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Vorwort

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Der sechzigste Geburtstag von Barbara Job ist für uns Anlass, mit diesem Band zu zeigen, wie überaus anregend ihre sprachwissenschaftlichen Analysen in kommunikativen und medialen Spannungsfeldern innerhalb und außerhalb der romanischen Sprachwissenschaft auch interdisziplinär wirken und zukunftsweisende Inspirationen bieten.

Wir Herausgeberinnen haben selbst in unterschiedlichen Qualifikationsphasen von Barbara die entscheidenden Impulse erhalten: Bettina Kluge (Hildesheim) im Rahmen ihrer Habilitation zu generischen Lesarten von Pronomina der zweiten Person im Kontext sprachlicher Interaktion, Wiltrud Mihatsch (Tübingen) ebenfalls im Rahmen der Habilitation zu Approximationsverfahren und ihren kommunikativen Funktionen in romanischen Sprachen und Birte Schaller (Bielefeld) in ihrer von Barbara betreuten Dissertation zur computervermittelten und face-to-face-Interaktion in aufgabenorientierten Gesprächen.

Barbara hat in ihrem wissenschaftlichen Werdegang, der sie über Zwischenstationen in Tübingen, Berlin und Regensburg von Freiburg nach Bielefeld führte, stets auch die disziplinären Grenzen überschritten. Dabei nutzte sie ihre historische Expertise und romanistische Perspektive, um innovativ, intellektuell anspruchsvoll und für die Sprach- und Kommunikationswissenschaften wegweisend neue Terrains zu erobern.

Nach ihrem Studium in Freiburg und Toulouse-le-Mirail und dem Staatsexamen in den Fächern Deutsch und Französisch begann Barbara ihre Promotion im Rahmen des SFB-Projekts „Die Verschriftlichung der romanischen Sprachen“ unter der Leitung von Wolfgang Raible und Hans-Martin Gauger im Freiburger Sonderforschungsbereich 321 „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, der weit über die deutschsprachige Romanistik hinaus prägend war und ist. Barbara promovierte bei Wolfgang Raible zum Thema Die Textgestalt als Zeichen. Lateinische Handschriftentradition und die Verschriftlichung der romanischen Sprachen, erschienen als Band 67 in der renommierten und aus dem SFB hervorgegangenen Reihe ScriptOralia, deren Mitherausgeberin sie heute neben Ulrich Eigler ist. Für ihre weiteren Forschungsarbeiten zentral sind dabei die diachronen medialen, kommunikativen und kulturellen Übergänge zwischen mündlicher Kultur und Schriftkultur. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Umgestaltungsprozessen durch Schreiber früher romanischer Texte, die die ihnen vertrauten Konventionen der Textgestaltung und auch der Textgattungen nun für eine bisher nur mündlich realisierte Sprache innovativ weiterentwickeln.

Im Anschluss an die Promotion forschte sie im von Wolfgang Raible und Paul Gerhard Schmidt geleiteten SFB-Projekt „Entwicklung europäischer Gattungssysteme im Vergleich“ zur Ausdifferenzierung schriftlicher lateinischer und romanischer Diskurstraditionen im mittelalterlichen Europa. Die Problematik der sprachlichen Praxis im Übergang zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit verfolgte Barbara auch in ihrer Freiburger Habilitationsschrift zum Thema des schriftkulturellen Ausbaus des Französischen, deren Schwerpunkt auf Verschriftlichungsprozessen des Französischen von den Anfängen im 9. und 10. Jahrhundert bis zum 13. Jahrhundert liegt. In dieser Arbeit stehen die sprachlichen Akteure mit ihren Reflexionen und ihren schriftlichen Zeugnissen im Mittelpunkt, die im sprachlichen und kulturellen Spannungsfeld zwischen den lateinischen Texttraditionen und der oralen volksprachlichen Praxis nun genuin volkssprachliche Texte schaffen. Bemerkenswert sind dabei insbesondere die Aushandlungsprozesse und die Herauskristallisierung von Konventionen. Dabei greift die Arbeit auf das monumentale Inventaire systematique des premiers documents des langues romanes zurück, das sie gemeinsam mit Jörg Hartmann herausgab und das alle belegten schriftlichen Dokumente der romanischen Sprachen katalogisiert, die bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden, und das damit nicht nur eine unverzichtbare Grundlage zur Erforschung von Verschriftung und Verschriftlichungsprozessen der Romania ist, sondern auch für Historiker oder Literaturwissenschaftler im Bereich der Mediävistik ein herausragendes Instrumentarium darstellt.

