Читать книгу Zum Tee bei Elisabeth Kübler-Ross - Группа авторов - Страница 16
ОглавлениеFlorence Wald
Weggefährtinnen
Neben Elisabeth, Dr. Balfour Mount und Dame Cicely Saunders gilt Florence Wald als die Mitinitiatorin der Hospizbewegung.
“Tee mit Elisabeth” ist ein Bild, das mich nachdenklich stimmt. Ich sehe sie vor mir mit einer Baseballkappe, einer Zigarette in der einen und einer Tüte Schokoladeneis in der anderen Hand. Sie könnte das Teetablett aus dem Gleichgewicht bringen, wenn sie eine Pointe bringt und (in ihrem weichen Schweizer Akzent) fragt: “Trinkst du denn keinen Kaffee?” Man wusste immer, dass Elisabeth wirklich meinte, was sie sagte.
Als wir uns im Frühjahr 1966 auf einer Tagung an der Yale Universität kennen lernten, war sie eine von wenigen betreuenden Personen, die sich zu sterbenden Patienten hingezogen fühlten. Sie kam von Chicago, und Cicely Saunders und Colin Murray Parkes, die ebenfalls Ärzte waren, kamen aus London. Elisabeths erstes Buch “Interviews mit Sterbenden” sollte erst drei Jahre später erscheinen.
Ich erinnere mich an eine zeitlose Geste von ihr: Eine Hand auf dem Bauch, die andere an der Schläfe, sagte sie: “Reagieren Sie aus dem Bauch, nicht vom Kopf, wenn Sie Patienten zuhören.”
Das fand einen Widerhall in mir! Wir lehrten unsere Schwesternschülerinnen, auf das zu hören, was der Patient sagt oder tut, richtig hinzuhören und sicher zu gehen, dass sie verstanden, was er sagen wollte, bevor sie handelten. Hier war Elisabeth, eine Ärztin, die dasselbe sagte im Gegensatz zu den Ärzten, mit denen wir arbeiteten. Diese waren dagegen, dass die Schwestern die Patienten und ihre Familien ermutigten, mitzureden und sie in Entscheidungen bezüglich ihrer Pflege einzubeziehen. Wir befanden uns in einer Zeit, als man gerade erst anfing, die Rechte von Patienten anzuerkennen. Elisabeth war an dieser Reform maßgeblich beteiligt.
Während der nächsten zehn Jahre sollten wir uns oft begegnen. Die Anzahl unterschiedlicher Menschen, die sich zur Pflege todkranker Patienten hingezogen fühlten, vervielfachte sich rasch, und sie suchten in den Vereinigten Staaten und im Ausland Kontakt zueinander. Schließlich bildeten sich zwei Gruppen, genannt die “Macher” und die “Gefühligen”. Elisabeth war die Mentorin der Gefühligen.
Ich wurde eine “Macherin”. Nachdem ich Dame Cicely Saunders, die Gründerin des St. Christopher Hospizes in London, gehört und eine allzu kurze Zeit als Pflegerin dort verbracht hatte, wusste ich, dass es meine Sache war, auf ein Mittelding zwischen Krankenhausund Heimpflege hinzuarbeiten. Ich wusste, dass es ein Ort sein musste, wo multiple Leiden von einem interdisziplinären Team behandelt werden konnten und wo es in erster Linie um die Patienten und ihre Familien ging.
Mir war bewusst, wie viel ich zu lernen hatte: Symptome zu beherrschen, Familien zu helfen, sich in den Prozess einzubringen, finanzielle Unterstützung aufzutreiben und die Gemeinschaft zu engagieren. Während dieser Zeit stand ich auch in Verbindung mit Elisabeth.
In den nächsten beiden Jahrzehnten wuchs die Zahl der Kollegen aus verschiedenen Disziplinen in beiden Gruppen schnell an. Elisabeth war sehr gefragt und sprach zu immer größeren Auditorien. Ihr Schreiben dehnte sich auf populäre Zeitschriften aus. Während wir “Macher” unser Handwerk lernten und innerhalb der etablierten Medizin arbeiteten, war Elisabeth davon befreit. Nachdem ihr Buch “Interviews mit Sterbenden” erschienen war, befand die Medizinische Fakultät der Universität von Chicago, dass ihre direkte und klare Begegnung mit Patienten und ihr unbürokratisches Konzept nur geringen Wert hätten, und ihre Stelle wurde gekündigt. Als das klinische Milieu, in dem sie ihre Gespräche mit Sterbenden geführt hatte, ihre Praxis nicht mehr unterstützen wollte, nahm sie dies zur Kenntnis und brachte die Entschlossenheit und Stärke auf, neue Wege zu gehen.
