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Angie Volk

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Verzicht und Duschseife

Das trübe bräunliche Wasser schwappt an mir hoch bis zu den Knien, es ist lauwarm.

Eine kleine Ansammlung Rasierstoppeln huscht an meinen Füßen vorbei wie ein Heringsschwarm, ein Schnodderklumpen gleitet wie ein träges Unterwasserwesen hinterher.

Seit ein paar Tagen sammelt sich bei uns zu Hause das Duschwasser. Ein Stück Haarseife hat den Abfluss verstopft zusammen mit allerhand anderem menschlichen Horn und Abfallstoffen, mein Freund und ich duschen »oben drauf« und warten gierig auf die Rohrreinigung vom Profi.

Ich erinnere mich schwermütig an bauchige, bunte Duschgelflaschen, an glibbrige Tropendüfte, an das satte Schmatzgeräusch beim Rausdrücken von Shampoo und Conditioner.

Genau wie damals, als mir der Kaffeerest im Bambus-Coffee-to-go-Becher den Rucksackinhalt mit Bibliotheksbüchern versaut hat, denke ich, dass er doch ganz schön sperrig ist, mein Anspruch, weniger Müll zu verursachen. Wie beim dritten Mal Umsteigen im Zug nach Italien stöhne ich darüber, dass es echt anstrengend ist, das Klima und den Planeten zu schützen.

Ich bin mit diesen Gedanken nicht alleine, laut einer Umfrage des Münchener Energie- und Verkehrswende-Unternehmens Green City AG sei den Deutschen Klimaschutz zwar ein Herzensanliegen, je unbequemer er aber werde, desto geringer sei die Bereitschaft, sich dem Thema zu widmen. So sei der Einkauf im Biosupermarkt und in lokalen Geschäften inzwischen für viele zwar Alltag, zu Plastikverpackungen werde seltener gegriffen, bei Elektrogeräten schafft sich über die Hälfte der Befragten die energieeffizienteren Modelle an. Aber diese Entscheidungen sind in erster Linie Konsumentscheidungen, seltener Verzichtentscheidungen. Wir sind bereit dazu, die Biotomate, den Messingrasierhobel und die elegante Glastrinkflasche zu kaufen, wir sind weniger dazu bereit, auf Interkontinentalflüge zu verzichten, auf Erdbeeren im November.

Wir werden unbequem, wenn Klimaschutz unbequem wird.

Zu tief verankert scheint die Sorge, zu kurz zu kommen, wenn wir uns selber in unserem Genussverhalten einschränken. Zu groß die Angst, den Fortschritt zu verpassen, wenn wir auf bestimmte Technologien verzichten.

Auch in der Politik wird das Wort Verzicht im Zusammenhang mit Klimaschutz weniger gerne verwendet. Es wird nur hinter vorgehaltener Hand gemurmelt, dass die Lösung, Mobilität nachhaltiger zu gestalten, nicht die riesigen, ressourcenbündelnden E-Fahrzeuge sind, sondern Sharing-Lösungen – oder besser noch: gar nicht fahren.

Wie in der Antirassismus- und Feminismusdebatte und anderen Ungleichheitsdiskursen verlangt uns auch der Klimaschutz einiges ab, er fordert auf umzuschichten, Privilegien zu reflektieren. Und auch wenn das anfangs unangenehm klingt, liegt darin ein großes Potenzial, schreibt Ulrike Fokken im taz-Artikel »Verzicht ist die neue Freiheit«. Denn entkopple man Verzichtgedanken vom panischen Belohnungszentrum im Hirn, entfalte sich ein großes Spektrum gesellschaftlicher Spielräume und individueller Möglichkeiten.

Genug Menschen machen das bereits vor, es gibt auch erfreuliche Statistiken:

1,3 Millionen Menschen in Deutschland essen kein Fleisch mehr, zwölf Prozent finden vegane Ernährung super und haben Eier, Käse und Milch aus ihrer Ernährung gestrichen. Sie haben sich von ihren Mini-Wini-Würstchenketten befreit und zeigen einer ganzen Industrie, dass fleischlos marktkonform und zukunftsfähig ist.

Immer mehr Menschen im urbanen Raum verzichten auf den eigenen Kleinwagen, Schüler*innen weltweit demonstrieren für eine progressive Klimaschutzpolitik und Mut zu drastischen Maßnahmen. Es gibt also Hoffnung, dass die unbequemeren Lösungen mehr und mehr Einkehr halten in unseren gesellschaftlichen Habitus, dass unsere Visionen für eine saubere Zukunft unsere individuellen Toleranzgrenzen verschieben.

Während ich in Richtung Handtuch wate, beschließe ich, mir die nächsten Tage die Freiheit zu geben, einfach zu stinken, auf das Duschen zu verzichten, bis das Rohr wieder frei ist, und die Schmutzzone zu meiner neuen Komfortzone zu machen.

Dem Klima zuliebe.

Angie Volk (*1989) ist Autorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Ihr Debütroman trägt den Titel Krokodile (Atlantik Verlag, 2021).

Liebe Erde

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