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3 Puristische Sprachkultur und Sprachpolitik im Italien und Frankreich der Frühen Neuzeit

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Will man eine Geschichte des europäischen frühneuzeitlichen Purismus schreiben, so fängt die Suche beim Text an. Natürlich existiert „der Text im Singular nur in einer abstrahierend-theoretischen Perspektive“, während die historische Praxis hingegen „davon bestimmt [ist], dass sich Texte in einer Vielfalt von inhaltsbezogenen, kontextbezogenen, zweckbezogenen, institutionsbezogenen Normen bewegen und sich deshalb in einer Vielzahl von unterschiedlich stark normierten Diskurstraditionen ordnen lassen“ (Oesterreicher/Selig 2014: 15).

Und in der Tat lassen sich ästhetische und politische Implikationen und Potenziale puristischer Argumentation in einem weiten Spektrum an Texten und Textsorten wiederfinden: Literarische Texte und Poetiken integrieren immer wieder sprachpuristische Reflexionen oder bauen geradezu auf diesen auf; umgekehrt greifen Fachtexte – Grammatiken, Wörterbücher und Sprachtraktate, aber auch Statuten, Gesetzestexte, Schulbücher oder Lobreden – ästhetische Fragen auf, kodifizieren Normen und Modelle und beziehen diese handlungsleitend auf Felder sozialer Praxis. So finden wir Strategien der Durchsetzung einer ‚reinen Sprache‘ in Zeremoniell und höfischer Kommunikation, gelehrtem bzw. akademischem Diskurs, in Dichtung und Kanzleisprache und anderem.

In Texten wie beispielsweise Bembos Prose della volgar lingua, Castigliones Cortigiano oder Machiavellis Discorso o dialogo intorno alla nostra lingua sind die sprachliche, die linguistische und poetologische oder literarische Ebene sehr eng miteinander verknüpft. Die jeweiligen Ansätze werden in Form eines Dialogs vorgetragen, und es wird dabei eingehend die Bedeutung ästhetischer Qualitäten (eleganza, sprezzatura) für literarische und soziale Kommunikation und Interaktion reflektiert. Ideale der Sprache, die ihrerseits häufig auf Idealen der Dichtung beruhen (man denke nur an den Petrarkismus im Fall Bembos), werden so zu Idealen der Interaktion, zu sozialen Normen, die wiederum die Auswahl bestimmter literarischer Formen und Traditionen unterstützen.

Derartige Texte können daher als erste Zeugnisse der Emergenz eines genuinen ‚(sprach)puristischen‘ Diskurses in der Frühen Neuzeit betrachtet werden: Denn hier wird ein neuer Zusammenhang zwischen lexikalischen und grammatikalischen sowie ideologischen und gesellschaftlichen Normvorstellungen hergestellt – nicht zuletzt durch die literarisch-dialogische Form, den performativen Charakter und die Situierung am Hof – und von dieser sozialen Praxis und Situierung her werden ästhetische Grundanliegen (re-)formuliert. Auch stellen diese Werke – die z.B. im Fall der Prose Sprachtraktat und Grammatik in einem sind – insofern ungewöhnliche Orte der ästhetischen Reflexion dar, als sie keine prototypisch poetischen oder poetologischen Texte sind. Sie erlauben es somit nicht zuletzt, Fragen der Migration sprachpuristischer Argumentationsfiguren zwischen literarischen Texten und Fachtexten nachzugehen.

