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Einleitung

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Das XXXII. Romanistische Kolloquium, das vom 15. bis zum 17. Juni 2017 an der Leibniz Universität Hannover veranstaltet wurde, widmete sich dem Thema „Fachbewusstsein der Romanistik“. In Zeiten der fortschreitenden Ökonomisierung und der einseitig verstandenen „Internationalisierung“ der universitären Forschung und Lehre, die sich in den beiden ersten Jahrzehnten des 21. Jh. vor allem durch substantielle Stellenkürzungen auf das Fach Romanistik ausgewirkt haben, muss die Frage „Quo vadis, Romani(stic)a?“ neu gestellt werden. Die hier zu präsentierenden Antworten darauf lassen sich schwerpunktmäßig drei Themenblöcken zuordnen: Theorien und Methoden, Romanistik-Studium und Zukunftsperspektiven des Faches. Den roten Faden, der sich durch die Mehrheit der Texte zieht, bilden Überlegungen zum Sinn und Zweck der sogenannten „Voll-„ bzw. „Mehr-Fach-Romanistik“ und zum heutigen Selbstverständnis der romanischen Sprachwissenschaft. Weitere Schwerpunkte betreffen „zentrale“ und „randständige“ Gebiete der Romanistik, den Stellenwert identitätsstiftender Wissenschaftsdiskurse, eine Verzahnung zwischen der Romanistik und der Politik, den Ist-Zustand der romanistischen Studierendenschaft, das methodische Verbesserungspotenzial sowie die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Engagements seitens der Fachvertreter*innen. Der vorliegende Band versammelt die in Hannover gehaltenen Vorträge, Impulsreferate im Rahmen der Diskussionsrunden „Was soll der romanistische Nachwuchs können?“ und „Vollromanistik: Pro und Contra“ sowie zwei ergänzende Beiträge von Johannes Kramer und Georg Kremnitz.

Der Beitrag von Johannes Kramer, „Selbstdarstellungen der Romanistik während der Gründungsphase, um 1900 und nach 1988“, bietet einen fachgeschichtlichen Einstieg und vergleicht Meilensteine der romanistischen Forschung von den Anfängen bis heute. Die Gründerväter der Romanistik beschäftigten sich zunächst mit älteren Texten aus hermeneutischer Perspektive und hielten die Nähe zur klassischen Philologie sowie die Einheit von Sprach- und Literaturwissenschaft für selbstverständlich. Am Anfang des 20. Jh., in der Blütezeit der historisch-vergleichenden Romanistik, wurde eine Synthese der bereits umfangreichen Forschungsergebnisse in einer Reihe großangelegter Einführungswerke und Handbücher geleistet. Zwischen den beiden Weltkriegen wurde das Fach auf das Essentielle reduziert, ein Neuanfang gelang erst in den 60er Jahren des 20. Jh. Der Übergang vom 20. zum 21. Jh. zeichnete sich erneut durch romanistische Großprojekte wie das Lexikon der romanistischen Linguistik und die Romanische Sprachgeschichte aus. Das aktuelle romanistische Großunternehmen, die Reihe Manuals of Romance Linguistics, behandelt eine prinzipiell offene Menge von romanistischen Teilgebieten und übertrifft somit in seinem Anspruch und Umfang die früheren Summae Romanisticae, wobei das Deutsche als Publikationssprache nicht mehr zugelassen ist.

