Читать книгу Intersektorale Versorgung im deutschen Gesundheitswesen - Группа авторов - Страница 22
2.3.2 Ergebnisse der Neuberechnung der Verhältniszahlen
ОглавлениеFür die hausärztliche und allgemeine fachärztliche Versorgung wurden morbiditätsgewichtete Verhältniszahlen auf Grundlage von Individualdaten aus dem ambulanten Abrechnungsgeschehen entwickelt. Für die spezialisierte und gesonderte fachärztliche Versorgung (mit Ausnahme der Internisten) wurden explorativ morbiditätsgewichtete Verhältniszahlen auf der Grundlage von aggregierten Daten berechnet. Das Gutachten konnte zeigen, dass eine valide Neuberechnung der Verhältniszahlen unter Berücksichtigung der arztgruppenspezifischen Morbiditätsstruktur auf Grundlage von Abrechnungsdaten auf Ebene von Individuen möglich ist. Wohlbegründet spezifizierte Modelle kommen zu
Tab. 2.1: Kriterien zur Operationalisierung des Versorgungsbedarfs
Kriterien zur Operationalisierung des Versorgungsbedarfs
ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich der morbiditätsbedingten Gewichtung. Im Sinne einer effizienten Modellierung, die mit wenigen und gut begründeten Variablen robust den Versorgungsbedarf einer Bevölkerung approximiert, empfehlen die Gutachter die Aufnahme von Alters- und Geschlechtsgruppen, klassifizierten Krankheitsgruppen und Multimorbidität als Bedarfsindikatoren in die Modellierung. Diese Variablen erklären zu hohen Anteilen die Umverteilungseffekte und sind gemäß der aufgestellten Kriterien konzeptionell wohlfundiert. Die Koeffizienten der Years of Life Lost (YLL) und Years Lived with Disability (YLD) waren selten statistisch signifikant und trugen quantitativ kaum zur Umverteilung bei.
Die Operationalisierung des ärztlichen Versorgungsaufwands erfolgte als ärztlicher Leistungsaufwand oder als Behandlungsfälle auf Grundlage ambulanter Abrechnungsdaten. Grundsätzlicher Vorteil dieser Datengrundlage ist, dass sie auf der Grundgesamtheit gesetzlich Versicherter basiert, die Vertragsarztleistungen in Anspruch genommen haben, und hohe externe Validität aufweist. Krankheitslast und verwandte Gesundheitsprobleme werden mittels der ICD-10-GM-Klassifikation von Vertragsärzten bei Anspruch von Leistungen durch Patienten kodiert. Da im ambulanten Sektor keine allgemeingültigen Richtlinien für die Kodierung von Krankheiten existieren, muss der dokumentierende Vertragsarzt Entscheidungen innerhalb eines Ermessensspielraums treffen. Entsprechend können die kodierten Diagnosen für eine Indikation beispielsweise in Abhängigkeit von Gewohnheiten, Erfahrung und Praxis der dokumentierenden Ärzte und somit auch regional variieren. Zur Stärkung der Datengrundlage zur Berechnung bedarfsgerechter Verhältniszahlen empfehlen die Gutachter Richtlinien, welche die Kodierqualität ambulanter Diagnosen verbessern.
Weiterhin wird empfohlen, die morbiditätsgewichteten Verhältniszahlen auf einem Querschnitt von mindestens drei Jahren zu berechnen, um Variationen zwischen den Planungsbereichen aufgrund von Ausreißern in einzelnen Jahren zu reduzieren und die Morbiditätsgewichtung für einen mittelfristigen Planungshorizont auszulegen. Für Planungszwecke sollten die Verhältniszahlen zudem auf Ebene der Versicherten beziehungsweise auf Individualebene und nicht auf Grundlage aggregierter Daten errechnet werden, um robuste Ergebnisse sicherzustellen. Die Anpassung der Verhältniszahlen an die Morbiditätsstruktur führt zu niedrigeren Verhältniszahlen in Regionen mit relativ hohem Versorgungsbedarf je Einwohner. Diese Regionen weisen im Durchschnitt hohe Behandlungsfallzahlen je Arztpraxis und Deprivationsmerkmale auf. Sie liegen vermehrt in ländlichen Räumen, doch auch einige stark verdichtete Regionen und Großstädte weisen einen überdurchschnittlichen Versorgungsbedarf je Einwohner auf.
