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Alexander von Humboldt

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Mit Platon (427–347 v.Chr.) und Aristoteles (384–322 v. Chr.) und dem Übergang vom Mythos zum Logos begann die Verwissenschaftlichung der Vier-Elemente-Lehre – sie büßte an Farbigkeit und Skurrilität ein –, ihre Wanderschaft (nach Ägypten und zurück nach Europa) und ihre Weiterentwicklung, sodass Alexander von Humboldt Jahrhunderte später behaupten konnte:

Empedocles behauptete die Gleichartigkeit aller Materie, und bezeichnete die zuerst von ihm aufgestellten 4 Elemente als einen Zustand der Materie. Diese 4 Elemente haben durch viele Jahrhunderte sich erhalten, und erst in neuerer Zeit76 ist es mit Mühe gelungen, sich davon los zu machen.77

Alexander von Humboldt maß der Jonischen Naturphilosophie außerordentliche Bedeutung bei: In der Geschichte des menschlichen Vermögens, den großen Gedanken der „Natur-Einheit“ erkennen zu können, sah er mit jener Zeit eine neue Stufe erreicht. Er zählte sie zu den insgesamt sechs „Hauptmomenten“, die in der Geschichte des Naturwissens substanziell Neues gebracht hätten, und gliederte diese damit gleichzeitig in Epochen:

1. die Jonische Naturphilosophie, und die Dorisch-Pythagoräische Schule.

2. die Züge Alexanders nach dem Osten.

3. die Züge der Araber nach Osten und Westen.

4. die Entdeckung von Amerika.

5. die Erfindung neuer Organe zur Naturbeobachtung, d.h. Fernrohr, Wärmemesser, Barometer von 1591 bis 1643.

6. Coock’s [sic!] Weltreisen, die ersten nicht bloß geographischen Entdeckungsreisen, die den Grund legten, zu späteren physikalischen Expeditionen.78

Mögen alle diese als „Hauptmomente der Wissenschaftsgeschichte“ identifizierten Schwellen auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen: Humboldt ging es um Erfahrungen außerhalb des gewohnten Rahmens, um Möglichkeiten der Horizonterweiterung im Großen wie im Kleinen.

Auf der einen Seite hielt Humboldt, selbst obsessiv Reisender, Forschungsreisen – und, obwohl streng antikolonialistisch eingestellt, in diesem Zusammenhang auch imperiale Eroberungszüge – für unverzichtbar, sie würden den Sesshaften mit ihren engen Erfahrungsräumen die Welt öffnen und neue Sichtweisen zugänglich machen. Das rechnete er übrigens auch den griechischen Naturphilosophen an: Sie hatten nicht nur ihre Beobachtungstechniken und Messtechniken erweitert, sondern viele von ihnen auch ihren kognitiven Horizont – im Zuge ihrer Reisen –, und die Elemente aus ihrer Verankerung im Mythos gelöst.

Auf der anderen Seite boten ihm, dem Messfanatiker, die neuen Geräte und Techniken bessere Möglichkeiten der Erschließung bzw. Erweiterung oder Vertiefung des Beobachtungsrahmens und eine gesteigerte Präzisierung der Messergebnisse, sodass Humboldt riesige Datenmengen sammeln konnte. Für ihn gilt, was der Dichter und Ethnograph Hubert Fichte über den großen griechischen Reisenden und Historiker Herodot gesagt hatte: Er beherrsche die „Reiseform des Wissens“: reisen, erfahren, beobachten, aufschreiben.

Auf mehrfache Weise stand Humboldt selbst an einer Schwelle. Ganz der Idee des Natur-Ganzen und dem Kosmos-Gedanken verhaftet und in der Tradition des gesamtheitlichen Goethe’schen Weltbildes, verfasste er seinen fünfbändigen Kosmos noch im Zeichen der wechselseitigen Verankerung des Kulturprozesses mit der Naturgeschichte. Das universale Werk erschien ab 1845 – inzwischen war die Ausdifferenzierung der Naturwissenschaften erfolgt und diese waren nicht mehr auf das Ganze der Natur ausgerichtet. Humboldts selbstverständlich-optimistische Erwartung, dass sich die Intensivierung der Naturwissenschaften natürlich in einem größeren Naturbezug im Menschen niederschlagen müsste, hat sich keineswegs erfüllt und ist heute auch gar nicht mehr nachvollziehbar.79

Das Anthropozän lernen und lehren

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