Ulrich Hoinkes stellt im Beitrag „La valeur méthodologique des quatre axiomes constitutifs de l’analyse philologique des langues romanes“ die folgenden vier Grundprinzipien der romanischen Sprachwissenschaft zur Diskussion: Die romanischen Sprachen gehen auf das gesprochene „Vulgärlatein“ zurück (Prinzip der Mündlichkeit); die romanischen Sprachen stammen nicht nur von einer, sondern von mehreren Sprachen ab (Prinzip der Heterogenität); die romanischen Sprachen haben sich aus protoromanischen Varietäten (Dialekten) im geographischen Raum kontinuierlich weiterentwickelt (Prinzip der Arealität); die romanischen Sprachen sind in einem komplexen Prozess der normativen Ausdifferenzierung entstanden (Prinzip der Standardisierung). Obwohl bereits dargelegt wurde, dass das „Vulgärlatein“ ein Konstrukt ist, fällt ein Abschied von diesem identitätstiftenden Konzept schwer, wie der Autor feststellt. Auch das Prinzip der Heterogenität, das dem bekannten romanistischen „Dia-Modell“ der „Spracharchitektur“ mit diatopischen, diastratischen, diaphasischen und diamesischen Varietäten zugrundeliegt, birgt Gefahren, wenn es unkritisch weiter tradiert wird. Das Prinzip der Arealität, dass mit der Sprachgeographie seine Blüte erfahren hat, sollte einer differenzierten historisch-sozial-kulturellen Betrachtung des Sprachraums weichen. In Bezug auf das Prinzip der Standardisierung schlägt der Autor eine auf Mündlichkeit basierende Standardologie vor, die im Unterschied zur diasystematischen Variation innersprachliche Nivellierungsprozesse in den Fokus rücken und die Dynamik sowie die sozial-normative Dimension der Standardisierungsprozesse berücksichtigen sollte.

Antje Lobin widmet sich im Beitrag „Von sprachlich korrekt zu politically correct. Normkonzepte im Wandel und Implikationen für die italienische und französische Sprachdiskussion“ einem kontrastiven Vergleich der Entwicklung und des Status quo der genderneutralen Sprache in Frankreich und Italien. Diese Form des politisch korrekten Gebrauchs wird sowohl in der Forschungsliteratur zum Italienischen als auch in derjenigen zum Französischen mehrheitlich negativ bewertet. Unterschiede lassen sich zum einen bei den Einstellungen der allgemeinen Bevölkerung gegenüber staatlichen Eingriffen in die Sprachnorm feststellen (Skepsis in Italien vs. Akzeptanz in Frankreich) und zum anderen bei den Positionen der beiden traditionsreichen Normierungsinstitutionen, der Accademia della Crusca, die sich inzwischen gegenüber der Feminisierung im institutionellen Kontext offen zeigt, und der Académie française, die den inklusiven Formen nach wie vor eine Absage erteilt. Die Autorin plädiert für ein Engagement der Romanistik zum Zweck einer umfassenden Deutung gesellschaftlicher Dynamiken rund um die Sprachnorm.

Felix Tacke rekonstruiert im Beitrag „Notizen zu einer historisch-vergleichenden kognitiven Grammatik“ die Geschichte der Sprachpsychologie, die im junggrammatischen Programm ihren Ursprung nahm und innerhalb der Romanistik mehrfach aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Am Beispiel des morphosyntaktischen Wandels von Zeigeaktkonstruktionen stellt er heraus, dass der sprachpsychologische Ansatz die Prämissen der aktuell einflussreichen Cognitive Linguistics US-amerikanischer Prägung vorweggenommen hat, während die modernen kognitivistischen Ansätze aber auch wichtige Aktualisierungen bereitstellen. Der Autor spricht sich für eine reflektierte und traditionsbewusste Synthese der junggrammatischen Sprachpsychologie mit den neueren kognitivistischen Modellen aus, um einen interpretatorischen Beitrag zum historisch-vergleichenden Studium der Grammatik der romanischen Sprachen zu leisten.

