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3.4 Vereinheitlichung von Vergütungssystemen als Lösung?

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Wie kann den Schnittstellenproblemen an der ambulant-stationären Sektorengrenze begegnet werden? Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR-G) fordert schon seit Jahren eine umfassende Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen an der Schnittstelle ambulant/stationär zwischen den niedergelassenen (Fach-)Ärzten und den Krankenhäusern, d. h. gleiche Leistungsdefinitionen, Qualitätssicherung, Vergütung (einschließlich Investitionsfinanzierung und Vorhaltekosten), Zugangsmöglichkeiten zu neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, Preise veranlasster Leistungen (z. B. Arznei-/ Hilfsmittel), mengenbezogene Regulierungen sowie Versorgungsplanung (SVR-G 2018, SVR-G 2009). Speziell für die Vergütung wird gefordert, dass der Ort bzw. Sektor der Versorgung keine Unterschiede mehr begründen darf und stattdessen konsequent das Leitprinzip »gleicher Preis für gleiche Leistung« gelten müsse (Bock et al. 2017, Herr et al. 2018).

So intuitiv diese Forderungen nachvollzogen werden können, stellen sich doch einige grundlegende Fragen. Zunächst: Sollen die Rahmenbedingungen für die gesamte – bislang sektoral organisierte – Versorgung vereinheitlicht werden? Oder sollte man sich vorerst darauf konzentrieren, unter Anreizgesichtspunkten vordringlich die Vergütungsunterschiede im Schnittstellenbereich abzubauen? Falls ja: Wie bzw. nach welchen Kriterien soll dieser Schnittstellenbereich abgegrenzt werden? In der fachlichen Diskussion gibt es hierzu durchaus unterschiedliche Vorstellungen. Zu möglichen Ansatzpunkten zählen die Weiterentwicklung des AOP-Katalogs (wie von der Bundesregierung mit dem MDK-Reformgesetz geplant), der Ausbau der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) (vgl. SVR-G 2018) oder ambulante Klinikleistungen z. B. der Hochschulambulanzen oder psychiatrischen Institutsambulanzen (Leber und Wasem 2016). Andere fordern, die Vergütung wesentlich umfassender für die gesamte fachärztlich-ambulante Versorgung (Malzahn und Jacobs 2016) oder den gesamten ärztlichen Bereich (Bock et al. 2017) zu vereinheitlichen.

Wie sähe eine einheitliche Vergütungsstruktur aus, bei welcher der Ort bzw. Sektor der Versorgung keine Rolle mehr spielt? Zu klären ist, wonach die Vergütungshöhe differenziert werden soll. Das Leitprinzip »gleicher Preis für gleiche Leistung« legt nahe, dass die Leistung unabhängig vom Ort den Bezugspunkt bildet. Bei gleicher Leistung können sich aber die Aufwandsunterschiede in Abhängigkeit von den jeweiligen Patientenbedürfnissen erheblich voneinander unterscheiden, beispielsweise weil die Behandlung von Patienten mit Komorbiditäten ggf. die zusätzliche Vorhaltung von ärztlicher Expertise aus anderen Disziplinen erfordert oder weil sich bei älteren Patienten ohne (pflegerische) Unterstützung zu Hause einem ambulant durchführbaren Eingriff eine medizinische Überwachung mit stationärem Aufenthalt anschließen sollte. Zu erwarten wäre, dass die Vergütungen für unterschiedliche Leistungen zumindest teilweise deutlich weniger stark variieren als die Vergütungen für gleiche Leistungen, wenn diese nach unterschiedlichen Patientencharakteristika differenziert würden. Damit wäre vor allem dann zu rechnen, wenn eine Differenzierung nach Patientencharakteristika mittelbar die Unterschiede an notwendiger Vorhaltung stationärer Infrastruktur widerspiegelte.

Die Vereinheitlichung der Vergütung ist für den SVR-G eine zentrale Voraussetzung, um einen funktionsfähigen Wettbewerb zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern an der Schnittstelle ambulant/stationär zu erreichen bzw. diesen zu intensivieren (SVR-G 2018). Die Rolle bzw. Funktionsweise des Wettbewerbs bleibt jedoch weitgehend unklar. So betont der SVR-G gleichzeitig auch die Möglichkeit der Kooperation und engen Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern an der Schnittstelle ambulant/stationär »jenseits von wettbewerblichen Beziehungen« (SVR-G 2018, S. 364).

Welchen Beitrag kann nun Wettbewerb zur Lösung der Schnittstellenprobleme leisten und ist hierfür eine Vereinheitlichung der Leistungsvergütungen und weiterer Rahmenbedingungen erforderlich? Bei der Beantwortung dieser Frage hilft es, klar zwischen den beiden eingangs erläuterten Arten von Schnittstellenproblemen zu unterscheiden.

Das Schnittstellenproblem einer unzureichenden Ambulantisierung bislang stationär erbrachter Leistungen ist maßgeblich auf die – anhand der Fallbeispiele dargestellten – großen Vergütungsunterschiede zurückzuführen. Krankenhäuser, die eine Leistung sowohl ambulant als auch stationär anbieten, werden unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten stets die höher vergütete stationäre Versorgung bevorzugen, auch wenn dies aus Patientensicht nicht immer erforderlich ist. Dadurch wird das Gesundheitssystem insgesamt unnötig verteuert. Eine marktwirtschaftliche Wettbewerbslösung würde dadurch Kosteneffizienz erreichen, dass konkurrierende Anbieter bei gleicher Qualität geringere Preise verlangen und dadurch Nachfrage abziehen. In der Realität der GKV ist dieser marktwirtschaftliche Preismechanismus aber – aus anderen Effizienzgründen – außer Kraft gesetzt: Der Kostenträger, der die Preise zahlt, wählt nicht die Leistungsanbieter für die Patienten aus.

