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Wasser in den ältesten Schöpfungsmythen und Götterwelten

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In der hinduistischen Mythologie spielt der Milchozean eine bedeutende Rolle, auch in den bedeutendsten indischen Nationalepen Mahabarata18 und Ramayana. Ihre richtige Rezitation war bedeutend, sie wurden über Jahrhunderte mit großer Akribie mündlich tradiert und teilweise erst spät verschriftlicht.

Man stellt sich die Kontinente konzentrisch angeordnet vor, von Ozeanen getrennt. Der innerste Ozean enthält Salzwasser, der äußerste ist der Milchozean und repräsentiert das Urmeer. Das „Quirlen des Milchozeans“ auf der Suche nach dem Unsterblichkeitstrank ist das Grundthema, das in vielfachen mythischen Variationen auftaucht.19


Abbildung 4: Raja Ravi Varma20 (1848–1906), Die Göttin Lakshmi entsteigt dem Milchozean auf einer Lotusblüte (dem Symbol für Reinheit und Vollkommenheit)21

Das Rigveda (auch Riksamhita) enthält über 1000 Hymnen und ist der älteste Teil der Veden und zugleich die älteste Urkunde des indogermanischen Völkerstammes, entstanden ab etwa 1750 v.Chr. Für viele hinduistische Strömungen stellt es die wichtigste Sammlung religiöser Texte dar, sie wurden ursprünglich nur mündlich überliefert.22

1. Nicht Nichtsein war, noch Seiendes wardamals nicht war das Luftreich, noch der Himmeldrüber Was regte sich und wo in wessen Obhut? Was war das unergründlich tiefe Wasser23? 2. Nicht Tod und nicht Unsterblichkeit wardamals nicht war ein Unterschied von Tag undNacht Es atmete sich selbst das hauchlos-Eine es gab kein andres Wesen außer dem […] Rigveda24, 10.129 Schöpfungshymne

Viele ägyptische Gottheiten haben Wasserbezug, zum Beispiel Satet (oder Satis, später Identifizierung mit Sotis und Isis), die Bewacherin der südlichen Grenze Ägyptens und Spenderin des „kühlen Wassers, das aus Elephantine kommt“ und das sie den Toten zur Reinigung anbietet. Als Bogenschützin löst ihr Pfeil die Flut aus. Ihre Tochter Anukis (oder Anuket; ihr Name bedeutet „umarmen“ oder „herbeiführen“) denkt man für Nilüberschwemmungen und Fruchtbarmachung verantwortlich. Sie trägt das Anch-Zeichen (unter anderem in der Bedeutung „Lebenssymbol“, „Lebensschlüssel“ oder „Nilschlüssel“ und in der Hieroglyphenschrift das Zeichen für „Leben“).25


Abbildung 5: Anukis mit hoher Krone aus zusammengebundenem Schilf 26

Der Nil selber wird als Gott Hapi verehrt, in Darstellungen erscheint er als männliche Figur mit Brüsten.27 Wenn man davon ausgeht, dass die vorderasiatischen Gesellschaften ursprünglich matriarchalisch organisiert waren und erst mit dem Eindringen indo-europäischer und arischer Stämme kriegerische, patriarchalisch-hierarchische Strukturen mit männlichen Gottheiten etabliert wurden, könnte Hapis Erscheinungsbild mit den nährenden Brüsten auf ursprüngliche Weiblichkeit schließen lassen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Wasser als „Mutter aller Dinge“ stets als weiblich galt und Meere, Seen, Ströme, Flüsse, Brunnen und Quellen meist Göttinnen geweiht waren. So schrieb man auch die Quellen der heiligen Flüsse Mesopotamiens, Euphrat und Tigris, dem „gebärenden Organ der Großen Mutter“ zu: „Die Quelle der Flüsse wurde als die Vagina der Erde betrachtet“28. Noch heute sind die meisten Flüsse weiblich konnotiert.


Abbildung 6: Gott Hapi, Kalksteinrelief, Boston Museum of Fine Arts 29

Das altbabylonische Poem Enūma eliš (benannt nach seinen ersten beiden Wörtern: „Als droben“) wird zwar als Schöpfungsmythos bezeichnet, der Schöpfungsakt selbst hat aber nur einen geringen Anteil am ganzen Geschehen. In ca. 1000 Versen wird der Aufstieg Marduks zum Stadtgott von Babylon und „König der Götter“ dokumentiert und legitimiert, zu dem er unter Nebukadnezar I. (ca. 1125–1103 v. Chr.) erhoben wurde. Der Text wurde in akkadischer Sprache und in Keilschrift auf sieben Tontafeln niedergeschrieben und war weit verbreitet, so wurden bei vielen Ausgrabungen in Assyrien und Babylonien Teile davon gefunden, insgesamt ist das Poem fast vollständig vorhanden und gehört zu den wichtigsten und besterhaltenen vorderorientalischen Mythen.30