Und natürlich sind diese Texte wesentliche Orte der Questione della lingua, der gelehrten Diskussion um die Auswahl einer gemeinsamen sprachlichen Norm aus der Vielfalt der volgari, die im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Italien zur Verfügung standen (siehe u.v.a. Marazzini 1994, 2000, Serianni/Trifone 1993/94 und Vitale 1978). Dabei geht es den italienischen Humanisten um eine konzeptionell und medial klar definierte Sprache: Sie suchen nach einer – reinen, prestigeträchtigen – überregionalen Sprache für die Literatur, genauer gesagt für die Domäne der konzeptionellen Schriftlichkeit, der kommunikativen Distanz (siehe Koch 1988 und Koch/Oesterreicher 2011). Die verschiedenen zur Diskussion stehenden Optionen sind, wie wir wissen, diastratisch alle ähnlich markiert, unterscheiden sich jedoch auf der diatopischen und auf der diamesischen Ebene, d.h. der Konzeption für den mündlichen oder schriftlichen Gebrauch. Eine wichtige Option stellt die von Castiglione vertretene, diatopisch schwach markierte und eklektische Varietät der lingua cortigiana dar, welche nah am mündlichen Gebrauch des Hofes sein sollte – eine Option, die in Frankreich erfolgreich sein sollte, wo der eine Hof, anders als im politisch und kulturell plurizentrischen Italien, eine wesentliche Rolle in sprachlichen Fragen spielt. Eine weitere Option orientiert sich hingegen (diatopisch stark markiert) an der Schriftlichkeit der Corone, der großen florentinischen Autoren des 14. Jahrhunderts. Bembo schlägt ein sprachlich archaisches Normmodell vor, das auf dem für ihn zentralen Prinzip der imitatio basiert, was zugleich eine Strategie zur Selbstdarstellung und zur Gewinnung von Anerkennung darstellt (siehe Kablitz 1999: 137). Es ist aber auch ein relativ genau kodifiziertes Modell, das sich für eine einfache und rasche Reproduktion und Multiplikation anbietet, eben weil es in angesehenen älteren Texten fixiert ist und daher keinem weiteren historischen Wandel unterliegt (siehe Dessì Schmid 2017). Dies kommt wiederum den Interessen des venezianischen Verlegers und Freundes Bembos, Aldo Manuzio, sehr entgegen – gerade in einem Italien, in dem das Buch immer mehr zum virtuellen Ort der Kultur wird und somit seinerseits zur Einschränkung der kulturellen Rolle der Höfe beiträgt (siehe Mehltretter 2009; Trifone 1993: 427).

Auf politischer Ebene lässt sich parallel dazu im kleinstaatlichen Italien ein Verfall des Modells des Hofes beobachten, das in anderen europäischen Ländern zur gleichen Zeit floriert. So wird in vielfacher Hinsicht deutlich, warum dem eklektischen, mündlichen, schwierig festzuhaltenden höfischen Modell Castigliones, das auch einen Einblick in andere Normierungsfelder der frühneuzeitlichen Kultur gibt, in Italien weniger Erfolg beschieden ist und warum Bembo das literarisch angesehene schriftliche Modell der Corone wählt: Er erkennt die kulturelle Reichweite der florentinischen Literatur und fordert ihre Erhebung zur Sprache der italienischen Literatur, zur italienischen Sprache tout court – zu einer Sprache, die geeignet ist, in das kulturell maßgebende Europa Modelle des Klassizismus und der Renaissance einzubringen (siehe Dessì Schmid 2017). Es stellt sich allerdings die Frage, ob ein auf dem Prinzip der imitatio basierendes, sprachlich archaisches Normmodell schon deshalb ‚puristisch‘ ist. Bedeutet ,normieren‘ – d.h. eine Sprache klar, fest zu regeln – an sich schon ,puristisch‘ sein? Mit anderen Worten: Inwiefern können Bembos Prose als ein puristisches Werk angesehen werden?

Vielleicht hilft es, bei solchen Fragen das Werk Bembos aus zwei Perspektiven zu betrachten: einerseits aus derjenigen des ästhetischen, literarischen Grundanliegens seines Strebens nach einer reinen Sprache („la fiorentina lingua più regolata […], più vaga, più pura“, Bembo 1955 [1525]: 32); andererseits aus der Perspektive der institutionellen Anwendung, in der Nachfolge Bembos, des in seinen Schriften enthaltenen Normierungsmodells und deren Konsequenzen für die literarische Sprache und Praxis.

In den programmatischen Schriften und der lexikographischen Praxis Lionardo Salviatis als eines der wichtigsten Mitglieder der Accademia della Crusca sowie in den institutionellen Praktiken der Akademie wird die Transformation des Normmodells Bembos und der damit verbundenen Auffassung der Sprachreinheit evident: Die Accademia della Crusca macht sich in ihrer Kodifizierungsarbeit zwar dessen Thesen zu eigen, geht allerdings insbesondere mit dem Werk Salviatis weit darüber hinaus: Sie generalisiert das qualitative, auf imitatio auctorum basierende Selektionsprinzip des Normmodells Bembos in einer Weise, dass dieses de facto außer Kraft gesetzt wird – und damit wird der Mythos des Trecento als goldenes Zeitalter geschaffen. Es ist daher nicht abwegig zu behaupten, dass mit Salviatis metonymischer Verschiebung des imitatio-Prinzips von den Corone auf das Trecento insgesamt auch eine radikale Transformation, eine Umsemantisierung des Prinzips der Sprachreinheit stattfindet, die gleichsam als Geburtsurkunde des Purismus aufgefasst werden kann: Jedes sprachliche Beispiel dieser Epoche wird – unabhängig von seiner ästhetischen Qualität und dem Ansehen seines Autors – als ‚rein‘ erklärt.