Silke Jansen und Alla Klimenkowa gehen im Beitrag „‚Zentrale‘ und ‚randständige‘ Gebiete in der Romanistik? Die Beispiele Sprachkontakt, Mehrsprachigkeit und Kreolsprachen“ der Frage nach, welche Rolle die Themenfelder Sprachkontakt, Mehrsprachigkeit und Kreolisierung im romanistischen Fachkanon gespielt haben. Sie stellen fest, dass obwohl die Beschäftigung mit mehreren Sprachen seit je zum Wesenskern der romanischen Sprachwissenschaft gehört hat, bis zur Jahrtausendwende die Erforschung romanischer Standardsprachen aus eurozentrischer Perspektive richtungsweisend war. Anhand reichen Datenmaterials zu Publikations- und Tagungsaktivitäten, Qualifikationsarbeiten, DFG-Forschungsprojekten, Stellenausschreibungen und Schwerpunktsetzungen bei Masterstudiengängen zeichnen die Autorinnen nach, dass aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz von Themen wie Migration und Mobilität, Schutz der Minderheitenrechte, Globalisierung und Postkolonialismus die einstigen Randgebiete sich inzwischen zu einem hochdynamischen Feld innerhalb der Romanistik entwickelt haben.

Carsten Sinner behandelt im Beitrag „Methodologische Probleme in der romanischen Sprachwissenschaft. Über fehlendes Varietätenbewusstsein, Verallgemeinerungen und Mängel in der Quellennutzung“ einige wesentliche Probleme der sprachwissenschaftlichen Auseinander­setzung aus der varietätenlinguistischen Perspektive: die Frage nach den Ebenen des innerromanischen Vergleichs bzw. die bei Aussagen zu verschiedenen Varietäten einer Sprache anzusetzenden Vergleichsebenen, u.a. die Frage nach der Abgrenzung von Idiolekt, Soziolekt und Funktiolekt, die Überbewertung des eigenen Idiolektes, Verallgemeinerung von Forschungsergebnissen sowie das Problem des sorglosen Umgangs mit Quellen und Ergebnissen anderer Studien. Eine Schieflage sieht der Autor ferner in der unkritischen Orientierung mancher Romanist*innen an den Postulaten der allgemeinen und der angloamerikanischen Sprachwissenschaft. Obwohl hinsichtlich der methodischen Sorgfalt Verbesserungspotenzial besteht, zeigen romanistische Untersuchungen aus romanischen Ländern und aus dem deutschsprachigen Raum eine stärkere Sensibilisierung für varietätenlinguistische Fragestellungen als US-amerikanische und englische Autor*innen aus denselben Fachgebieten oder Vertreter*innen der Germanistik und der allgemeinen Sprachwissenschaft.

Der Beitrag von Sylvia Thiele „Sprachenvielfalt schützen – Mehrsprachigkeit(sdidaktik) einfordern“ leitet den Abschnitt zum universitären Romanistik-Studium ein. Die Autorin setzt sich dafür ein, dass methodische Ideen zur rezeptiven Mehrsprachigkeit stärker in den Vordergrund gerückt werden, vor allem in Bezug auf romanische Klein- und Minderheitensprachen, und über den romanischen Sprachraum hinaus kultur- und sprachübergreifend, auch im Hinblick auf genetisch nicht verwandte Idiome Gebrauch finden sollten. Die Aufgabe mehrsprachiger Lehrender bestehe darin, Lernende für eine solche analytisch-didaktische Arbeitsweise zu sensibilisieren. Diese Kompetenzen sollten im ‚mehrsprachigen Klassenzimmer‘ an Schulen und Universitäten, u.a. auch in internationalen Studiengängen, eingeübt werden.

Die von Sandra Herling und Holger Wochele aufgeworfene Frage „Soll der wissenschaftliche Nachwuchs Lateinkenntnisse haben? – Bemerkungen zu Pro- und Contra-Standpunkten“ stellt bereits seit einigen Jahrzehnten einen Stein des Anstoßes in der Romanistik dar. Der Beitrag systematisiert die Argumente von Latein-Befürworter*innen, die einschlägigen romanistischen Publikationen entnommen sind, sowie von Latein-Gegner*innen am Beispiel der Debatte in Nordrhein-Westfalen über die Abschaffung des Latinums für Lehramtsstudiengänge. Ferner stellen die Autorin und der Autor die Frage nach der Angemessenheit der aktuell während des Universitätsstudiums erteilten ‚Crash‘-Latinumskurse. Auch ein Blick auf die Ausrichtung einzelner Studiengänge an Romanischen Seminaren Nordrhein-Westfalens zeigt, dass historische Inhalte, die Lateinkenntnisse voraussetzen würden, kaum mehr Berücksichtigung finden. Angesichts der sich wandelnden Studiengangs- und Forschungslandschaft erscheint eine Abschaffung der Latinumspflicht nachvollziehbar.