Bis heute spielen die Spätantike und die Frühphase der romanischen Sprachen eine besondere Rolle im Werk von Barbara Job, insbesondere auch im Bereich der Textsorten bzw. Diskurstraditionen und immer auch im Hinblick auf die Einbettung in kulturelle Kontexte und auf der Grundlage von Textkorpora. Besonders hervorzuheben ist dabei das interdisziplinäre BMBF-Verbundprojekt „Computational Historical Semantics“ mit Alexander Mehler (Informatik), Bernhard Jussen (Geschichtswissenschaft), Peter Koch (†), Sarah Dessì-Schmid und Maria Selig (alle Romanische Sprachwissenschaft). Im Rahmen dieses Projekts im Bereich der Digital Humanities untersuchte sie die Möglichkeiten der aktuellen netzwerkanalytischen und texttechnologischen Forschung zur qualitativen und quantitativen Analyse spätlateinischer Korpora. Ein Fokus liegt dabei auf der Entstehung und den langfristigen Veränderungen neuer grammatikalischer Techniken, insbesondere in den kognitiv-semantischen Bereichen „Situation, Bestimmung und Besitz, zeitliche Orientierung“ sowie auf der Verortung dieser Prozesse in sozialen Kontexten.

Als Barbara Job 2004 als Lehrstuhlinhaberin für den Bereich „Sprache und Kommunikation sowie Linguistik romanischer Sprachen“ an die Universität Bielefeld wechselte, zeigte sich auch in ihrer eigenen Forscherinnentätigkeit, wie ein Übergang und ein Spannungsfeld erfolgreich zu einem Innovationsschub und einer Neujustierung führen können – ausgehend von einer historisch arbeitenden, vergleichenden und traditionsverbundenen (und zugleich innovativ und interdisziplinär arbeitenden) Romanistik in Freiburg zu einer jungen Universität, einer Reformuniversität. An der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft übernahm sie den Lehrstuhl von Elisabeth Gülich, deren Arbeiten im Bereich der Konversationsanalyse nicht nur national, sondern auch international prägend waren und sind. Gülichs Arbeiten erschlossen die diagnostische Nutzung der Konversationsanalyse im medizinischen Bereich. Barbara gelang es, in Zusammenarbeit mit Elisabeth Gülich, Ulrich Krafft und Ulrich Dausendschön-Gay ihre Expertise in diesem neuen Umfeld der Kommunikationsanalyse fruchtbar zu machen. Darüber hinaus sind jedoch auch intensive Kooperationen außerhalb der damaligen Romanistik im Bereich der quantitativen Korpuslinguistik entstanden, wie die bereits oben erwähnte Zusammenarbeit mit Alexander Mehler (jetzt Frankfurt/Main).

In den letzten Jahren haben sich ausgehend von ihrem Interesse und ihrer Expertise für Medienumbrüche und die Dynamiken kommunikativer sprachlicher Interaktion im inspirierenden Bielefelder Kontext so verschiedene neue Gebiete erschlossen:

Sehr naheliegend für eine Expertin im Bereich des Medienwechsels im Zuge der Verschriftung und Verschriftlichung ist sicher die Beschäftigung mit dem Entstehen neuer computervermittelter Kommunikationsformen und dem medialen Übergang zur Schriftlichkeit im Bereich der Nähesprache sowie der Emergenz neuer, insbesondere webbasierter Gattungen.

