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3.2 Bedeutung sektoraler Vergütungsunterschiede

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Als Hauptursache der Schnittstellenprobleme im Bereich der sowohl ambulant als auch stationär durchführbaren Leistungen gelten die sektoralen Vergütungsunterschiede. Kritisiert wird eine fehlende Leistungsgerechtigkeit (vgl. Bock et al. 2017), denn die Vergütung gleicher ärztlicher Leistungen kann auch bei identischer Erkrankungsschwere der Patienten allein wegen unterschiedlicher Behandlungsorte (z. B. Arztpraxis, Krankenhausstation) stark variieren.

Es existiert eine Reihe von Hinweisen, dass Patienten in Deutschland zu häufig stationär anstatt ambulant behandelt werden und dass hierfür die sektoralen Vergütungsunterschiede eine wesentliche Ursache sind. So verweist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) darauf, dass in Deutschland das Potenzial ambulanter Operationen deutlich weniger erschlossen wird als in anderen Ländern (OECD 2018). Es gibt zwar einen Katalog ambulanter Operationen (AOP), die in gleicher Höhe und zu gleichen Bedingungen (keine Mengenbegrenzung, nicht budgetiert) vergütet werden, unabhängig davon, ob sie durch niedergelassene Ärzte oder durch Krankenhäuser durchgeführt werden. Aber erstens ist dieser Katalog veraltet und entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand der Möglichkeiten für ambulante und stationsersetzende Eingriffe,3 und zweitens können die im Katalog aufgeführten Leistungen auch stationär erbracht werden (Kategorie 1: im Einzelfall begründet, Kategorie 2: regulär), so dass hier die Anreizwirkungen der sektoralen Vergütungsunterschiede erhalten bleiben. AOP-Leistungen sind daher häufig Bestandteil vollstationärer Krankenhausbehandlungen mit kurzen Liegezeiten (Friedrich und Tillmanns 2016).

Nach stärkeren Zunahmen in den Jahren nach der Umstellung auf das DRG-Vergütungssystem ist die Anzahl ambulanter Operationen in den letzten Jahren insgesamt sogar leicht zurückgegangen (im Zeitraum 2011 bis 2018 um jahresdurchschnittlich 0,2 %), wobei einem leichten Anstieg im vertragsärztlichen Bereich ein stärkerer Rückgang in den Krankenhäusern gegenüberstand ( Abb. 3.1). Die geringen Anteile ambulanter Operationen in Deutschland wurden auch für einzelne Leistungsbereiche wie die Hernienchirurgie bestätigt und mit den Vergütungsunterschieden zwischen ambulanter und stationärer Durchführung der Operation begründet (Koch et al. 2013; Steger et al. 2019).4

Die (zu) geringe Ambulantisierung von Krankenhausleistungen in Deutschland zeigt sich darüber hinaus in

• einer Krankenhaushäufigkeit (Anzahl akut-stationärer Krankenhausfälle je 100.000 Einwohner), die um mehr als 40 % über dem Durchschnitt von zwölf ausgewählten EU-Ländern liegt (ohne Geburten, psychiatrische Fälle und Rehabilitation; Loos et al. 2019);

• einem Anstieg des Anteils so genannter Kurzlieger (Verweildauer 1-3 Tage) von 27,4 % im Jahr 2000 auf 43,3 % (2017);5

• einem Anteil so genannter ambulant-sensitiver Krankenhausfälle (ASK) (vgl. hierzu Albrecht et al. 2014, Sundmacher et al. 2015) in Höhe von knapp 20 % aller Krankenhausfälle (Loos et al. 2019).

Neben den intersektoralen Vergütungsunterschieden begründen auch die überdurchschnittlich hohen Krankenhauskapazitäten das große ambulante Potenzial in der stationären Versorgung in Deutschland.

Die sektoral getrennten Vergütungssysteme erschweren schließlich auch die Entwicklung innovativer Versorgungsformen, denn sie orientieren sich nach wie vor an den Kostenstrukturen der etablierten Organisationsformen (Krankenhaus einerseits, Einzelpraxis andererseits). Für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung in ländlichen Regionen mit schrumpfender und alternder Bevölkerung fällt es aber zunehmend schwerer, die Versorgungsangebote in ihrer herkömmlichen Form aufrechtzuerhalten. Intermediäre Formen, wie sie z. B. das Konzept der Intersektoralen Gesundheitszentren mit erweiterter ambulanter Versorgung vorsehen (Schmid et al. 2018), lassen sich auf Basis der sektoral getrennten Vergütungssysteme nicht adäquat finanzieren. Die Erwartungen, dass die Entwicklung solcher innovativen Versorgungsformen Hand in Hand mit der Entwicklung innovativer Vergütungsformen im Rahmen eines selektivvertraglichen Wettbewerbs der Krankenkassen vorangetrieben wird, haben sich bislang nicht erfüllt.

Abb. 3.1: Entwicklung ambulanter Operationen in der GKV: Anzahl und Ausgaben nach Leistungserbringer, 1996-2018 (Quelle: IGES auf Basis von Daten des BMG (KG2- und KG3-Statistik))

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