Alf Monjour stellt im Beitrag „Romanistik nach Bologna? Zum Nachdenken über zukünftige Positionen der romanistischen Sprach- und Kulturwissenschaften“ das Postulat der „Vollromanistik“, d.h. des Fachzuschnitts nach den Kriterien der historischen-vergleichenden Sprachwissenschaft, zur Debatte. Möglicherweise hat gerade dieser derzeit einzigartige Zuschnitt der romanistischen Fremdsprachenphilologie zu den Stellenkürzungen beigetragen, da wenige Professuren nach wie vor viele romanische Sprachen vertreten können. Der Ist-Zustand der Studierendenschaft am Beispiel eines mittelgroßen romanistischen Instituts an der Universität Duisburg-Essen lässt erkennen, dass die Mehrheit der Studierenden sowohl in den Lehramts- als auch in den Fachstudiengängen nur ein romanistisches Fach (Französisch oder Spanisch) belegen. Die Tatsache, dass zahlreiche Studierende bedingt durch aktuelle Migrationsbewegungen mehrsprachig sind, aber in der Regel nur eine romanische Sprache und kein Latein beherrschen, kann nicht ohne Folgen für das Fach und die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses bleiben. Die Konzentration der Romanist*innen auf die eine Zielsprache und die eine Zielkultur nicht nur in der Lehre, sondern auch in der Forschung scheint immer mehr überlebensnotwendig zu sein. An größeren Instituten dürfte die Möglichkeit einer Koexistenz romanistischer Komparatist*innen und einzelsprachlicher Sprach- und Kulturwissenschaftler*innen hingegen auch in Zukunft gegeben sein.

Aline Willems beschäftigt sich im Beitrag „Quo vadis, Romani(stic)a? Das romanistische Lehramtsstudium heute“ mit den Anforderungen an die Studierenden der romanistischen Lehramtsstudiengänge. Mit diesem Ziel untersucht sie die curricularen Vorgaben der Kultusministerkonferenz, die in den Prüfungsordnungen und Modulhandbüchern berücksichtigt werden müssen. Diese umfangreichen Vorgaben, unterteilt in fünf Studienbereiche Sprachpraxis, Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft sowie Fachdidaktik, wurden im Jahr 2017 darüber hinaus um das Themenfeld Inklusion ergänzt. Die Autorin stellt abschließend die Frage, ob dermaßen umfängliche Standards mit der Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie mit den allgemeinen Grundsätzen von Universitäten überhaupt vereinbar sind, so dass eine Rückkehr zu Pädagogischen Hochschulen bedacht werden sollte.

Der Abschnitt zu den Perspektiven des Faches Romanistik wird mit „Gedanken zu möglichen Konturen einer ‚engagierten‘ romanischen Sprachwissenschaft“ von Georg Kremnitz eingeleitet. Unter „Engagement“ versteht der Autor ethische Mindestanforderungen für wissenschaftliche Arbeiten und das Bewusstsein der Verantwortung für die Forschungsfolgen. Als Beispiel aus der Soziolinguistik nennt er die Auseinandersetzung zwischen den Vertreter*innen der Defizit- (Basil Bernstein) und Differenzhypothesen (William Labov), die einen erheblichen Einfluss auf die Unterrichtspraktiken in den westlichen Industriestaaten hatte, ohne jedoch das gewünschte Ziel – die sozialen Chancen der Unterschichten zu verbessern – erreichen zu können. Für ein vergleichbares Engagement in der Sprachwissenschaft, das humanistisch geleitet ist und sprach- bzw. bildungspolitische Reformen herbeiführen soll, empfiehlt der Autor entsprechend eine konsequent politisch denkende Vorgehensweise. Am zweiten Beispiel der unterschiedlichen Zählweisen der Sprachen zeigt er auf, welche Folgen die fragmentierenden und die synthetisierenden Darstellungen für die kommunikative Bedeutung der entsprechenden Varietäten haben können. Die Mindestvoraussetzung für soziolinguistische Forschung, insbesondere für die Beschäftigung mit Minderheitensprachen, ist folglich eine genaue Kenntnis der sozialen, politischen und sprachlichen Situation sowie eine eigene politische Positionierung.

