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Epilog

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Unbezweifelbar ist das Wasser als Landschaft und als Sinnbild eins der ältesten, großen, archetypischen Bilder der Dichtung überhaupt. Mircea Eliade82

Vom Anfang der Welt hat sich der Mensch als „das sinnbedürftige Wesen schlechthin“83 seit jeher ein Bild gemacht oder eine Geschichte erzählt, um das Unerklärbare fasslich zu machen. In Kosmogonien (griech. kosmogonía, „Weltentstehung“) beschreibt er das Werden der ihn umgebenden Welt und seiner Lebensbedingungen – sie variieren daher ihrem kultur- und zeitgeschichtlichen Bezug entsprechend erheblich. Die jeweilige Kultur und ihr signifikantes Landschaftsbild stellen das zentrale Motiv dar, gleichzeitig werden diese in einen weltweiten Zusammenhang gestellt – und damit zu integralen Bestandteilen von Kosmologien (griech. kosmología, „Lehre von dem Weltganzen“).84

Im Äußeren (Strukturellen) wie im Inneren (Inhaltlichen) offenbaren sich frappante Wasser-Bezüge:

Einerseits folgen diese alten mythischen Erzählungen von der Weltwerdung von Vornherein keinem geraden Verlauf, und dann entfalten und wandeln sie sich überdies in der mündlichen Überlieferung und zyklischen Wiederholung: Sie können gemächlich dahinfließen, mäandern und Rinnsale entstehen lassen, während sie woanders reißend strömen und Wasserfälle oder gefährliche Wirbel bilden.

Andererseits ist das Wasser in seinen vielfältigen Erscheinungsformen und allen mit ihm in Verbindung stehenden Schauplätzen (Ufern, Inseln, Schiffen …), Ereignissen (Flutwellen, Schiffsbrüchen …), aber auch Lebewesen (Schiffsleuten, Seehelden wie Odysseus, Fischern, Wassermännern, Nixen, Fischen und anderen Wasserwesen) und in seiner Ubiquität (genauso wie sein Gegenbild, das fehlende Wasser und damit die Wüste) geeignet, als Metapher oder archetypisches Bild die polaren Gegensätzlichkeiten und den Doppelaspekt des menschlichen Lebens auszuleuchten: Es erscheint da als Lebensquell und dort als tödliche Flut – Segen und Fluch. Wasser ist, in welcher Form auch immer, in höchstem Maße symbolträchtig und symbolkräftig sowie allegorietauglich, und zwar im Bildhaft-Sprachlichen wie auch im Bild selbst bzw. in der plastischen Darstellung.85

Diese Zeichen waren Allgemeingut, solange die Naturphilosophie, verankert in der Vier-Elemente-Lehre, als eine Theorie der Natur des Sinnlich-Wahrnehmbaren und Ausdruck des menschlichen Verständnisses von und Umgangs mit der Natur – und damit auch Ausdruck des Verständnisses des Menschen von und Umgangs mit sich selbst – Gültigkeit hatte. Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts war ihre Ablöse durch die neuzeitliche Naturwissenschaft erfolgt, und das war sukzessive und sektoral passiert: In Bezug auf das Element Wasser beispielsweise endete die Wandlung von der Alchemie zur Chemie nach fast 200 Jahren mit A.L. de Lavoisier (1743–1794), der 1784 das mythische Urelement Wasser in seine beiden Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegte.86 Gleichzeitig schritt die industrielle Verwertung und Eroberung des Wassers voran87, und die Technik übernahm auch die Aufgabe, die Macht der Elemente der Natur zu zähmen und den Menschen damit die Ängste zu nehmen, die bis dahin die Religionen gebannt hatten.88

Aufklärerische Vernunft, distanzierte Wissenschaftlichkeit und gesteigerte Ökonomie schwächten die Geltungskraft der Symbole, Mythen und Bilder der Wasser-Kultur, nichtsdestotrotz unterhielten aber die Künste weiterhin engste Beziehung. Aus dem Reservoir von Wasser-Zeichen, das in über zweitausend Jahren angelegt worden war, konnten sie, insbesondere auch die Künste der Moderne, mehr denn je schöpfen – und gewissermaßen befreit – verfügen. Ein neues Bewusstsein für die Ästhetik und Poetologie des Wassers setzte ein, und es erlangte nebstdem Bedeutung als Medium künstlerischer und ästhetiktheoretischer Selbstreflexion. Zu diesen Werken zählen als bekannteste die Landschaftsbilder von William Turner, der auf einem Großteil seiner Gemälde das Wasser thematisierte, aber auch Darstellungen von Wasserwesen, wie jene von Edward Burne-Jones (hier eine Wasserfrau in mythischer Entrückung – oft als Ausdruck männlicher Unterlegenheitsgefühle und Ängste interpretiert).

In der Literatur legen die Erzählungen von E.A. Poe oder die großen See-Romane des 19. Jahrhunderts bis zu den Wasser-Gedichten Bertolt Brechts beredtes Zeugnis ab.89

Die Tradition der mündlichen Mythenüberlieferung existiert jedoch nicht mehr, und Zeichen als Phänomen – Wirklichkeit abstrahierend, Distanz zu ihr schaffend und ihre Deutung zulassend, wenn nicht provozierend – sind in der kollektiven Phantasie kaum mehr gegenwärtig und haben daher die Verbindlichkeit verloren, nichts aber an Faszination.90


Abbildung 19: Edward Burne-Jones, The Depths oft the Sea 91

Und immer behalten die Quellen das Wort.

Es singen die Wasser im Schlafe noch fort

aus: Eduard Mörike, Um Mitternacht, V 13-14

Explicit.

Das Anthropozän lernen und lehren

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