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Christine Schörg AD FONTES Ausflüge zu den Anfängen der Welt

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Der Urgrund aber ist das Wasser.

Thales von Milet

Für den Menschen ist das Wasser Grundelement und Bedingung seines Lebens – lebensspendend, durststillend, reinigend: materia prima – und als solche hat er es seit jeher mit Sinn- und Symbolgehalt aufgeladen. Gleichzeitig ist das Wasser auch immer Herausforderung und Bedrohung gewesen und hat die Macht der Natur repräsentiert.

Spannung und Spektrum dieser Polarität sind im Zuge der Industrialisierung des Wassers im ganz Wesentlichen verloren gegangen, heute erleben wir das Wasser als objektiviert, in seiner Bedeutung segmentiert, reguliert, beherrscht, technisch verfügbar gemacht … – verschmutzt und bedroht.

„Wasser ist Leben“, sagen die Ökologen heute.

„Wasser wird bald kostbarer als Gold sein“, sagen UNO-Experten voraus.

Wenn wir – notwendigerweise – den Umgang des Menschen mit der Natur bzw. dem Wasser im Anthropozän reflektieren, führt uns diese Auseinandersetzung zurück zu den Ursprüngen des Menschen und seiner Kultur.

„Ich weiß nicht, wie das Universum angefangen hat, aber ich weiß, dass es angefangen hat. Eine Quantenfluktuation könnte den Urknall ausgelöst haben. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr, sehr klein, aber es muss ja nur einmal passieren. Diese Idee hat einst Stephen Hawking vorgeschlagen. Er könnte Recht haben. Mit dieser kuriosen Idee lässt sich der Urknall erklären.“

Guy Consolmagno,

Direktor der Vatikanischen Sternwarte


Abbildung 1: 28. Oktober 2019: Das Hubble-Teleskop fängt die Kollision zweier Galaxien bildlich ein.1

Incipit.2

Unser Sonnensystem entstand vor ca. 5 Milliarden, unsere Erde vor ca. 4,5 Milliarden Jahren. Wissenschaftler/innen haben starke Indizien dafür, dass es Wasser auf der Erde schon sehr lange gibt, wahrscheinlich (annähernd) seit ihrer eigenen Entstehungszeit. Die plausibelste Annahme geht davon aus, das Wasser stamme von Kometen oder Asteroiden aus Eis, die aus den äußeren, kalten Bereichen des Sonnensystems ins Zentrum gelenkt wurden und auf ihrem Weg auf die Erde stürzten. Ein derartiges „Bombardement“ hat es jedenfalls vor 4,1–3,8 Milliarden Jahren gegeben.3

Die Geschichte der Menschheit begann vor sechs Millionen Jahren in Afrika, sie war von Anfang an vom Wasser – bzw. vom fehlenden Wasser – bestimmt. Ursprünglich von einem riesigen Tropenwald bedeckt, hinterließen hier massive erdgeschichtliche Ereignisse ihre Spuren, und das Klima auf der Erde begann sich abzukühlen.4 In der Folge verschwanden die afrikanischen Wälder, und unsere Vorfahren siedelten sich in den weiten Savannenlandschaften des afrikanischen Ostens an. Unter den Herausforderungen der neuen Lebensumstände entwickelte sich der bipede Gang – damit ist jene bedeutende Zeitgrenze erreicht, an der sich die Stammeslinie der Menschenaffen von denen der Hominiden, den Menschenartigen, trennt. Auch das soziale Leben der ersten frühen Vertreter/innen des Homo erectus veränderte sich: Sie schlossen sich in größer werdenden Gruppen zusammen, und bald produzierten sie erste Werkzeuge. Man geht davon aus, dass sie aufgrund immer schwieriger werdender Nahrungsverhältnisse vor rund zwei Millionen Jahren ihre afrikanische Heimat verließen und sich im Nahen Osten ansiedelten, vielleicht auch schon in Südeuropa; eine zweite Wanderungswelle wird vor etwa 800 000 Jahren angenommen. In ihrer neuen Heimat passten sich die frühen Menschen den veränderten Umwelt- und Klimabedingungen an, und neue Hominidenarten entstanden, in Europa etwa der Homo heidelbergensis bzw. der Neandertaler.

Vor etwa 100 000 Jahren werden, wieder in Afrika, erste Vertreter/innen des höher entwickelten Homo sapiens sapiens – mit grazilerem Körperbau, größerem Gehirnvolumen und komplexerem sprachlichen Ausdruck – vermutet, die sich kontinuierlich ausbreiteten, sich mit anderen, archaischen Menschenarten vermischten bzw. diese aufgrund ihrer Überlegenheit verdrängten und so vor ca. 40 000 Jahren Mitteleuropa erreichten, vor mindestens 30 000 Jahren Australien und vor ca. 13 000 Jahren über die damals existierende Beringia-Landbrücke Amerika.5

Mit dem Pleistozän ging vor etwa 10 000 Jahren auch die letzte Kaltzeit zu Ende, in der noch Hunderte Meter dicke Eisflächen Nordeuropa bedeckt hatten. Mit dem Holozän begann nun, wenn auch mit Klimaschwankungen, ein wärmeres und doch relativ stabiles Erdzeitalter, damit war die Voraussetzung für die Entwicklung menschlicher „Hochkulturen“6 gegeben. Die ersten großen Reiche entstanden in fruchtbaren Gegenden, also immer an Flüssen7: in China am Huang He (Gelben Fluss), die Indus-Kulturen im Punjab (am bedeutendsten die Harappa-Kultur), die mesopotamischen Reiche Sumer, Babylon und Assyrien an Euphrat und Tigris, das ägyptische Pharaonenreich am mittleren und unteren Nil. Immer wurden neben der Erde (die das Flusswasser fruchtbar machte) die Flüsse, Seen und Meere, die die Menschheit ernährten, verehrt. Wasser hatte in jeder Kultur für das Alltagsleben der Menschen große Bedeutung, prägte aber auch deren spirituelle Vorstellungen und hat als Symbol große Bedeutung am mythischen, religiösen, kulturellen, historisch und sozial gelebten „Weltverstehen“ des Menschen.8

