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1.2 Zielsetzungen und Konzepte einer sektorenübergreifenden Versorgung
ОглавлениеHinsichtlich der Reformvorschläge für eine effizientere und effektivere sektorenübergreifende Versorgung lassen sich drei verschiedene Zielsetzungen unterscheiden, die auch unterschiedliche Maßnahmen erfordern. Dies schließt nicht aus, dass zwischen diesen Zielsetzungen und ihren entsprechenden Maßnahmen Interdependenzen bestehen. Obgleich auch an den Schnittstellen der übrigen Leistungssektoren ein Reformbedarf existiert, konzentrieren sich die folgenden Ausführungen vor allem auf den ambulanten und stationären Bereich.
Die erste und grundlegende Zielsetzung betrifft die optimale Allokation von ambulanten und stationären Leistungen. Bei substitutiven Beziehungen zwischen diesen beiden Sektoren schreibt § 39 Abs. 1 SGB V eine ambulante Versorgung vor. Leistungsverlagerungen vom stationären in den ambulanten Sektor sollten im Sinne von Effizienz und Effektivität immer dann erfolgen, wenn sie die gesundheitlichen Outcomes, d. h. Lebenserwartung und -qualität, verbessern, den Präferenzen der Patienten besser entsprechen oder, was zumeist der Fall ist (siehe die Berechnungen von Wille und Erdmann 2011, S. 204 ff. sowie Albrecht und Al-Abadi 2019, S. 15 ff.) weniger knappe Ressourcen benötigen. Es geht somit darum, dass die jeweilige Behandlung im adäquaten Leistungsbereich stattfindet und keine sektorenspezifische Über-, Unter- oder Fehlversorgung entsteht. Wie zahlreiche Autoren konstatieren, besitzt Deutschland auch im Vergleich zu ähnlich entwickelten Gesundheitssystemen ein beachtliches derzeit noch nicht ausgeschöpftes Potential an Substitutionsmöglichkeiten von stationären durch ambulante Behandlungen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2012, Ziffer 290 ff.; Bund-Länder-AG »sektorenübergreifende Versorgung« 2019, S. 5; Augurzky 2019, S. 39).
Eine effiziente Erbringung von ambulanten und stationären Leistungen garantiert aber noch keine sektorenübergreifende Versorgung, bei der im Rahmen integrierter Konzepte Haus- und Fachärzte sowie Krankenhäuser miteinander kooperieren und so ihre jeweiligen Behandlungen aufeinander abstimmen (Straub et al. 2016, S. 14 f). Eine bedarfsgerechte, kontinuierliche Versorgung bedarf im Sinne der zweiten Zielsetzung aus sektorenübergreifender Perspektive einer aufeinander abgestimmten Verzahnung der jeweils beteiligten Leistungssektoren (Barmer Ersatzkasse 2019, S. 11). Als geeignete Grundlage bietet sich auf dieser Ebene eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung an, die sich weniger an Arztsitzen und Krankenhausbetten, sondern an der Erbringung eines bestimmten Leistungsspektrums orientiert (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesens 2018, Ziffer 521). Eine in dieser Konzeption sektorenübergreifende Versorgung könnte auch an der Schnittstelle ambulant/stationär einen Preis- und Qualitätswettbewerb zwischen ambulante (Fach-)Ärzten und Krankenhäusern auslösen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen 2012, Ziffer 207 ff; Klakow-Franck 2016).
Das Votum für eine integrierte sektorenübergreifende Versorgung lässt aber immer noch offen, ob diese auf der Grundlage von kollektiven Verträgen oder im Rahmen von Selektivverträgen erfolgt. Ein Qualitätswettbewerb in der Regie einzelner Krankenkassen kann nur im selektivvertraglichen Bereich stattfinden. Bei dieser dritten Variante der Zielsetzung, welche die beiden anderen mit einschließt, besitzen die einzelnen Krankenkassen die Möglichkeit, sich durch innovative Versorgungsangebote gegenüber ihren Versicherten wettbewerblich zu profilieren. Dieser selektive Qualitätswettbewerb könnte ein Gegengewicht zu dem bisher eindeutig dominierenden Wettbewerb der Krankenkassen um günstige (Zusatz-) Beitragssätze bilden.