Als wir einmal an der Yale Universität eine Untersuchung mit Patienten durchführten, sprach Elisabeth mit einem Patienten vor einem großen Auditorium von Fachleuten. Der Widerstand der Mediziner gegen ihre Vorgehensweise wurde von der Bereitwilligkeit, mit der das Publikum diese annahm, beiseite gefegt.
Pfarrer und Krankenschwestern waren die ersten, die ihr Verständnis entgegenbrachten und ihr Vorgehen würdigten. An sie wandten sich die Patienten, wenn die Ärzte ihnen die Antwort auf ihre Fragen schuldig blieben. Es bildeten sich Foren außerhalb der akademischen Zentren.
Die Macher und die Gefühligen unterschieden sich zwar in ihrer Blickrichtung und im Stil, aber sie entwickelten auch eine Art von Synergie. Die Macher nahmen es mit dem medizinischen Establishment und den Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen auf, um Palliativstationen in Krankenhäusern durchzusetzen. Zuerst wurde nur geredet, und dann vermehrten die Hospize sich schnell um ein Vielfaches. Inzwischen ging aus Elisabeths Vorträgen, Workshops, Büchern und Beratungen eine große Schar von BetreuerInnen mit zwischenmenschlichen Fähigkeiten hervor. Krankenschwestern hatten das größte Bedürfnis, die konventionelle Praxis der Pflege, die sich so lange von den Patienten distanziert hatte, zu verändern. Niemand konnte sie besser anleiten als Elisabeth, indem sie die Bindung und das Verständnis zwischen Patienten und Pflegerin unterstützte.
Krankenschwestern, denen Elisabeths Lehre ein Bedürfnis war, waren weitgehend verantwortlich, dass so etwas wie eine freie Universität für sie geschaffen wurde. Zuerst organisierten sie einen Vortragsraum, dann kündigten sie die Veranstaltung öffentlich an. Zuerst kam Elisabeth, um einen Vortrag zu halten, aber bald wurden ihre Wochenendworkshops die Regel.
Ihr Auditorium wurde größer und vielfältiger – Geistliche, Gemeindemitglieder, die Angehörigen von Patienten und die Patienten selbst kamen. Die Orte wurden entlegener, die Veranstaltungen häufiger, und Elisabeth verbrachte immer mehr Zeit in Flugzeugen, während sie immer weniger Gelegenheit hatte, sich auszuruhen, sich ihrer Familie zu widmen, vernünftig zu essen und zu entspannen.
Ein dauerhafter Standort für Elisabeth wurde in Kalifornien gefunden, der sowohl die Kosten senken als auch die Zeit begrenzen konnte, die ihre ausgedehnten Reisen erforderten. Ihre Arbeitsleistung ging zu Lasten ihrer Familie. Es war praktisch unmöglich für sie geworden, auch nur eine Teilzeitehefrau und -mutter zu sein. Die Gesellschaft schrie nach Veränderung, und sie konnte den Ruf ihres Herzens und ihrer Seele nicht einmal beschwichtigen, um ihre Ehe zu retten.
Als ich Elisabeth im Januar 2004 zum letzten Mal sah, erschien mir ihr kleiner Körper gebrechlich, und obwohl sie zwölf Jahre jünger war als ich, war ich verblüfft, wie sehr sie gealtert war. Doch der Glanz in ihren Augen war immer noch da. Sie breitete ihre Arme aus, und wir umarmten uns. Es tat mir weh, sie in einem so kleinen, dürftigen Raum zu sehen, aber das schien ihr nichts auszumachen. Wie immer waren es die Menschen, um die es ihr ging!
Viele hörten Elisabeth sagen, dass für sie als den mickrigsten der Drillinge kein Platz auf dem Schoß ihrer Mutter war. Aus dem “mickrigen Drilling” ist ein sich in die Lüfte schwingender Adler geworden.
*** Florence Wald, ehemals Dekanin der Ausbildung von Krankenschwestern an der Yale University, tat sich mit einem Chirurgen, einem Kinderarzt und einem Pfarrer zusammen und gründete 1971 das erste Hospiz in den Vereinigten Staaten. Sie schrieb über Hospizpflege und die Rolle der Krankenschwester und arbeitet gegenwärtig an der Einrichtung von Hospizstationen an amerikanischen Strafanstalten. Zu ihren zahlreichen Ehrungen gehört die Aufnahme in die “Ruhmeshalle der Frauen der Nation” im Jahre 1998.