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Balfour M. Mount

Zufällige Schicksalsbegegnung

Als einer der ersten anerkannten Architekten der internationalen Hospizbewegung unterhielt Balfour Mount mehr als drei Jahrzehnte lang eine enge Freundschaft mit Elisabeth. Er beleuchtet ihren Status als “Rockstar” und wie sie “ständig mitten im Strudel von Kontroversen” stand.

Die Nachricht von Elisabeths Tod am 24. August 2004 erfüllte mich mit Trauer und Dankbarkeit. Wenige Menschen haben in meinem Leben eine so bedeutende Rolle gespielt wie sie. Ich fühlte mich augenblicklich in meine erste Begegnung mit Elisabeth Kübler-Ross zurückversetzt. Es war in den frühen 1970er Jahren während ihrer ersten Vorlesung an der McGill Universität in Montreal, Kanada. Ich hatte ihr Buch “Interviews mit Sterbenden” noch nicht gelesen und fand mich zu der späten Nachmittagsrunde aufgrund einer zufälligen Bemerkung einer Kollegin ein. Im Geiste höre ich, wie Elisabeth augenzwinkernd zu mir sagt: “Na klar! Nichts geschieht durch Zufall!”

Die Szene war außergewöhnlich, um nicht zu sagen bizarr. Das Amphitheater war rappelvoll, alle 350 Plätze waren besetzt. Ältere Kollegen saßen in Zweierreihen auf den Stufen; Studenten hockten im Schneidersitz dicht gedrängt auf dem Boden um den Tisch herum, der als improvisierter Thron für unsere leger darauf platzierte Gastprofessorin diente.

Ich war spät dran, aber es gelang mir, mir ganz hinten im Auditorium einen Weg durch die Menge zu bahnen. Ich sehe noch den eminenten Neurologen Francis McNaughton – den “heiligen Francis”, wie er gewöhnlich genannt wurde – vor mir, eine von McGills Ikonen in klinischer Kompetenz und Eleganz, wie er in der dritten Reihe der hinter der letzten Sitzreihe Stehenden auf den Zehen balancierte, um etwas sehen zu können. Es lag eine große Erwartung in der Luft.

Ich war erst kürzlich von McGill angeheuert worden, um ein chirurgisches Spezialgebiet bei Krebserkrankungen der Harnwege auszubauen, doch diese Begegnung mit Elisabeth führte mich an einen lebenswendenden Scheideweg. Die Dinge entwickelten sich schnell. Wir studierten die Mängel der Betreuung Sterbender an unserem Hospital. Durch die Lektüre von “Interviews mit Sterbenden” kam ich in Berührung mit der bahnbrechenden Arbeit von Cicely Saunders am Hospiz St. Christopher in London.

Wir entwarfen auf klinischer Basis eine hospizähnliche Einrichtung mit einem Programm für Heimpflege, einem Beratungsdienst, einer speziellen Krankenstation – der Palliativstation – und einem Programm für Trauerarbeit, sowie Aktivitäten in Forschung und Lehre. Innerhalb von zwei Jahren konnten wir nachweisen, dass eine solche Neuerung sich lohnte.

Während des Pilotprojekts 1975-76 der Palliativbetreuung am Victoria Hospital war Elisabeth unsere ständige Mentorin, ein häufiger Gast und die Quelle beständiger Ermutigung. Unser Experiment mit der Betreuung Sterbender war ein großer Erfolg. Das Ergebnis war das erste umfassende Programm der Palliativpflege – eine Bezeichnung, die es uns in unserer frankophonen Provinz erlaubte, die negative Bedeutung von “les hospices” in Frankreich zu umgehen. Innerhalb von achtzehn Monaten konnten wir zeigen, dass das von Dame Cicely begründete Hospiz-Modell auch in einem akademischen Lehrhospital eingeführt werden konnte. Elisabeth war entzückt!

Das waren Tage des Aufbruchs. Unsere Patienten wurden zu unseren Lehrmeistern, und der Ausdruck “interdisziplinär” nahm eine egalitäre Bedeutung an. Der Unterschied zwischen “disease” als Unwohlsein und “illness” als Krankheit sprang in die Augen ebenso wie die Notwendigkeit einer integrierten Betreuung des ganzen Menschen. In den Monaten nach meiner “Zufallsbegegnung” mit Elisabeth überließ ich meine chirurgische Praxis, meine Klinik für Chemotherapie und mein Forschungslabor anderen und widmete mich ganzzeitlich den Bedürfnissen von Sterbenden.

Im Oktober 1976 war Elisabeth Hauptrednerin auf dem von McGill ausgerichteten Ersten Internationalen Kongress der Betreuung todkranker Patienten. Ihre weisen Beiträge zu den lebhaften Diskussionen während dieser denkwürdigen Tagung waren bemerkenswert. Sie besaß eine unheimliche Fähigkeit, wunde Punkte anzusprechen, die Voreingenommenheiten der sich Befehdenden klarzulegen und heilende Bemerkungen voll Einsicht anzubieten.

