sogenannten Ersten Lesung beraten wird. Am Ende wird noch nichts beschlossen. Vielmehr geht es dann zur Detailberatung in die Fachausschüsse. Einer übernimmt stets die Federführung. Hat das Gesetz Auswirkungen auch auf Politikbereiche, auf die andere Fachausschüsse spezialisiert sind, werden auch diese zur Mitberatung herangezogen.

Alles wird auf Herz und Nieren geprüft

In den Ausschüssen wird das geplante Gesetz auf Herz und Nieren geprüft. Manchmal liegen zum selben Themenkomplex auch unterschiedliche Entwürfe vor, in denen Koalition und Oppositionsfraktionen ihre gegensätzlichen Vorstellungen unterbreiten. Zumeist holt sich das Parlament auch externen Sachverstand ins Haus. Dann werden auf Vorschlag der einzelnen Fraktionen verschiedene Experten eingeladen, die das Meinungsspektrum in Praxis und Wissenschaft zum jeweiligen Beratungsgegenstand abdecken. Sie belassen es in der Regel nicht bei allgemeinen Einschätzungen, sondern tragen konkrete Änderungs- und Verbesserungsvorschläge vor. Der federführende Ausschuss bildet sich daraufhin eine Mehrheitsmeinung, stimmt auch über Änderungen ab und reicht den meist in Einzelpunkten korrigierten Entwurf in einer neuen Ausschussfassung an das Plenum zurück. In dem Bericht werden auch die Stellungnahmen anderer mitberatender Ausschüsse und die Einschätzungen der einzelnen Fraktionen festgehalten. Sodann geht es in eine neue allgemeine Aussprache, die auch die Veränderungen durch die Mehrheit im Ausschuss berücksichtigt (Zweite Lesung). In der zumeist unmittelbar folgenden Dritten Lesung erfolgt die Schlussabstimmung.

Dann folgt erst der Durchgang durch den Bundesrat. Bei Regelungen, die nicht in die Rechte der Bundesländer eingreifen, kann der Bundesrat mit der Mehrheit seiner Mitglieder Einspruch erheben. Diesen Einspruch kann die entsprechende Mehrheit des Bundestages wiederum überstimmen. Dann steht der letzten Prüfung und Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten mit nachfolgender Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt nichts mehr im Wege. Greift das Gesetz jedoch in Rechte der Länder ein, ist die aktive Zustimmung einer Mehrheit im Bundesrat zwingend erforderlich. Bleibt die aus, können Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung den Vermittlungsausschuss anrufen.

Vermittlungsausschuss ohne Regierung

Das Vermittlungsverfahren bei besonders umstrittenen Gesetzesvorhaben läuft dann ohne Bundesregierung. Denn in diesem gemeinsamen Ausschuss von Bundesrat und Bundestag sitzen lediglich Mitglieder dieser beiden Verfassungsorgane. Auch bei den weiteren Verfahren ist die Regierung raus. Ganz gleich, ob nach der Einschaltung des Vermittlungsausschusses der Bundesrat sich noch mal mit dem ursprünglich vom Bundestag beschlossenen Gesetz befasst, ob im Vermittlungsausschuss Veränderungen verabredet werden und die dann erneut sowohl durch den Bundestag als auch durch den Bundesrat gehen, oder aber das Vorhaben scheitert. Auch daraus lässt sich etwas über die Stellung des Bundestages herauslesen.

Erst recht gilt das, wenn wir die Praxis beleuchten. Die Vorstellung, dass der auf einen Fachbereich spezialisierte Abgeordnete erst etwas von einem Gesetzesvorhaben erfährt, wenn die Bundesregierung den Entwurf beschlossen und dem Bundestag zugeleitet hat, entspricht zwar den formalen Abläufen, aber nicht dem richtigen Leben. Jedes Ministerium, das am Ende nicht blamiert dastehen will, tut natürlich gut daran, diejenigen frühzeitig mit einzubeziehen, die anschließend die Mehrheit ihrer Kollegen in den Fraktionen von der Richtigkeit der gewählten Regelung überzeugen sollen. Die so genannten „Berichterstatter“, die über einzelne Gesetzesvorhaben sowohl den jeweiligen Ausschuss als auch ihre Fraktionen auf dem Laufenden halten, wirken im Hintergrund informell durchaus schon an mancher Gesetzesentstehung mit, wenn der Bundestag formal noch nicht eingeschaltet ist.

Dieser Aspekt bezieht sich naturgemäß vor allem auf die Koalitionsfraktionen. Aber je nach Mehrheitsverhältnissen und Materie können auch die Experten der Opposition eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Natürlich ebenfalls eher informell. Aber für den weiteren Gang des Verfahrens ist es insbesondere bei umstrittenen Zustimmungsgesetzen, bei denen eine gewisse Eile geboten ist, wichtig, auch Stimmen von denjenigen Ländervertretern zu bekommen, deren Parteien in einzelnen Bundesländern in der Regierung sitzen, auch wenn sie im Bundestag „nur“ die Rolle der Opposition haben. Sie wirken dann in der innerparteilichen Meinungsbildung mit bei der Frage, wie ein Gesetz formuliert sein muss, damit die Chancen steigen, auch im Bundesrat dafür eine Mehrheit zu bekommen. Die Rolle „des“ Bundestages bei der Gesetzgebung ist also bei genauer Betrachtung differenzierter zu gewichten als es herkömmlichen Pauschalurteilen entspricht.

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