Mit einer Vereinheitlichung der Vergütungen würde man versuchen, eine vergleichbare Wirkung auf die Kosteneffizienz mittels Preisregulierung zu erreichen. Aber geht es hierbei um die Schaffung »fairer Wettbewerbsbedingungen«? Wettbewerb ist prinzipiell als ergebnisoffener Prozess angelegt, das Ziel einer Preisvereinheitlichung ist jedoch explizit vorgegeben, nämlich die Leistungsverlagerung von stationär zu ambulant und die dadurch ermöglichte Nutzung von Einsparpotenzialen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen nicht notwendigerweise Vergütungssysteme vereinheitlicht werden – mit all den o. g. komplexen Fragestellungen. Es gibt eine Reihe alternativer Optionen, z. B. die bereits geplante Aktualisierung des AOP-Katalogs und seine Erweiterung um (nicht-operative) stationsersetzende Behandlungen, verbunden mit strengeren Vorgaben und deren Überwachung, wann Patienten in Ausnahmefällen stationär behandelt werden können. Man könnte also die Sektorengrenze nicht durchlässiger, sondern – zumindest in die eine Richtung – undurchlässiger machen.

Regulär würden alle ambulant erbringbaren Leistungen auf EBM-Niveau vergütet. Benötigen Patienten aufgrund von Begleitumständen eine stationäre Überwachung, könnte diese zusätzlich vergütet werden und wäre separat zu bepreisen. Die ambulant erbringbaren Leistungen wären so der allgemeinen Gemeinkostenumlage im DRG-System entzogen. Einheitlich wäre dann nur die Vergütung für die ärztliche Kernleistung. Für weitere Kostenbestandteile (z. B. Vorhaltung von Betten- und Pflegekapazitäten) könnten Vergütungen nach Patientenbedürfnissen differenziert werden. Hierfür wäre ein neuartiges Differenzierungssystem notwendig, denn um den individuellen Bedarfsunterschieden zu entsprechen, ist ein breites Spektrum möglicher Behandlungssettings zu berücksichtigen, dem der gegenwärtig dominierende Dualismus der Vergütungsoptionen (ambulant/stationär) nicht gerecht wird.

Alternativ könnten auch (befristet) Zuschläge für die ambulante Durchführung von ambulantisierbaren Behandlungen gezahlt werden. Ein Vergütungsmodell in England sieht sogar vor, dass bei Operationen die ambulante Durchführung übergangsweise höher vergütet wird als die stationäre, bis sich die ambulante Durchführung zum Standard entwickelt (OECD 2018). Bereits Ende der 1970er Jahre wurden in Bayern Vergütungsanreize für die ambulante ärztliche Tätigkeit erprobt, um eine Verlagerung von Behandlungsfällen aus dem stationären in den ambulanten Versorgungssektor zu erreichen und so den kostenaufwendigen stationären Bereich zu entlasten (Schwefel et al. 1986).8 Eine weitere Option wäre eine stärkere Förderung von »intermediären« Organisationsformen (z. B. Praxisklinik), etwa durch die Verpflichtung von Krankenkassen zum Abschluss von Verträgen.

Eine wesentliche Ursache der geringen Ambulantisierung sind letztlich die defizitären Krankenhausstrukturen in Deutschland. Strukturbezogene Maßnahmen, die den Abbau von Überkapazitäten sowie die Bildung von Zentren und vertikalen Netzwerken fördern (wie z. B. Mindestmengen), könnten sich daher als effektiver im Vergleich zu größeren Umbauten im Vergütungssystem erweisen.

Bei der anderen Art von Schnittstellenproblem – den Versorgungsbrüchen und der mangelnden Integration von Versorgungsbeiträgen aus unterschiedlichen Sektoren bei Patienten mit komplexer Morbidität – sind weniger intersektorale Vergütungsunterschiede i. e. S. die Ursache, sondern die Budgetierungen bzw. sektoralen Mengenbegrenzungen als Teil der Vergütungssysteme sowie der Umstand, dass sektorenübergreifende Koordinationsleistungen dort kaum abgebildet werden. Ein wettbewerblicher Lösungsansatz zielt hier auf dynamische Effizienz, also die Entwicklung bedarfsgerechter Innovationen und neuer Versorgungsformen, die sich – für bestimmte Patientengruppen – von den etablierten sektoralen Strukturen lösen.9 Wettbewerb soll in diesem Kontext ein ergebnisoffener Prozess sein, um herauszufinden, wie in effizienter Weise Behandlungsbestandteile auf unterschiedliche Leistungsanbieter aufgeteilt, Leistungen koordiniert und aufeinander abgestimmt und eine Integration organisatorisch und infrastrukturell gestaltet werden können. Die Entwicklung innovativer Vergütungsmodelle – z. B. anbieterübergreifende und zeitraumbezogene Leistungskomplexpauschalen nach Erkrankungsschwere – wäre ein ganz wesentlicher Bestandteil eines solchen Such- und Entdeckungsprozesses.10 Ein vereinheitlichtes Vergütungssystem wäre hier entsprechend kontraproduktiv.

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