Später erhielt ich noch am selben Abend, nachdem sie nach Hause zurückgekehrt war, einen Anruf von ihr aus Chicago. Mir wurde warm beim Klang ihrer vertrauten Stimme, aber ihre Botschaft war kurz und prägnant. “Bal”, erklärte sie, “ich habe nur zwei Dinge zu sagen. Erstens, es war eine wunderbare Tagung, und zweitens, lass deine Unsicherheit los. Du brauchst sie nicht!” Wenn das nicht freundschaftlich war!

Wir blieben in Verbindung, und ich konnte mich immer auf sie verlassen. Mit der Zeit wurde Elisabeth eine Berühmtheit von der Dimension eines Rockstars, immer mitten im Strudel von Kontroversen.

Belagert von einigen, verteufelt von anderen, provozierte Elisabeth eine Art Raserei. Ihre Lauterkeit wurde sträflich in Zweifel gezogen. Schmückte sie sich mit der Arbeit anderer? Glaubte sie, dass der Zweck immer die Mittel heiligt – jede Art von Mittel? Nahm sie wissentlich verdächtige Umtriebe hin in dem Glauben, dass verblendete, verletzliche Menschen erlöst würden, wenn sie sich von allen Hemmungen befreiten? Waren ihre Gespenster und Geistführer Einbildungen einer übersteigerten Fantasie, einfach nur eine gute Story oder das Produkt einer sagenhaften spirituellen Offenheit? Wurde sie verleumdet, drangsaliert, wurde ihr Haus niedergebrannt, weil sie den Märtyrerweg einer unwillkommenen Aufrichtigkeit beschritt, oder weckte sie unbewusst Feindseligkeit aufgrund von Neid und Angst? Kamen ihre höchst publikumswirksamen Kundgebungen zugunsten des spirituellen Lebens – dieses dann verdammend – aus einem Bedürfnis, im Rampenlicht zu stehen?

Vielleicht nimmt unser unersättliches Bedürfnis nach Helden es übel, wenn wir ihrer Menschlichkeit begegnen und dadurch mit unseren eigenen tiefsten Unsicherheiten und Fragen konfrontiert sind.

Was mich betrifft, werde ich Elisabeth wegen ihrer Offenheit, der Großzügigkeit ihres Geistes und ihrer unvergleichlichen Gabe des Zuhörens in Erinnerung behalten. Was für eine Geschichtenerzählerin sie war! Niemand kann ihren hypnotisierenden schweizerdeutschen Tonfall vergessen; ihre Fähigkeit, in einem Auditorium von Hunderten, wenn nicht Tausenden ein Gefühl von Intimität zu erzeugen; ihre Sensibilität im Interview mit einem schmerzerfüllten fremden Menschen, das alle Anwesenden veranlasste, mehr in Fühlung mit ihrer eigenen persönlichen Reise zu treten.

Elisabeth war eine wahrhaft große Kommunikatorin des 20. Jahrhunderts. Ihre Wirkung als Lehrmeisterin umspannt die ganze Welt. Sie beleuchtete die Frage der Bewältigung von Trauer und bevorstehendem Tod und verlieh den durch ihre Erfahrungen “am Rande des Seins” Entrechteten eine Stimme.

Elisabeth war eine wagemutige Pilgerin, deren Weg zur Reform des Gesundheitswesens, zu existenziellen Fragestellungen und zur Linderung von Schmerzen in allen Ländern der Erde führte. Wir wurden durch ihre Gegenwart bereichert. Sie machte diese Welt zu einem besseren Ort und bereicherte mein Leben über alle Maßen.

Ich erinnere mich, dass ich einmal nach einem ihrer Vorträge auf sie wartete. Das Warten schien endlos. Später sagte sie zu mir: “Weißt du, Bal, der wichtigste Teil des Vortrags sind die persönlichen Gespräche mit Menschen in Not, die sich nach dem Vortrag ergeben.” Was für ein Unterschied zu der egozentrischen Reaktion einiger berühmter Gurus!

Elisabeths Großmut war grenzenlos. Was für ein Segen sie war! Was für ein erfrischender Charakter! Was für eine liebe und treue Freundin!

*** Dr. Balfour Mount wurde 1975 Gründungsdirektor der Palliativstation des Royal Victoria Hospitals in Montreal, Kanada. Seit 1976 ist er Präsident des zweijährig tagenden Internationalen Kongresses für die Pflege todkranker Patienten an der McGill Universität. Er ist Autor von mehr als 140 Veröffentlichungen und war an der Produktion von 25 Lehrfilmen über Onkologie und Palliativpflege beteiligt.

Zum Tee bei Elisabeth Kübler-Ross

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