Im folgenden Beispiel aus dem Vorwort des Vocabolario degli Accademici della Crusca wird diese radikale Ausprägung des Sprachpurismus sichtbar:

Nel compilar il presente Vocabolario […] abbiamo stimato necessario di ricorrere all’autorità di quelli scrittori, che vissero, quando questo idioma principalmente fiorì, che fu […] dall’anno del Signore 1300 al 1400 poco più, o poco meno: perché […] gli scrittori […] dal 1400 avanti, corroppero non piccola parte della purità del favellare di quel buon secolo.

(Vocabolario degli Accademici della Crusca, 1612, A’ lettori, 6)

Alle Wörter aller florentinischen Autoren des 14. Jahrhunderts – also nicht nur die Petrarcas und Boccaccios – werden konsequent in das Wörterbuch aufgenommen; alle anderen – also nicht nur Fremdwörter, sondern alle nicht altflorentinischen Wörter – werden aufs Strengste ausgeschlossen. Sie seien keine ‚reine Sprache‘, da spätere Autoren einen nicht geringen Teil der Reinheit der Sprache dieses hervorragenden Jahrhunderts verdorben hätten. Im Zitat wird aber auch die dynamische Wechselwirkung zwischen ästhetisch-literarischer, sozio-kultureller und politischer Sphäre sichtbar: Denn die formalen Qualitäten, die sich aus dem sprachlichen Reinheitsgebot ergeben (z.B. Klarheit, Natürlichkeit, Zierlichkeit, Eleganz der Sprache), sowie die Strategien der Autorisierung sind hier nicht zu trennen von der präskriptiven, sprachreinigenden Funktion und der sprachpragmatischen Dimension des Wörterbuchs.

Die Prosa und die Dichtung, die ‚ganze‘ Literatur des 14. Jahrhunderts, bilden somit aus ästhetisch-literarischer Perspektive die Grundlage des sprachlichen Reinheitsideals. Dieses konkretisiert sich praktisch in den sprachnormierenden Akten der Accademia – etwa in einem Wörterbuch, das die programmatischen Sprachideale in konkrete Sprachpraxis implementiert. Denn hinter solchen Akten erkennt man die soziale Logik der gebildeten Gesellschaft und, mit ihr, der politischen Macht: Das Wörterbuch ist nicht zufällig Concino Concini gewidmet, dem toskanischen Adligen und wichtigsten Berater Maria de’ Medicis am französischen Hof (was schon auf dieser Ebene die enge Verbindung zwischen Italien und Frankreich zeigt). Auch in der Folge zeigt die erfolgreiche Implementierung des Sprachreinheitsideals der Crusca wiederum eine dynamische Wechselwirkung zwischen diesen Polen: Autoren späterer Epochen werden sich in der künstlerischen Gestaltung ihrer Werke an der ‚reinen Sprache‘ orientieren, die auf die Praxis der Gelehrten und der Accademici zurückgeht.

Nicht zuletzt kann man auch in dieser kurzen Darstellung die historische Kraft und Reichweite eines Textes wie des Vocabolario beobachten: In einem Wörterbuch wird ein neuer Zusammenhang zwischen grammatikalischen und lexikalischen, ideologischen und gesellschaftlichen Normvorstellungen hergestellt. Ein Wörterbuch beeinflusst letztendlich – obwohl man darin zunächst kaum die Behandlung genuin ästhetischer Fragestellungen vermuten würde – das Sprachhandeln zahlreicher Akteure in ihrem literarischen Schaffen und wirkt tief in die Alltagswelt hinein.

Gerade aus dieser Verabsolutierung und Ideologisierung von Bembos Modell entsteht in Italien durch das lexikographische Werk der Accademia della Crusca ein Sprachpurismus, der Maßstäbe auf europäischer Ebene setzt: Dieser wird ein Exportprodukt, das in Frankreich wie auch in Deutschland auf fruchtbaren Boden fällt – wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise.1