Matthias Heinz reflektiert im Beitrag „Facheinheit vs. Auseinanderdriften der romanischen Sprachwissenschaft“ am Beispiel der Salzburger Romanistik über divergente und konvergente Entwicklungen innerhalb des Faches. Zunächst macht er auf fehlende Vergleichbarkeit zwischen kleineren und größeren Instituten sowie auf die stark aufgefächerten Fachmasterstudiengänge neben den klassischen Lehramtsstudiengängen aufmerksam. Neue Kombinationsstudiengänge wie Romanistik und Wirtschaft wurden zuletzt an mehreren Standorten, auch in Salzburg, gegründet. In der Forschung stehen die Vertreter*innen der allgemeinen und theoretischen Linguistik mit einem geringen Bezug zum Proprium des Faches den Romanist*innen traditioneller Prägung mit philologischen und sprachhistorischen Interessen gegenüber. Doch in vielen Fällen kommt es zu einem fruchtbaren Austausch, so dass unterschiedliche Sichtweisen auf Sprache sich ergänzen können. Um die Einheit des Faches zu bewahren, empfiehlt der Autor eine Reihe von Strategien: Allianzen mit der Slawistik, Skandinavistik und Latinistik, aber auch mit der Germanistik und Anglistik suchen; das Potenzial des komparatistischen Ansatzes ausschöpfen; Zusammenarbeit mit Romanistik-Instituten an anderen Universitäten fördern; die der Romanistik inhärente Internationalität nutzen; den Nachwuchs aus neuen Kombinationsstudiengängen gewinnen; wissenschaftliche Kommunikation auf Deutsch, in romanischen Sprachen und auf Englisch führen und den Mehrwert der Romanistik im Vergleich zur Linguistik tout court herausstellen (dazu gehört ein besonderes Verhältnis zur Sprachgeschichte, zum Sprachenvergleich und zur Variation).

Eva Martha Eckkrammer stellt im Beitrag „Romanische Philologie – Eintrittskarte in eine superdiverse Welt?“ die Frage nach adäquaten Bildungsinhalten sowie nach dem Stellenwert des Faches in der globalisierten und superdiversen Welt. Zum Einstieg diskutiert sie die aktuelle Situation der Romanistik in der Post-Bologna-Zeit auf der Grundlage einer Vollerhebung des Deutschen Romanistenverbandes e.V. im Studienjahr 2014/2015. Inzwischen hat eine flächendeckende Umstellung auf romanistische Monobachelor-Angebote stattgefunden, die als Folge der starren ECTS-Zähllogik gesehen werden kann. Genuine romanistische Studiengänge mit mindestens zwei romanischen Sprachen sind an nur wenigen Standorten vertreten, häufig beschränken sich diese entweder auf die Sprach- oder die Literaturwissenschaft. Ein weiteres Novum stellen zahlreiche mit anderen Fächern kombinierte Studiengänge dar. Obwohl gerade in Zeiten der Superdiversität und der EU-Erweiterung der Umgang mit Mehrsprachigkeit und Heterogenität eine Schlüsselrolle spielen sollte, wird der vergleichende Ansatz aufgegeben und die mehrsprachige Kommunikation, auch in der Romanistik, gibt dem einsprachigen Habitus auf Englisch statt. Die Autorin plädiert für den Einsatz der Romanist*innen für Minderheitensprachen sowie für eine selbstbewusste Kommunikation der romanistischen Expertise in den Bereichen der Interkulturalität, der sprachlichen Diversität sowie nicht zuletzt der Textkompetenz und der strukturierten Denkfähigkeit. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Appell, im Rahmen der europäischen Integration die hohe Bedeutung der romanischsprachigen Länder und ihrer Kulturen herauszustellen.