In diesem Kontext beschäftigt Barbara Job außerdem das Thema der sozialen und sprachlichen Netzwerke im Web 2.0 aus interdisziplinärer Perspektive zu bislang noch nicht systematisch erforschten Zusammenhängen zwischen sozialen und sprachlichen Netzwerken und ihrer Dynamiken, hier im Rahmen des BMBF-Verbundprojekts „Linguistic Networks“. Neben dem Fokus auf dem Aspekt des Medienwechsels erforscht Barbara Job auch diskursive Aspekte computervermittelter Kommunikation im Kontext der Identitätskonstruktion und die Erschließung von Kommunikationsräumen im Migrationskontext in Blogs in einem Verbundprojekt des Bielefelder Center for InterAmerican Studies „Die Amerikas als Verflechtungsraum“ in einem mit der Anglistin Anne Schröder geleiteten Projekt zum Thema Virtuelle Kommunikationsräume von Migration und Diaspora. Aus netzwerkanalytischer Perspektive wird dabei untersucht, inwieweit die neu entstehenden „Communities of practice“ die Migrant*innen bei der Vorbereitung der Migration unterstützen und den Übergang in neue Gemeinschaften erleichtern können. Dabei werden die kommunikativen Prozesse vor dem Hintergrund der psychologischen Narrationsforschung als therapeutisches Verfahren zur Verarbeitung und Bewältigung problematischer biographischer Erfahrungen im Vorfeld der Migration analysiert.

Daneben forscht Barbara auch zur Entstehung spezifischer sprachlicher Mittel der Nähesprache, insbesondere der pragmatischen Marker, aber auch im Bereich der Kommunikationsstrategien wie Ko-Konstruktionen und alignment. Narrationen von Erlebnissen, hier Anfallsereignissen, stehen auch im Mittelpunkt eines weiteren in den letzten Jahren intensiv bearbeiteten Forschungsfeldes, aufbauend auf Elisabeth Gülichs Arbeiten mit Martin Schöndienst (Epilepsiezentrum Bethel) zur Entwicklung einer Differentialdiagnostik im Bereich Epilepsie und dissoziative Erkrankungen auf der Grundlage von sprachlichen Analysen von Anamnesegesprächen und den Schilderungen von Patientinnen und Patienten. Im Rahmen der von Barbara Job geleiteten Bielefelder Arbeitsgruppe „Kommunikation in der Medizin“ in Kooperation mit Dr. Joachim Opp (Chefarzt und Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums des Evangelischen Krankenhauses Oberhausen) und unter Mitarbeit von Heike Knerich, Birte Schaller, Mia Schürmann und Yvonne Fillies wird dieser inzwischen in drei interdisziplinären Forschungsprojekten („Linguistische Differentialtypologie von epileptischen und nicht epileptischen Anfällen bei jugendlichen Patienten“, „Linguistische Analyse von Schmerzschilderungen bei Kindern und Jugendlichen“ und „Linguistische Analyse von Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen über Kollaps-Ereignisse“) beständig weiterentwickelt. Mit der Gründung der Medizinischen Fakultät an der Universität Bielefeld ergeben sich hier vielversprechende neue Kooperationsmöglichkeiten, zumal die AG „Kommunikation in der Medizin“ bei der Curriculumsentwicklung der zukünftigen Mediziner*innen intensiv beteiligt ist.

Die Beiträge dieses Bandes reflektieren die Vielschichtigkeit der Forschungsinteressen von Barbara Job und besonders auch ihr interdisziplinäres Interesse:

Die ersten drei Aufsätze dieses Bandes sind Themen im Bereich konzeptueller Nähe und Distanz, hervorgehend aus dem Umfeld des Freiburger SFB „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, gewidmet.

Maria Selig und Roland Schmidt-Riese legen eine kritische Auseinandersetzung mit dem von Peter Koch und Wulf Oesterreicher entworfenen Nähe-Distanz-Kontinuum, insbesondere in Bezug auf eine adäquate Berücksichtigung der Rolle der Medialität, vor. Im Zentrum steht dabei die Frage nach dem Verhältnis der medialen Realisierung (Graphie bzw. Phonie) mit der nähe- oder distanzsprachlichen Konzeption. Im Koch/Oesterreicher’schen Modell tritt die Medialität, die außerdem scharf von der Konzeption abgegrenzt wird, in den Hintergrund. Selig und Schmidt-Riese argumentieren aufgrund der sehr deutlichen Affinitäten zwischen der Konzeption der Nähe und der phonischen Realisierung sowie zwischen Distanz und Graphie dafür, dass die Trennschärfe zwischen Medium und Konzeption wie auch die Rolle des Mediums insgesamt kritisch überdacht werden sollte.