Die Abbildungen zu den von den Autoren errechneten Verhältniszahlen für die Hausärzte und die allgemeinen Fachärzte sowie ausgewählte spezialisierte und gesonderte Fachärzte auf Ebene der Planungsregionen finden Sie in dem Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung (siehe Sundmacher u. a., 2018).
In einem eigenen Schritt wurde auch die Berücksichtigung von Sozialindikatoren – in Form von Einzelindikatoren sowie als aggregierte Deprivationsindizes, welche soziale, ökonomische und umweltbezogene Dimensionen mit unterschiedlicher Gewichtung umfassen – bei der Schätzung des Versorgungsbedarfs geprüft. Ein maßgeblicher Vorteil sozioökonomischer Indikatoren ist, dass sie nicht abhängig und beeinflusst vom bestehenden Versorgungsangebot sind und somit – ähnlich zu Alters- und Geschlechtsgruppen – robuste Bedarfsindikatoren darstellen. Bezugnehmend auf die Kriterien der begründeten Auswahl der Bedarfsindikatoren und der Datenverfügbarkeit sowie der Maßgabe einer effizienten Modellierung wählten die Gutachter die Arbeitslosenquote als präferierten Indikator, um den sozioökonomischen Status abzubilden.
Ein Nachteil von Deprivationsindizes ist, dass sie den Einfluss einzelner Indikatoren unter Umständen verschleiern und ihre Aussagekraft von der Validität der getroffenen methodischen Annahmen zur Gewichtungsfunktion abhängt. Für eine zielgenaue Bedarfsplanung ist es jedoch wünschenswert, den spezifischen Einfluss der zugrunde gelegten Indikatoren zu analysieren, da die in den Indizes vorgenommene Gewichtung nicht im Hinblick auf die Planung vertragsärztlicher Kapazitäten entwickelt wurde.
Die bei der KBV vorliegenden ambulanten Abrechnungsdaten enthalten allerdings keine Information zu der sozioökonomischen Position der GKV-Mitglieder, sodass nur der Bezug von aggregierten sozioökonomischen Indikatoren zum Versorgungsbedarf innerhalb der Planungsbereiche hergestellt werden konnte. Dies eröffnet die Möglichkeit ökologischer Fehlschlüsse, die auch in den durchgeführten Schätzungen nicht ausgeschlossen werden konnten. Der psychotherapeutische Versorgungsaufwand steht zum Beispiel in den geschätzten Modellen in keinem positiven Zusammenhang mit aggregierten sozioökonomischen Indikatoren. Auch in Anbetracht der existierenden Literatur kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass Versicherte mit niedrigerem sozioökonomischem Status einen höheren Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung verbunden mit höherem Versorgungsaufwand aufweisen. Vor diesem Hintergrund kann die Aufnahme von aggregierten sozioökonomischen Variablen in die vorgeschlagene Modellierung nicht empfohlen werden. Letztlich resultieren die Unsicherheiten bei der Schätzung des sozioökonomisch bedingten Versorgungsaufwandes jedoch aus der Limitation der Datengrundlage. Die Gutachter empfehlen daher, als Grundlage eine Datenbasis in Struktur und Variablen ähnlich der des Risikostrukturausgleichs samt georeferenzierter Diagnosedaten mit Bezug zum Patientenwohnort und Angaben zum Betätigungsstatus der Mitglieder für die Zwecke der Bedarfsplanung zu verwenden, um eine auch rechtlich geforderte verlässliche Planungsgrundlage zu schaffen.