„Absolute Anfänge machen uns sprach los im genauen Sinn des Wortes. Dies aber ist es, was der Mensch am wenigsten erträgt und zu dessen Vermeidung oder Überwindung er die meisten Anstrengungen seiner Geschichte unternommen hat.“

Hans Blumenberg9


Abbildung 2: „Mundus subterraneus“ – Erddurchschnitt mit Zentralfeuer und Wasseradern. Kupferstich (nachkoloriert) von Athanasius Kirchner, 166410

Hans Blumenberg führt uns die Situation unserer ersten vormenschlichen Vorfahren drastisch vor Augen, wenn er von der unausweichlichen Notwendigkeit des Mythos spricht: Diese waren ganz der Natur und ihren Gefahren und einem „Absolutismus der Wirklichkeit“ ausgesetzt, der auf das blanke Überleben ausgerichtet war. Das „bedeutet, daß der Mensch die Bedingungen seiner Existenz nicht annähernd in der Hand hatte und, was schlimmer war, schlechthin nicht in seiner Hand glaubte.“11

Das Ringen mit Angst und Unerklärlichem kann aber nicht durch bloßen Willen beseitigt werden, und auch „primär nicht durch Erfahrung oder Erkenntnis, sondern durch Kunstgriffe, wie den der Supposition des Vertrauten für das Unvertraute, der Erklärungen für das Unerklärliche, der Benennungen für das Unbenennbare. Es wird eine Sache vorgeschoben, um das Ungegenwärtige zum Gegenstand der abwehrenden, beschwörenden, erweichenden oder depotenzierenden Handlung zu machen. Durch Namen wird die Identität solcher Faktoren belegt und angehbar gemacht, ein Äquivalent des Umgangs erzeugt. Was durch den Namen identifizierbar geworden ist, wird aus seiner Unvertrautheit durch die Metapher herausgehoben, durch das Erzählen von Geschichten erschlossen in dem, was es mit ihm auf sich hat“12, so beschreibt Hans Blumenberg den Mechanismus vorgeschobener imaginativer Instanzen und ihre Schutzfunktion.

Dem Unerklärlichen wird eine Wirklichkeit errichtet, Bedrohung wird benannt und damit zu einer dem Anschein nach berechenbaren Bezugs- und Umgangsgröße; Umgangsformen werden in kultischen Handlungen festgelegt. Die Höhle – Gegentopos zur gefährlichen freien Wildbahn – bietet dazu den geschützten Raum, hier kann dem „Absolutismus der Wirklichkeit“ der „Absolutismus der Vorstellungen, Wünsche – und Bilder“ entgegentreten, und dieser wirkte über die Höhle hinaus in die Welt.13

Der Schritt zum Bild – bzw. zum homo pictor, der ein Höhlenbild herstellt – ist ein wesentlicher, denn dazu gehört zuerst die Fähigkeit, ein Objekt über die reale Präsenz hinaus als Bild wahrzunehmen bzw. sich etwas Nichtvorhandenes vorzustellen. Ein Nachschöpfer ist potenziell auch immer ein Neuschöpfer: Zur frei gewählten, imaginierten Form und der Freiheit des Gestaltens kommt die Freiheit, etwas ganz Neues zu schaffen. Damit wird ein spezifisch und zutiefst menschliches Vermögen beschrieben.14

Kaiser Yŭ (chinesisch 禹) gilt als mystischer Begründer der chinesischen Zivilisation und Retter Chinas vor der großen Flut:

„Vor über 4000 Jahren wurde Yu von dem Kaiser Shun mit der Aufgabe der Flutbekämpfung beauftragt, weil damals die Überschwemmungen vom Gelben Fluss, dem ‚Mutterfluss der Chinesen‘, große Schäden angerichtet haben. 13 Jahre hat es gedauert, bis er den Fluss unter Kontrolle hatte. Dafür hat er sehr hart gearbeitet. Heute noch ist die Geschichte ‚Dreimal an der Haustür vorbei und nicht reingegangen‘ in aller Munde, denn: In den 13 Jahren, in denen Yu den Auftrag ausführte, ist er drei Mal an seinem Haus vorbei- und nicht reingegangen – beim ersten Mal gebar seine Frau ein Kind, beim zweiten Mal winkte er seinem Sohn zu, beim dritten Mal sagte er zu seinem Sohn (draußen vor dem Haus natürlich), dass er keine Zeit hätte, nach Hause zu gehen, solange das Problem mit der Überschwemmung nicht beseitigt wird. Er gilt als eine der wichtigsten Heldenfiguren in China.“15


Abbildung 3: Mai Lin (1180–1256), National Palace Museum, Taipei (Bildausschnitt)16

Im selben Ausmaß, wie sich beim Menschen das Bewusstsein entwickelte, mehrten sich auch die Fragestellungen und es wuchs das Bedürfnis, sich die Welt zu erklären – in Wort und Bild – zur Überwindung der „archaischen Fremdheit in der Welt“17 und zur Festigung des jeweils erreichten Weltzustandes als Ordnung des Kosmos’.

Konfuzianisches Denken, das Kollektiv immer über das Individuum stellend und jedem und jeder Einzelnen einen festen Platz im Staatsgefüge zuweisend, findet beispielsweise in der alten Legende vom Flut-Mythos Ausdruck (vgl. Abb. 3).

Das Anthropozän lernen und lehren

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