Der Sprachpurismus der Frühen Neuzeit steht im Fokus des Beitrags von Sarah Dessì Schmid. Sie beleuchtet Sprachkultur und Sprachpolitik im Selektions- und Ausbauprozess der Volkssprachen Italiens und Frankreichs im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Die komplexen Verflechtungen literarischer Produktion und sozialer Praxis werden im Hinblick auf ästhetische und normative Ziele und unter den jeweils speziellen medialen Bedingungen betrachtet, wobei literarische Schriftlichkeit und das Ideal mündlicher Kommunikation am Hof hier das Spannungsfeld der Normierungsbestrebungen darstellen, in dem Italien und Frankreich jeweils eigene Wege gehen.

Sascha Diwersy und Katja Ploog untersuchen mikrodiachrone Veränderungen beim Gebrauch des zunächst lokativen französischen Adverbs auf der Basis einer Korpusanalyse des mikrodiachron angelegten Korpus ESLO-MD, das Daten gesprochener Sprache der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts sowie Daten des 21. Jahrhunderts umfasst. Ausgangspunkt ist die Hypothese, wonach das Lokaldeiktikon einen der Artikelentstehung der romanischen Sprachen vergleichbaren Weg einschlägt und damit ein Rückgang der lokativen Verwendungen zu erwarten wäre. Insgesamt ergibt die Studie keine Evidenz für deutliche Wandelprozesse, sehr wohl aber Indizien für eine starke Dynamik, sichtbar in deutlichen Unterschieden zwischen nähe- und distanzsprachlichen Diskurstraditionen, sowie womöglich emergierende intersubjektive Funktionen.

Mit Aspekten aus dem Bereich der computervermittelten Kommunikation setzen sich die Beiträge von Esme Winter-Froemel, Tilmann Sutter und Anna Kurpiers auseinander.

Esme Winter-Froemel beleuchtet in ihrem Beitrag ebenfalls ausgehend vom Koch/Oesterreicher’schen Nähe-Distanz-Modell und Barbara Jobs Analyse medieninduzierten, nähesprachlichen Ausbaus die Reorganisation wie auch das Verschwinden, die Ausdifferenzierung und Konvergenzprozesse im Bereich der Diskurstraditionen. Die komplexen Prozesse bei der Herausbildung neuer Diskurstraditionen werden anhand ausgewählter Beispiele wie elektronischer Leserbriefe und Tweets sowie der damit verbundenen neuen Rahmenbedingungen der computervermittelten Kommunikation und der tiefgreifenden Veränderungen der Text- und Diskurstraditionen herausgearbeitet.

Dem kommunikativen Umgang mit technischen Unterbrechungen widmet sich Tilmann Sutters Beitrag, der aus der Perspektive der sozialwissenschaftlichen Medienforschung die Problematik der technisch bedingen Entkopplung von Mitteilung und Verstehen, insbesondere auch bei asynchroner Kommunikation und der eingeschränkten Verstehenskontrolle bei einem anonymen Publikum in der technisch vermittelten Kommunikation über Telefon, Massenmedien und internetgestützte Kommunikation diskutiert. Verschiedene Kommunikationsformen und auch kommunikative Gattungen sind dabei auf einem Kontinuum mehr oder weniger stark ausgeprägter technischer Unterbrechungen angesiedelt, was teils durch neue interaktive Kompensationsstrategien abgefedert wird.

Anna Kurpiers untersucht die sprachlichen Mittel zur (Selbst-)inszenierung in den sozialen Medien am Beispiel einer Amateursportgruppe von Frauen auf Instagram. Dabei liegt neben der eigentlichen Analyse der Texte unter Einbezug des Bildmaterials und mit einem Augenmerk auf den Zielen der Darstellung ein weiterer Schwerpunkt auf der Methodenreflexion. Beispielhaft werden stilistische Mikroanalysen mit den Mitteln der dekomponierenden interaktionalen Stilanalyse nach Selting entwickelt. Berücksichtigt werden dabei diverse Komponenten wie Account-Name, das Text-Bild-Verhältnis, der Einsatz von Hashtags und die Verwendung von fachsprachlichen Elementen.

Die folgenden Aufsätze untersuchen Übergänge zwischen Sprachen und besondere kommunikative Funktionen von Übersetzung.

