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1.2 Die Ambulanz des Sigmund-Freud-Instituts
ОглавлениеIn der psychoanalytischen Sprechstunde der Ambulanz des SFI werden jährlich rund 500 Patienten mit unterschiedlichsten psychischen Störungen behandelt, Voraussetzung ist die Volljährigkeit. Ein Teil der Patienten konsultiert die Ambulanz aus eigener Initiative oder auf Empfehlung von Bekannten, Freunden und Verwandten. Ein anderer Teil kommt auf Überweisung von Haus- und Fachärzten, die konsiliarische Beratung wünschen, oder ihre Patienten in psychotherapeutische bzw. psychoanalytische Behandlungen vermitteln möchten. Einige Patienten haben dezidierte Vorstellungen über die Störung, an der sie leiden, andere nicht (zur Statistik Kap. 9). Die Patienten erhalten in der Institutsambulanz psychoanalytische Erstinterviews und bei Bedarf bis zu sechs Folgegespräche, in denen eine erste Diagnose- und Indikationsstellung erfolgt. Sofern am Institut keine Behandlungsmöglichkeit besteht, werden die Patienten bei der Suche nach einem geeigneten Therapieplatz unterstützt. Dies umfasst bei Bedarf eine aufklärende Beratung über die Unterschiede der Therapieformen mit Blick auf die vorliegende Indikationsstellung. In einigen Fällen, bspw. im Zusammenhang mit klinischen Studien, werden psychotherapeutische/psychoanalytische Behandlungen im Rahmen der Institutsambulanz durchgeführt.
Seit 1979 ermöglicht ein mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen abgeschlossener und regelmäßig erneuerter Institutsvertrag, dass die Erstinterviews, die probatorischen Sitzungen sowie die am Institut stattfindenden Behandlungen über die Krankenkassen abgerechnet werden können. Auf dieser Grundlage sichert die Ambulanz des SFI ihren Status als Versorgungs- und Forschungsambulanz. In besonderen Fällen, wenn keine Krankenversicherung vorliegt, werden probatorische und therapeutische Leistungen von Sozialämtern übernommen oder auch aus Institutseigenen Mitteln angeboten, bspw. in der Behandlung von Geflüchteten ( Kap. 7). Die Ambulanz des SFI hat in der gesamten Region einen hohen Bekanntheitsgrad (Kerz-Rühling 2005). Ihre Vernetzung mit niedergelassenen Kollegen, aber auch mit Kliniken wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten kontinuierlich ausgebaut. Die Nachfrage an die Institutsambulanzleistungen ist permanent hoch und übersteigt bei weitem die Kapazitätsgrenzen. Ohne die Mitarbeit niedergelassener Psychoanalytiker wären die Ambulanzleistungen nicht annähernd zu erbringen.
Die Kontaktaufnahme der Patienten zur Ambulanz des SFI erfolgt über das Ambulanzsekretariat. Vor dem Erstinterview werden sie gebeten, einen Dokumentationsbogen auszufüllen. Dieser umfasst die Erhebung soziodemografischer Daten, der psychotherapeutischen und psychiatrischen Vorbehandlungen, der Medikation etc. Danach erfolgt das 50-minütige Erstinterview. Nach dem Interview erstellt jeder Therapeut einen schriftlichen Bericht über das stattgefundene Gespräch. Dieser enthält anamnestische Angaben, sowie Angaben zum psychischen Befund, zur Psychodynamik der Erkrankung, zur psychischen Struktur, zur Diagnose, zur Indikationsstellung und zu den, mit den Patienten besprochenen Therapieempfehlungen. Die Diagnose besteht abgekürzt gesagt aus zwei Teilen: einer symptomatisch orientierten ICD-10 Diagnose und einer psychodynamisch orientierten Diagnose, die in der Regel Aussagen zum vorrangigen psychischen Konflikt, zu den Abwehrmechanismen, dem Strukturniveau etc. beinhaltet. Der in freier Form abgefasste Bericht des Therapeuten wird seit November 2018 durch einen Fragebogen, den der Therapeut ausfüllt, ergänzt. Er enthält skalierte Einschätzungen zur psychischen Struktur des Patienten, zur Art des Kontakts, zu Übertragung und Gegenübertragung, zur Prognose usw. Der Hintergrund dieser Neueinführung ist der Bedarf an Forschungsdaten zur empirischen Untersuchung bestimmter Fragestellungen bspw. des Einflusses bestimmter Übertragungs- und Gegenübertragungsstrukturen auf die Indikationsstellung ( Kap. 9).
