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1.3 Die bisherige Entwicklung von Ansätzen sektorenübergreifender Versorgung
ОглавлениеUnabhängig vom kollektiven oder selektiven Vertragsbereich setzt ein funktionsfähiger Preis- und Qualitätswettbewerb an der Schnittstelle zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor für die beteiligten Leistungserbringer und Krankenkassen gleiche Rahmenbedingungen voraus (siehe zum Folgenden auch Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2018, Ziffer 571 ff). Dies gilt vor allem hinsichtlich:
• der Definitionen und Abgrenzungen der erbrachten Leistungen,
• der Qualitätssicherung mit einheitlichen (Mindest-)Standards,
• der Vergütungen sowie der Investitionsfinanzierung und Vorhaltekosten,
• der Zugangsmöglichkeiten und Genehmigungsbedingungen bei neuen Untersuchungsmethoden,
• den Preisen bei veranlassten Leistungen, z. B. bei Arznei- und Hilfsmitteln,
• den speziellen Regulierungen, wie z. B. Mindestmengen, Mengenbegrenzungen oder Sperrungen von Bereichen im Rahmen der Bedarfsplanung,
• den Möglichkeiten zur Teilnahme an Selektivverträgen sowie
• den sonstigen Regelungen der jeweiligen Bedarfsplanungen.
Vor diesem Hintergrund bietet das SGB V derzeit bei den medizinischen Versorgungszentren (§ 95), dem Innovationsfonds (§ 92a), den Praxisnetzen (§ 87b Abs. 2 und 4), und vor allem bei der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (§ 116b) und der besonderen Versorgung (§ 140a) Möglichkeiten für eine sektorenübergreifende Versorgung. Diese Optionen besitzen, wenn auch in stark unterschiedlichem Ausmaß, grundsätzlich das Potential, die Versorgung an der Schnittstelle zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor zu verbessern.
Die medizinischen Versorgungszentren (MVZ) bieten die Chance einer intensiveren Kooperation zwischen den teilnehmenden Haus- und Fachärzten und in der Trägerschaft von Krankenhäusern auch die Möglichkeit einer engeren Abstimmung zwischen der ambulanten und der stationären Behandlung. In allen Bundesländern nahm der Anteil der Ärzte, die in MVZ arbeiten, seit 2010 zu mit einem besonders hohen Anteil in den ostdeutschen Bundesländern. Hinsichtlich ihrer Anzahl erhielten die MVZ insbesondere bei den Vertragsärzten einen starken Schub durch das am 23.07.2015 in Kraft getretene GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG). Dieses strich allerdings in § 95 Abs. 1 die zuvor für die Gründung eines MVZ erforderliche »fachübergreifende Versorgung« und minderte damit die gesetzlichen Anforderungen an ärztliche Kooperationen.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fördert in den Jahren 2016 bis 2019 mit dem Innovationsfonds in Höhe von jährlich 225 Mio. Euro »neue Versorgungsformen, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen« (§ 92a Abs. 1 SGB V). Dies gilt, wie oben unter 1 erwähnt, besonders für Vorhaben, die auf eine Verbesserung der sektorenübergreifenden Versorgung abzielen. Daneben fördert der G-BA im gleichen Zeitraum mit jährlich 75 Mio. Euro die Versorgungsforschung, die einen »Erkenntnisgewinn zur Verbesserung der bestehenden Versorgung« in der GKV anstrebt (Abs. 2). Der Innovationsfonds wird, wenn auch befristet und mit einer Absenkung der jährlichen Fördersumme auf insgesamt jährlich 200 Mio. Euro, bis einschließlich 2024 fortgeführt. Es stehen dann mit einer etwas geänderten Gewichtung 160 Mio. Euro für neue Versorgungsformen und 40 Mio. Euro für die Versorgungsforschung zur Verfügung. Obgleich eine abschließende Bewertung der ersten Förderungsphase noch aussteht, deuten die derzeit vorhandenen Informationen auf mehrere erfolgversprechende Projekte zur sektorenübergreifenden Versorgung hin.
Im Rahmen der Vergütung der niedergelassenen Ärzte schreibt § 87b Abs. 2 SGB V vor, dass der Verteilungsmaßstab »der kooperativen Behandlung von Patienten angemessen Rechnung« trägt. Entsprechend müssen die von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) anerkannten Praxisnetze eigene Vergütungsregelungen erhalten, die auch aus einem eigenen Honorarvolumen als Teil der morbiditätsbedingten Gesamtvergütungen (MGV) bestehen können. § 87b Abs. 4 SGB V sieht vor, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) im Einvernehmen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen »Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze« bestimmt. Zu diesen strukturellen Anforderungen gehörten auch »Kooperationen mit anderen Leistungserbringern« (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2018 Ziffer 640). Die Praxisnetze beteiligen sich häufig an innovativen Versorgungsprojekten, die sich aber überwiegend auf den vertragsärztlichen Bereich beziehen. Bei sektorenübergreifenden Konzepten bauen sie vielfach auf der besonderen Versorgung nach § 140a SGB V auf.
Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) umfasst »die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattung erfordern« (§ 116b, Abs. 1 SGB V). Hierzu gehören (1) Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen, wie z. B. HIV/AIDS oder Multiple Sklerose, (2) seltene Erkrankungen und Krankheitszustände mit entsprechend geringen Fallzahlen, wie z. B. Tuberkulose und Muskoviszidose sowie (3) hochspezialisierte Leistungen, wie z. B. CT/MRT-gestützte interventionelle schmerztherapeutische Leistungen oder Brachytherapie. Bei den Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen strich das GKV-VSG vom 23.07.2015 das Erfordernis der »schweren Verlaufsformen«, welches auch Im Gesetzentwurf zum GKV- Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) vom 05.09.2011 fehlte.