Tafel 1

1 Als droben der Himmel noch nicht genannt war

Drunten die Feste einen Namen nicht trug –

als Apsu, der Uranfängliche, ihr Erzeuger, und Tiamat, die Gebärerin von ihnen allen; 5 ihre Wasser in eins vermischten, […] als die Götter nicht existierten, da wurden die Götter in ihrer Mitte geschaffen. […]


Abbildung 7: Marduk, auf Wasser stehend, das Tiamat versinnbildlichen könnte (Rollsiegel; Babylon; 9. Jh.v.Chr.), Vorderasiatisches Museum Berlin 31

Der magische, quasi schöpferische Akt des Benennens kommt hier zum Ausdruck: Wer bzw. was keinen Namen hat, existiert nicht.

Der männliche Apsu, der Süßwasserozean, ist von Anfang an gemischt mit Tiamat, dem weiblichen Salzwassermeer (der akkadische Begriff Tiamat bezeichnet eine große Wasserfläche, vor allem das Meer, oder aber das personifizierte Meer als weibliches Wesen). Sie sind das erste Götterpaar.

In der Folge werden Ansar (die obere Welthälfte, der Himmel) und Kisar (die untere Welthälfte, die Erde) gezeugt.32 Die Vermischung der Flüssigkeiten bot also die richtige Voraussetzung für Fortpflanzung, offenbar hatte man in Babylon konkrete Vorstellung vom menschlichen und tierischen Zeugungsakt und dem Zusammenhang zwischen Ejakulation, der Verbindung mit von der Frau produzierten Flüssigkeiten und Schwangerschaft.33

Auch in den christlichen Schöpfungshymnen hat das Wasser schon am Anbeginn der Welt Bedeutung; das verwundert nicht, liegt doch das Land der Juden und ersten Christen im Vorderen Orient und im Einfluss der Tradition der alten, von Wassergottheiten dominierten Mythen. In oberflächlicher Betrachtung der bekannten ersten Verse des Alten Testaments wird der Eindruck erweckt, Gott habe die Welt aus dem Nichts erschaffen.

Woher aber kommen die Erde, die tohuwabohu ist, und das Urmeer? Sie sind nicht von Gott geschaffen; die erste Tat Gottes ist das Licht. Undenkbar, daß die Finsternis Gottes Werk sei und die Wasserwüste Ergebnis seines Wirkens! Das widerspricht der Idee des ‚Schaffens‘ – Doch kann vor der Schöpfung schon etwas gewesen sein? Wir bekommen, noch einmal sei es gesagt, eine falsche Antwort, wenn wir so falsch fragen. Es geht, wie bei der Welt im Ganzen, auch beim Urmeer nicht um sein Woher. Es geht um die Frage, welche Macht die tehôm, das Chaos und das Grauen, in der Welt haben; ob sie die Welt mitbestimmen. Darauf hören wir die Antwort. Urmeer, Finsternis und Leere sind keine Mächte. Nichts geht von ihnen aus; sie sind geradezu ‚nichts‘. Sie haben keine Kraft, mit Gott zu kämpfen; sie können sich nicht einmal sträuben.34

Gott erschafft die Welt in sechs Tagen, am siebenten ruht er. Dabei nimmt er je nach Erzähltradition – im Alten Testament sind verschiedene vereint: jüdische, vorjüdische, nichtjüdische – auch unterschiedliche Haltungen ein. Einer jüngeren Tradition gemäß wirkt Gott vom Geschehen distanziert, materielle Aspekte fehlen ganz, er gestaltet allein durch sein Wort35.

Gen 1,1 Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Gen 1,2 Und die Erde war wüst und wirr, und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.

[…]

Gen 1,27 Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.

Gen 1,28 Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen.

Die Bibel, 1. Buch Mose, Genesis36


Abbildung 8: Die Schöpfung, Titelbild zum 1. Buch Mose

Eine wesentlich ältere Erzähltradition lässt Gott in einer sehr aktiven Rolle erscheinen, er legt selbst Hand an, formt und gestaltet37:

Gen 2,7 Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und er blies in seine Nase den Lebensatem in seine. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.
Gen 2,20 Und der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen ebenbürtig war, fand er nicht.
Gen 2,21 Da ließ Gott der HERR einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch.
Gen 2,22 Gott, der HERR, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.

Die Bibel, 1. Buch Mose, Genesis38

Das Anthropozän lernen und lehren

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