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3 Benötigt eine patientenorientierte Versorgung ein einheitliches Vergütungssystem? Martin Albrecht 3.1 Probleme einer sektorierten Versorgung

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Die »Sektoralisierung« zählt zu den Klassikern der Mängelbeschreibung des deutschen Gesundheitssystems. Sie bedeutet, dass für unterschiedliche Leistungs- bzw. Versorgungsbereiche – ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, Pflege, Rehabilitation – jeweils eigene Regelsysteme existieren. So gelten für diese Bereiche unterschiedliche Maßstäbe und Organisationsprinzipien für die Kapazitätsplanung, die Dokumentation, Vergütung und Abrechnung von Leistungen, den Umgang mit neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie für die Qualitätssicherung.

Die so genannten Schnittstellen an den Sektorengrenzen, also an den Übergängen zwischen den Leistungs- bzw. Versorgungsbereichen, gelten als wesentliche Problemzonen des Gesundheitswesens in Deutschland. Im Fokus der Diskussion steht hierbei die Grenze zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Diese Grenze zu beschreiben ist zunehmend schwieriger geworden, denn sie verläuft immer weniger eindeutig zwischen niedergelassenen Vertragsärzten und Krankenhäusern. Insbesondere für Krankenhäuser haben infolge einer Vielzahl gesetzlicher Maßnahmen in den letzten Jahren die Möglichkeiten zugenommen, Patienten auch ambulant zu versorgen (vgl. Leber und Wasem 2016, Walendzik und Wasem 2019). Und die aktuelle Debatte über die Notfallversorgung zeigt, dass Krankenhäuser verstärkt von Patienten für ambulante Versorgung in Anspruch genommen werden.

Worin genau bestehen nun die Probleme, die durch die Schnittstelle verursacht werden? Im Zusammenhang mit der Sektorengrenze von ambulanter und stationärer Versorgung sind zwei grundsätzliche Arten von Defiziten zu unterscheiden.

Die erste Art negativer Auswirkungen der Sektorengrenze sind Versorgungsbrüche beim Übergang von einem Leistungsbereich in den anderen. Ein augenfälliges Beispiel hierfür ist die weiterführende ambulante, rehabilitative und/oder pflegerische Versorgung nach Krankenhausaufenthalten. Hierbei auftretende Versorgungsbrüche haben den Gesetzgeber dazu veranlasst, mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz im Jahr 2015 das Entlassmanagement der Krankenhäuser umfassend zu reformieren. Krankenhäuser haben nun erweiterte Möglichkeiten, Nachbehandlungen zu veranlassen und Leistungen (u. a. Arznei-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege) für einen Übergangszeitraum zu verordnen sowie Arbeitsunfähigkeit zu bescheinigen.2 Das Entlassmanagement ist somit ein weiteres Beispiel dafür, dass die Sektorengrenzen aus Sicht der Leistungsanbieter – und hier vor allem der Krankenhäuser – durchlässiger geworden sind. Allerdings wird damit nur ein Teil des Problems adressiert, der sich zudem auf zeitlich eng begrenzte Phasen der Versorgung bezieht.

Die Versorgung der in einer alternden Gesellschaft wachsenden Gruppe älterer Patienten mit chronischen bzw. mehrfachen Erkrankungen ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass häufiger über längere Zeiträume Leistungen aus mehreren Sektoren – zeitgleich oder konsekutiv – benötigt werden. Für eine integrative Versorgung dieser Patienten, bei der die unterschiedlichen Leistungsanbieter sektorenübergreifend koordiniert zusammenwirken, stellen die existierenden regulativen und institutionellen Sektorengrenzen nach wie vor hohe Hürden dar. Ähnlich gestaltet sich die Situation für Patienten mit komplexen (z. B. psychiatrischen) Erkrankungen.

Die zweite Art von Schnittstellenproblemen betrifft die optimale Zuordnung von Patienten zu möglichen Versorgungssettings. Diese Aufgabe stellt sich immer dann, wenn Behandlungen sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden können. Die sektorale Trennung der Versorgung kann nun bewirken, dass sich die Zuordnung nicht konsequent an den medizinisch-pflegerischen Patientenbedürfnissen orientiert, sondern primär durch anderweitige (regulatorische) Rahmenbedingungen beeinflusst wird. Hierzu zählen u. a. die freie Wahl der Leistungsanbieter und regional unterschiedliche Möglichkeiten des Zugangs zu Versorgungsangeboten sowie Unterschiede bei Vergütung und Mengenregulierungen. Ein Versorgungsdefizit ergibt sich dann, wenn infolgedessen ein gemessen an den Patientenbedürfnissen ineffizientes Behandlungssetting gewählt wird.

Diese Art von Schnittstellenproblem gewinnt im Zuge des medizinisch-technischen Fortschritts an Bedeutung, der es ermöglicht, dass bislang stationär durchgeführte Behandlungen zunehmend auch ambulant erbracht werden können. Verschärft wird die Situation durch den o. g. Umstand, dass Krankenhäuser vermehrt in der ambulanten Versorgung tätig sind und somit für eine wachsende Zahl von Leistungen beide Versorgungsformen »unter einem Dach« anbieten.

Intersektorale Versorgung im deutschen Gesundheitswesen

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