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Marie Nasemann

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Seit meiner Geburt verbringe ich fast alle Urlaube am Gardasee. Meine Eltern besitzen dort eine kleine Ferienwohnung am Westufer des Sees. Mein Herz hängt an dieser Gegend wie an keinem anderen Platz der Welt. Ich fühle mich hier mehr zu Hause als an dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Die Landschaft mit den umliegenden Bergen und Hängen voller Olivenbäume und Zypressen ist einmalig schön. Der Gardasee wurde in der Eiszeit durch den Seitenast eines Gletschers geformt, und die Spuren kann man noch heute verfolgen. Der See ist der größte Italiens und an manchen Stellen unheimliche 346 Meter tief. Für Segler*innen ist er ein Traum, er hat oft guten Wind. Und bei Unwetter manchmal schwindelerregend hohe Wellen.

Abends ist der See oft ganz ruhig und klar, wie eine riesige Badewanne. Dann gehe ich am liebsten baden, lasse mich treiben, keine Boote in Sicht. Die Angst vor Wasserschlangen oder großen Fischen atme ich einfach aus. Ich denke an die Tiefe des Sees, die unter mir liegt. Ich sehe mich von oben, ein winziger ausgestreckter Körper auf einem riesigen See. Ich schließe die Augen, lasse jede Muskelspannung los. Ich spüre lediglich, wie sich meine Brust im Atemrhythmus leicht aus dem Wasser hebt und wieder eintaucht. Das ist mein maximaler Entspannungsmoment. Der Moment, in dem ich mich zu einhundert Prozent eins fühle mit der Natur. Ein Moment, in dem ich keine Angst habe. In dem ich nicht über Vergangenes nachdenke oder die Zukunft plane. Es ist kein wahnsinnig langer Moment. Vielleicht eine Minute oder zwei. Aber er ist jedes Jahr mein Höhepunkt des Sommers.

Ähnlich ergeht es mir nur, wenn ich auf einen Berg gestiegen bin, was nicht sonderlich häufig vorkommt, da ich keine passionierte Wanderin bin. Wenn ich mir aber doch mal einen Ruck gegeben habe und nach einer langen Wanderung mein Ziel erreiche, lege ich mich ohne Decke auf den Boden. Am liebsten auf eine Wiese, umringt von Kühen. Dann liege ich einfach da, und mein Körper ist schwer, anders als im See, wo ich eher schwebe. Die Anstrengung der Wanderung spüre ich in jedem Knochen. Mein Körper wird immer schwerer, bis ich das Gefühl habe, er versinkt im Berg. Und auf einmal wird mein eigenes Leben gänzlich unbedeutend. Dieser Berg, auf dem ich liege, existiert seit unzähligen Jahren. Riesige aufeinandergestapelte Platten, Schichten aus Erde, Schlamm und Gestein, die viele Zeitalter erlebt und überlebt haben, verschiedenste Kulturen und wahrscheinlich sogar Dinosaurier beherbergt haben. Was ist mein Leben dagegen? Eine winzig kleiner Punkt auf diesem langen Zeitstrang. Ein Hauch, ein schwaches Lichtchen, eine kleine Seele unter Millionen, die diesen Berg schon bestiegen haben. Das mag vielleicht traurig klingen. Aber es ist befreiend. Unendlich befreiend.

Unser ganzes Leben dreht sich um uns, um unsere Pläne, unsere Beziehungen, unsere To-do- und Bucketlisten. Auf einem Gipfel merke ich, wie herzlich egal ich der Natur bin. Mein Leben ist unwichtig. Und das zu realisieren hilft mir, alles mit mehr Leichtigkeit und Freude zu sehen, und so schwer mein Körper vom Wandern ist, so wird mein Denken ganz leicht und frei.

Die Erde war immer da. Und sie wird auch immer da sein. Wenn wir sie schlecht behandeln, wird sie uns bestrafen. Mit Hitze, mit unfruchtbaren Böden, mit Naturkatastrophen, Stürmen und Überschwemmungen. Mit einer schrumpfenden Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten. Aber sie wird trotzdem immer da sein.

Jeder »Save the Planet«-Slogan ist falsch, denn die Erde braucht unsere Rettung nicht. Sie rettet sich selbst und wird mit allem fertig.

Stattdessen sollte es heißen: »Save the human being«, denn wenn jemand in Gefahr ist, dann ist es unsere Spezies. Die ist gerade dabei, die Grundlage ihrer Existenz zu vernichten. Und spätestens dann, wenn es der eigenen Lebensgrundlage an den Kragen geht (und nicht etwa nur der von Menschen aus dem globalen Süden), dann werden die richtigen Hebel in Bewegung gesetzt. Und dann geht alles ganz schnell.

Marie Nasemann (*1989) ist Schauspielerin, Autorin und Fair-Fashion-Aktivistin. Sie setzt sich für gesellschaftlich wichtige Themen wie Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung ein. www.marienasemann.com, www.fairknallt.de

Liebe Erde

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