Die Normierungsbestrebungen setzen von Anfang an in Frankreich einen anderen medialen Schwerpunkt als in Italien: Gewählt werden soll eine Sprache, die in allen Domänen der kommunikativen Distanz, auch der Literatur, effizient ist, jedoch nah am – auch hier reinen, prestigeträchtigen – mündlichen Gebrauch des Hofes sein sollte. Denn Frankreich schwankt zwischen der Anerkennung der kulturellen Hochleistungen Italiens in Kunst, Architektur und höfischem Leben im Allgemeinen einerseits und Schwierigkeiten mit der Akzeptanz der – politischen und sprachlichen – Italianisierung des französischen Hofes andererseits (Dessì Schmid/Hafner 2016). Eine ähnliche Situation kann wiederholt im Laufe der Geschichte der zwei Länder beobachtet werden, man denke nur an die Debatte um den génie de la langue.2

Hierin könnte einer der Gründe liegen, weshalb die französische Sprachenfrage – und dabei insbesondere der Purismus – am Pariser Hof von Anfang an radikalere und stärker von politischen Motiven geleitete Züge annimmt als in Italien und nicht zuletzt sehr stark an andere Normierungsfelder der frühneuzeitlichen Kultur gebunden zu sein scheint: Durch die von Richelieu initiierte, stark politisch gesteuerte Académie française, die die Reinigung der Sprache vom mauvais usage als ihre primäre Aufgabe versteht, werden die Normierung und die Normalisierung des Französischen sowie dessen sukzessive Verbreitung in Europa zu staatlichen (höfischen) Zielen erklärt (siehe Dessì Schmid/Hafner 2016). Die Académie übernimmt die strenge puristische Auffassung der Accademici cruscanti, betont jedoch gegenüber dem Prinzip der imitatio auctorum, wie es Bembo und die Crusca voraussetzen, das des bon usage, des „Maistre des langues, celuy qu’il faut suivre pour bien parler, et pour bien escrire“ (Vaugelas 2009 [1647]: 67). So kristallisieren sich die Züge der französischen Sprachpolitik gerade bei Vaugelas’ Normvorschlag heraus, wie er diesen in seinen Remarques formuliert: Gemeint ist diejenige Varietät, die im 17. Jahrhundert hochgradig prestigeträchtig und als unverzichtbarer Aspekt des gesellschaftlichen guten Benehmens (bienséance) angesehen wird. Es bleibt allerdings noch offen und nicht einfach zu klären, ob jener bon usage tatsächlich dem mündlichen Gebrauch entspricht, oder ob er stärker als bislang angenommen von literarischen Formen und Traditionen bestimmt ist, „conformément à la façon d’escrire de la plus saine partie des Autheurs du temps“ (Vaugelas 2009 [1647]: 68).3 Sich mit der Implementierung und Elaboration der ausgewählten und kodifizierten Varietät in der ‚Französischen Sprachenfrage‘ aus dieser Perspektive näher zu beschäftigen und dabei insbesondere die Anwendung in den literarischen Produktionen sowie daraus resultierende ästhetische Folgen in den Blick zu nehmen, scheint besonders interessant zu sein. Bekanntlich sind die Autoren des 17. Jahrhunderts – unter vielen anderen etwa Corneille, Racine, Colletet – in ihrem literarischen Schaffen stark von Vaugelas’ Normierungsmodell beeinflusst worden. Vieles ist darüber im Allgemeinen bereits gesagt worden (siehe Ayres-Bennet 1987; Blochwitz 1968; allgemein Chaurand 1999; Rey/Siouffi/Duval 2007), doch nur wenige Arbeiten haben sich mit einer systematischen Verifizierung dieses Einflusses auf sprachlicher wie auf ästhetischer Ebene beschäftigt, d.h. mit der Frage, ob alle oder nur einige und welche der Remarques angewandt wurden (siehe dazu Braun 1933 und Aulich 2017). Dem nachzugehen bleibt ein Desideratum.

Jenseits dieser eher medialen Frage können Texte wie Du Bellays Deffence et Illustration de la Langue Francoyse, Malherbes Commentaire sur Desportes und Vaugelas’ Remarques sur la langue françoise als erste Zeugnisse eines innereuropäischen Transfers des ‚(sprach)puristischen‘ Diskurses in der Frühen Neuzeit angesehen werden. Sie stellen zum einen die ideale Grundlage für eine vergleichende Untersuchung verschiedener Autoren und Positionen in der lebendigen (puristischen) Sprachdiskussion am Pariser Hof dar, zum anderen erlauben sie neben den expliziteren sprachlichen und literarischen Zielen auch diejenigen zu betrachten, welche auf die sozialen Praktiken abzielen und implizitere Funktionen von Sprachreinigung betreffen.

Kommunikationsdynamiken zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit

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