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3 Die Romanistik im Gefüge der Universitäten des 19. Jahrhunderts
ОглавлениеDie eigentlichen wissenschaftlichen Höhepunkte der neuen Romanistik bildeten sich auf anderen Gebieten als im Bereich der Ausgaben von Einzeltexten heraus. Die Universitätsgeschichte in den deutschsprachigen Ländern hatte dazu geführt, dass sich ein tiefer Graben zwischen den Altphilologen, die einer allgemein wertgeschätzten Kategorie der Geisteswissenschaften angehörten, und den sogenannten modernen Philologen oder Neuphilologen, die mühsam um ihre Anerkennung rangen, auftat. Bei der Neukonstituierung der Universitäten 1810, die mit dem Namen Wilhelm von Humboldt verbunden zu sein pflegen, bekam die Altphilologie ganz selbstverständlich zwei Professuren in klassischer Philologie (Friedrich August Wolf, 1759–1824; August Boeckh, 1785–1867), während die erste ordentliche Professur für Romanistik in Berlin erst 1870 für den Schweizer Adolf Tobler (1835–1910) eingerichtet wurde, der seit 1867 Außerordentlicher Professor dort war. Für die vorangehende Zeit kann man natürlich nicht davon ausgehen, dass man sich nicht mit den modernen Sprachen abgab, aber das erfolgte meist nicht auf der normalen professoralen Ebene. Zuständig waren vielmehr die sogenannten Sprachmeister (frz. maîtres), die prinzipiell aus der schulischen Tradition stammten, wo sie für die Vermittlung von Sprachkenntnissen (und gesellschaftlichen Verhaltensformen) an die fortgeschrittenen Schüler verantwortlich waren (Schöttle 2015, 89). Vom 17. und 18. Jahrhundert an gab es Sprachmeister auch im Umfeld der akademischen Ausbildung, und da man mit der Vergabe des Titels Professor oft freigiebig umging (Kramer 2018a, 9), gab es unter den Sprachmeistern auch Träger dieser Bezeichnung. Eine Zeitlang gab es noch Professoren „alten Stils“ und Professoren „neuen Stils“ nebeneinander (Kramer 2018a, 10), bevor die Sprachmeister spätestens in den achtziger Jahren von der Bildfläche verschwanden.
Die neue „wissenschaftliche Neuphilologie“ konnte sich auf programmatische Schriften berufen, die in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts erschienen. Hier ist zunächst der früh verstorbene Karl W.E. Mager (1810–1858) zu nennen, der Begründer des Realschulwesens, der wohl den Begriff „moderne Philologie“ erfunden hat und deren drei Bestandteile „Kritik, Exegese und Theorie der Dichtkunst und Beredsamkeit“ festlegte (Swiggers 2014, 45). Adelbert von Keller (1812–1883), der sich besonders als Editor mittelalterlicher Texte einen Ruf erworben hat, hat in einer „Inauguralrede“ die Beschäftigung mit Sprache und Literatur als Aufgabe der modernen Philologie festgelegt (Swiggers 2014, 45) und die historisch-vergleichende Untersuchung des romanischen Sprachstammes als Zukunftsprogramm herausgearbeitet (Christmann 1985, 17). Carl August Friedrich Mahn (1802–1887) plaidierte schießlich 1863 für ein umfassendes Programm der romanischen Philologie: „L’auteur, qui fut le maître de Karl Bertsch, y plaide pour une organisation scientifique de la philologie moderne, dont le domaine englobe l’histoire littéraire, la grammaire historico-comparative, la grammaire de l’état actuel d’une langue et l’explication des auteurs“ (Swiggers 2014, 45).
Diese theoretischen Überlegungen hatten inzwischen auch ihren Einzug in die universitäre Praxis gehalten, wenn auch unter dem hinhaltenden Widerstand der Klassischen Philologen, die ihre wirkliche oder vermeintiche Vorrangstellung gefährdet sahen: Der Vorreiter ist der Dante-Spezialist Ludwig Gottfried Blanc (1781–1866), der 1822 in Halle an der Saale zum Professor für romanische Sprachen und Literaturen ernannt wurde, Friedrich Diez folgte in Bonn 1823, Adelbert von Keller 1841 in Tübingen, Konrad Hofmann 1853 in München und Karl Bartsch 1858 in Rostock (Swiggers 2014, 45).