Elmar Eggert widmet sich im Beitrag „Interkulturelle Sensibilität als romanistische Kernkompetenz. Warum die Romanistik als übergreifend-vergleichendes Fach heute wichtiger denn je ist“ ebenfalls der romanistischen Expertise in den Bereichen der Interkulturalität und Diversität. Er hebt die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Einbindung der Romanistik hervor, die durch die Hinwendung zu kulturwissenschaftlichen und interkulturellen Fragestellungen erreicht werden kann. Als besonders geeignet für die Herausbildung interkultureller Kompetenzen sieht der Autor den gesamtromanistisch-vergleichenden Ansatz sowie die historische Betrachtung an. Die Romania ist dabei ein Raum, der nicht allein durch die genealogischen Verbindungen zwischen den romanischen Sprachen, sondern durch eine gemeinsame kulturelle Prägung zu begründen ist. Somit sollte die ausgeprägte interkulturelle Kompetenz, welche die Romanistik bereits seit ihrer Gründung auszeichnet, stärker nach außen transportiert werden.

Thomas Krefeld vertritt im Beitrag „FAIRness weist den Weg – von der Romanischen Philologie in die Digital Romance Humanities“ eine hoffnungsvolle Perspektive für eine konstruktive Zusammenarbeit im Sinne der Digital Humanities. Er stellt zunächst die traditionellen Wege der Wissenschaftskommunikation den neuen Möglichkeiten gegenüber und kommt zum Schluss, dass Webtechnologien klare Vorteile mit sich bringen. Die Pluspunkte der webbasierten Wissenschaftskommunikation sind in einigen Bereichen der romanischen Sprachwissenschaft, etwa in der Lexikographie, augenfällig. Am Beispiel des Projekts VerbaAlpina zeigt der Autor, welche Elemente eine umfassende virtuelle lexikographische und kartographische Umgebung ausmachen.

Der Beitrag „Fortschritt durch Interdisziplinarität. Methodische Offenheit in der Romanistik“ von Anna Ladilova und Dinah Leschzyk schließt den Band ab. Die Autorinnen vertreten die Ansicht, dass die gesellschaftliche Bedeutung der Romanistik durch das Zusammenspiel mit anderen Disziplinen geprägt wird. Einerseits sollten die romanistischen Fachteile Sprach-, Literaturwissenschaft und die Fachdidaktik näher zusammenrücken, statt sich voneinander wegzubewegen, andererseits sollte sich die Romanistik gegenüber anderen Fächern, die ebenfalls romanischsprachige Länder erforschen, öffnen. Wie dies gelingen kann, wird an zwei Beispielen, dem Feld der politischen Online-Kommunikation in Kombination mit der Kritischen Diskursanalyse sowie der Gestikforschung, aufgezeigt. Die Autorinnen legen außerdem nahe, dass Romanist*innen eine stärkere Positionierung und mediale Wirksamkeit als Expert*innen für gesellschaftliche Vorgänge in romanischsprachigen Ländern anstreben sollten.

Die Herausgeber*innen bedanken sich bei Kathrin Heyng (Narr Francke Attempto Verlag) für die Betreuung der vorliegenden Publikation sowie bei Dr. Marta Estévez Grossi und Daria Mengert für ihre tatkräftige Unterstützung bei der Erstellung der Druckvorlage.

Lidia Becker

Julia Kuhn

Christina Ossenkop

Anja Overbeck

Claudia Polzin-Haumann

Elton Prifti

Fachbewusstsein der Romanistik

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