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Die vier Elemente

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Empedokles von Agrigent (483/82–424/23 v.Chr.), der sich unter die späten Vorsokratiker einreiht, wählte einen neuen, nämlich ausgesprochen eklektizistischen Zugang zur Naturphilosophie. In Anerkennung der vielen Bemühungen seiner Vorgänger baute er auf deren wesentlichen Erkenntnissen und Einsichtenn seine Vier-Elemente-Lehre auf und übernahm zu diesem Zweck von Tales von Milet die Theorie zum Wasser, von Anaximenes jene zur Luft und von Heraklit jene zum Feuer; die Erde fügte er als Element dazu bzw. kopierte er Xenophanes, der schon zu Wasser und Erde gearbeitet hatte. Empedokles vereinfachte den bisher verbreiteten radikalen philosophischen Zugang und gab vor allem die theoretische Frage auf nach dem Einen, das alles im Grunde ist.62 Er war Materialist, nahm den Bestand der Materie zur Kenntnis und widmete sich der sinnlich wahrnehmbaren Welt, um sie in ihrer Vielgestaltigkeit und Veränderlichkeit zu verstehen.63 Unvergängliche Grundlage von allem waren für ihn die vier Elemente, die er als „Wurzelkräfte“ bezeichnete und zuerst noch mit Götternamen (Feuer – Zeus, Luft – Hera, Erde – Aidoneus/Hades, Wasser – Nestis/Persephone) vorstellte, wenn er sein Lehrgedicht „Über die Natur“ (Peri phýseōs), einen seiner wenigen erhaltenen Texte, beginnt:

Denn die vier Wurzeln aller Dinge höre zuerst: Zeus der schimmernde und Hera die Leben-Spendende sowie Aidoneus und Nestis, die durch ihre Tränen irdisches Quellwasser fließen lässt. (31B6)

Die vier Elemente und ihre mythischen Bedeutungsdimensionen wurden oft in allegorischen Darstellungen transportiert, auch so wurde ihr Bildungsgut lebendig gehalten:


Abbildung 15: Antonius Wierix (um 1552–1624, Antwerpen), Elemente: Das Wasser, Kupferstich. Die Subscriptio lautet: „Pflanzen und Felder begrünen sich durch meine Feuchtigkeit und durch meine Gabe schenke ich den Fischen das Leben.“ 64

Der Triumphwagen wird von den Meeresrossen Poseidons gezogen, der Wagenlenker treibt sie mit Windhauch an und symbolisiert damit die dynamische Kraft. Die Wasser-Tierkreiszeichen sind vorhanden: Steinbock, Wassermann und Fische. Poseidon tritt als doppelköpfiger König mit einem Schlüssel auf: Er ist Meeresbeherrscher und Erderschütterer. Hinter ihm steht seine Gattin Amphitrite und hält seinen Dreizack (oder es ist eine Flussgöttin, worauf der Krug als Flusssymbol in ihrer Linken hindeuten würde). Peitschende Wellen und drohende Wolken belegen eindrucksvoll seine Macht.

Antonius Wierix hat in dieser Serie entsprechende Kupferstiche auch für die anderen Elemente – Feuer, Erde, Luft – angefertigt.65

Auf ganz andere Weise ist zur selben Zeit und auch in Antwerpen der Maler Joachim de Beuckelaer mit den Motiven der vier Elemente umgegangen; in allen vieren zeigt er farbenfreudige Alltagsszenen, das Bild zum Element Wasser beispielsweise einen Fischmarkt:


Abbildung 16: Joachim De Beuckelaer (um 1530–1573/74), Die vier Elemente: Wasser. Fischmarkt mit dem wunderbaren Fischzug im Hintergrund 66 ; alle genannten Gemälde: National Gallery London 67

Die Gemälde zu den vier Elementen (Feuer: eine Küchenszene mit Jesus bei Maria und Martha im Hintergrund; Wasser: siehe oben; Erde: Der Gemüsemarkt mit Flucht nach Ägypten im Hintergrund; Luft: Geflügelmarkt mit Gleichnis vom verlorenen Sohn im Hintergrund) sind in den Jahren 1569 und 1570 entstanden.

Für Empedokles repräsentieren die vier Elemente göttliche Naturmächte mit unterschiedlichen, sogar gegensätzlichen Charakteren, aber gleich an Stärke und von gleich alter Abstammung, und abwechselnd gewinnen Einzelne an Stärke oder treten wieder zurück. Diese Tendenzen des Mit- und Gegeneinanders, des Sich-Anziehens und -Abstoßens repräsentieren das lebendige Prinzip dieser Vierheit, die eine Einheit ist. Die Spannungen, die dabei entstehen, werden als Liebe und Hass bezeichnet – symptomatisch für Empedokles’ poetische, aber oft missverständliche Ausdrucksweise68:

Abwechselnd herrschen [die vier Elemente] im Umschwung des Kreises und vergehen und entstehen in und aus einander in festbestimmtem Wechsel. Denn nur diese [vier Elemente] gibt es: durcheinander laufend werden sie zu Menschen und anderer Tiere Geschlechtern; bald vereinigen sich alle zu einer Ordnung in Liebe, bald auch trennen sich wieder die einzelnen [Elemente] im Hasse des Streites, bis sie, kaum zum All-Einen zusammengewachsen, [wieder] unterliegen.69

Der periodische Wechsel von Dominanz und Schwäche, dieses wogende Durcheinander, führt bei Empedokles nie zu Ausgleich und Stillstand. Damit näherte er sich nicht nur den aristotelischen Vorstellungen von der Konstitution der organischen Stoffe, sondern wies voraus in Vorstellungen von Materie-Konsitutionen, die von Attraktion und Repulsion bestimmt werden und in der Tradition des Dynamismus (Leibniz, Bošković, Kant, Schelling) ihren Ausdruck fanden, bis zum Atombegriff der modernen Teilchenphysik.70

Das Anthropozän lernen und lehren

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