In einer einmal wöchentlich stattfindenden Ambulanzkonferenz, an der die klinisch tätigen Ambulanzmitarbeiter teilnehmen, werden die Patienten der Woche vorgestellt. Ausgewählte Fälle werden eingehender besprochen und hinsichtlich der vorliegenden Psychodynamik, der Diagnose-, der Indikationsstellung und der Vermittlung der Patienten an geeignete Weiterbehandler diskutiert. Die vertiefenden Fallbesprechungen können der Vorbereitung auf weiterführende Gespräche dienen, falls diese erforderlich werden. In der Fallvorstellung gibt der Interviewer den Gesprächsverlauf wieder, d. h. die Spontanangaben des Patienten, die Schilderung seiner Symptomatik sowie seiner Lebens- und Krankengeschichte; zusätzlich vermittelt er der Gruppe einen Eindruck des Kontakts und der Interaktionsszenen, die sich mit dem Patienten konstelliert haben. Die Art und Weise, wie die Übertragungsangebote vom Behandler aufgenommen, innerlich verarbeitet und ggf. in verarbeiteter Form als Deutung dem Patienten (zurück-)vermittelt und bewusst gemacht werden konnten, und welche Konsequenzen daraus fürs weitere Gespräch folgten, sind die Hauptgegenstände der Fallvorstellung. Dass der Gruppe der Konferenzteilnehmer in der anschließenden Falldiskussion eine wesentliche Erkenntnisfunktion zukommt, versteht sich von selbst. Neue Einsichten und Erweiterungen des Fallverständnisses ergeben sich nicht nur durch die unterschiedlichen konzeptuellen (z. B. objektbeziehungstheoretischen, trieb-, selbst-, ichpsychologischen) Perspektiven, mit denen die Gruppenmitglieder auf das vorgestellte Material schauen. Vielmehr zeigt sich, dass sich bestimmte Strukturen des Interviewverlaufs, die ihrerseits mit den Strukturen des Falles zu tun haben, unbewusst in der Dynamik des Gruppenprozesses abbilden und im Idealfall erkannt und in den fallbezogenen Erkenntnisprozess integriert werden können ( Kap. 8). Die Kenntnisse und die langjährigen klinischen Erfahrungen der Ambulanzmitarbeiter im Umgang mit Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen verdichten sich hier zu psychodynamischen Hypothesen zur Fallstruktur, zu diagnostischen und indikatorischen Schlussfolgerungen. Durch die umfangreiche, jahrzehntelang gewachsene Vernetzung, die die Ambulanz des SFI, sowohl mit psychiatrischen, psychosomatischen und psychotherapeutischen Kliniken, als auch mit niedergelassenen Psychoanalytikern, Psychiatern und Psychotherapeuten unterhält, die in regelmäßigen Abständen ihre freien Plätze an die Ambulanz melden, gelingt es in den meisten Fällen, den Patienten geeignete Behandlungsempfehlungen zu geben.
An der Durchführung der Erstgespräche sind die klinisch tätigen, festangestellten Mitarbeiter des Instituts sowie eine Gruppe niedergelassener Psychoanalytiker und einige Ausbildungskandidaten beteiligt. Alle Mitarbeiter der Institutsambulanz sind Ärzte und/oder Psychologen, die in der Regel eine Weiterbildung zum Psychoanalytiker nach den Richtlinien der Deutschen und Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung abgeschlossen haben oder gerade absolvieren.
Abb. 1.2: Die ersten Mitarbeiter v.l.n.r.: Prof. Dr. H. Vogel, Fr. Müller-Reitsch, Dr. Munder, Prof. Dr. H. Argelander, Hr. Seifert, Fr. Gentes, Prof. Dr. W. Loch. 1960 Mit freundlicher Genehmigung des Sigmund-Freud-Instituts