Leistungen der ASV, deren Behandlungsumfang der G-BA bestimmt, können an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer und Krankenhäuser erbringen. Sie müssen dabei die jeweils maßgeblichen Anforderungen und Voraussetzungen erfüllen und dies auch gegenüber dem erweiterten Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen unter Beifügung der entsprechenden Belege anzeigen. Da im Rahmen der ASV für alle interessierten (Fach-)Ärzte und Krankenhäuser die gleichen Rahmenbedingungen gelten, handelt es sich hier um eine aus theoretischer Sicht vielversprechende Konzeption. Die bisherige Entwicklung der ASV blieb jedoch deutlich hinter den Erwartungen zurück. Dies lag vor allem an den hohen Anforderungen und dem damit einhergehenden bürokratischen Aufwand, der viele potentiell interessierte Leistungserbringer abschreckte, und an der insbesondere aus Sicht der Krankenhäuser unzureichenden Vergütung. Diese erfolgt immer noch auf Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM), obwohl § 116b Abs. 6 SGB V hier vorsieht, dass für die Vergütung der Leistungen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die KBV gemeinsam und einheitlich eine Kalkulationssystematik als diagnosebezogene Gebührenpositionen in Euro vereinbaren.
Im Rahmen der besonderen Versorgung nach § 140a SGB V können die Krankenkassen Verträge mit bestimmten Leistungserbringern schließen. Diese Verträge ermöglichen eine »verschiedene Leistungssektoren übergreifende oder eine interdisziplinär fachübergreifende Versorgung« sowie besondere ambulante ärztliche Versorgungsverträge unter Beteiligung vertragsärztlicher Leistungserbringer oder deren Gemeinschaften (Abs.1). Die besondere Versorgung bietet auch die Grundlage, um die seit dem GKV-VSG nicht mehr im Gesetz verankerten Strukturverträge (vormals § 73a) und die besondere ambulante Versorgung (vormals § 73c) weiterhin durchzuführen. Als Vertragspartner der Krankenkassen sieht Abs. 3 vor:
• zur vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten berechtigte Leistungserbringer oder deren Gemeinschaften,
• Träger von Einrichtungen, die eine besondere Versorgung durch zur Versorgung der GKV- Versicherten berechtigten Leistungserbringer anbieten,
• Pflegekassen und zugelassene Pflegeeinrichtungen,
• Praxiskliniken,
• pharmazeutische Unternehmen und Hersteller von Medizinprodukten sowie
• KVen zur Unterstützung von an der besonderen Versorgung teilnehmenden Mitgliedern.
Im Unterschied zu den vier obigen Optionen einer sektorenübergreifenden Versorgung gehört die besondere Versorgung ähnlich wie die Modellvorhaben nach § 63 ff. SGB V und die hausarztzentrierte Versorgung (§ 73b) zu den selektivvertraglichen Versorgungsformen, an denen Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte freiwillig teilnehmen. Die besondere Versorgung erlaubt, dass die Vertragspartner von den Vergütungsregelungen des SGB V abweichen und hier eine andere Honorierung vereinbaren können. Ferner besteht die Möglichkeit, zusätzliche Leistungen in die besondere Versorgung aufzunehmen, sofern hierzu kein ablehnender Beschluss des G-BA vorliegt. Die Krankenkassen erhalten somit die Chance, sich über Vereinbarungen mit ausgewählten Leistungserbringern und zusätzlichen Leistungen sowie besonderen Versorgungskonzepten im Wettbewerb um Versicherte aussichtsreich zu positionieren. Das Gesetz zwingt die Vertragspartner in Abs. 2 allerdings, dazu die Wirtschaftlichkeit der besonderen Versorgung »spätestens 4 Jahre nach dem Wirksamwerden der zugrunde liegenden Verträge« nachzuweisen.
Gemessen an dem Ausgabenanteil, den die besondere Versorgung mit nicht einmal 1 % an den GKV-Gesamtausgaben einnimmt, verlief ihre bisherige Entwicklung enttäuschend. Dabei erreichten im Jahre 2018 auch die gesamten Ausgaben für die selektivvertragliche Versorgung, d. h. unter Einschluss der Modellvorhaben und der hausarztzentrierten Versorgung, nur einen Anteil von ca. 3.3 % der gesamten Ausgaben für die Versorgung durch Vertragsärzte und Krankenhäuser (Albrecht 2019,S. 5; siehe auch Ehlert u. a 2019, S. 189 ff.). Unter Integrationsaspekten fällt ins Gewicht, dass die besondere Versorgung eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung zwar ermöglicht, aber nicht zwingend voraussetzt, denn es reicht hier schon eine interdisziplinär fachübergreifende Versorgung aus. So weisen weder die Strukturverträge noch die besondere ambulante Versorgung, die nun unter die besondere Versorgung fallen, einen sektorenübergreifenden Bezug auf. Zudem entfiel mit dem GKV-VSG der ursprünglich im Gesetz enthaltene Populationsbezug als Sollvorschrift. Andererseits bildete die besondere Versorgung vielfach die Grundlage für andere Versorgungskonzepte, so z. B. bei den Praxisnetzen. Zudem vermochten die selektiven Verträge durch ihre wettbewerblichen Beziehungen zur kollektiven Vertragsgestaltung diese zu mehr Flexibilität zu bewegen bzw. zu zwingen.