Die Komplexität der dichterischen Übersetzung steht im Mittelpunkt von Kai Kauffmanns Beitrag. Er untersucht die wechselseitigen Übersetzungen bei Stefan George und Wacław Rolicz-Lieder und geht dabei auch auf die Besonderheiten der symbolistischen Literatur ein, in deren Auffassung die Übersetzungen ureigene literarische Funktionen übernehmen, eine übliche Praxis um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert, bei der auch die imitierende und variierende Nachdichtung in einer anderen Sprache künstlerisch genutzt wurde. Daneben stellt Kai Kauffmann auch die Motive der beiden Dichter zur weiteren Vernetzung und je eigenen Positionierung, aber auch zur Pflege ihrer Freundschaft heraus.

Bettina Kluge analysiert ein bisher selten untersuchtes Verfahren der audiovisuellen Übersetzung, der sogenannten Voice-over-Übersetzung in den TV-Nachrichten, bei denen versetzt nach einer kurzen Spanne des Originaltons eine auditive Übersetzung diesen überlagert, ein Verfahren, das besonders in dokumentarischen Produktionen zur Herstellung einer größeren Authentizität eingesetzt wird, das aber sowohl auf Produktions- wie auch auf Rezeptionsseite hochkomplex ist. Bettina Kluge wählt einen Video-Beitrag von Spiegel Online aus dem Jahr 2015 zu einem mass shooting an einem US-amerikanischen College und legt den Fokus auf die Kombination sprachlicher und außersprachlicher Ressourcen und das Verhältnis des übersetzten Texts zum Originalton, wobei insbesondere auch Verfahren des Medienwechsels berücksichtigt werden.

Drei sehr unterschiedliche Gesprächstypen werden in den nächsten Beiträgen analysiert. Heike Knerich und Julia Sacher zeigen, wie subjektiv außergewöhnliche Begebenheiten konversationell dargestellt werden und interaktiv hergestellt und ausgehandelt werden. Dazu werden die unterschiedlichen Verläufe zweier Gespräche der Call-in-Sendung „Domian“, die von 1995 bis 2016 im WDR-Radio und -Fernsehen ausgestrahlt wurde, vergleichend analysiert. Die Anrufer*innen inszenieren den „point“ ihrer Beiträge durch verschiedene kommunikative Mittel, der Moderator der Sendung wiederum versucht mit spezifischen konversationellen Aktivitäten, die aus Hörersicht unterschiedlich ausgeprägte Außergewöhnlichkeit der berichteten persönlichen Erlebnisse herauszuarbeiten oder herzustellen.

Peter Menke analysiert gesprächsorganisatorische Strategien in Proberunden zum Erlernen von Gesellschaftsspielen. Diese Proberunden bieten Gesprächssituationen, die diverse, ganz besondere Bewältigungs- und Problemlösungsstrategien erfordern, wobei neben den Verhandlungen und Klärungen zu Spielregeln interessanterweise auf der metadiskursiven Ebene gerade auch Gesprächsregeln wie Turn-taking verhandelt werden. Peter Menke geht dabei insbesondere auch der Frage nach, inwieweit die verschiedenen Ebenen verbal, prosodisch oder multimodal spezifisch gestaltet werden.

Hugo von Hofmannsthals „Erfundene Gespräche“ zu Keller, Goethe und Wassermann sind Gegenstand von Jan Andres’ Untersuchung, die sich mit den dialogischen Verfahren in der literarischen Schriftlichkeit auseinandersetzt und die verschiedenen Strategien wie auch Vorbilder und Bezüge der gewählten Texte, die bis in die Antike zurückreichen, und denen die Reflexion über die Rezeption von Dichtung gemein ist, kritisch-reflektierend herausarbeitet und dabei inszenierte Rezeptionshaltungen der auftretenden Figuren, die selbst allerdings kaum individualisiert sind, analysiert.

Der letzte Abschnitt des Bandes ist der Kommunikation im medizinischen Kontext gewidmet.

Birte Schaller, Mia Schürmann, Yvonne Fillies und Joachim Opp stellen aus dem Kontext der Bielefelder Arbeitsgruppe „Kommunikation in der Medizin“ die Fallstudie eines Anamnesegesprächs vor, in der die Gesprächsäußerungen mit eigenen Schilderungen von Anfällen einer jungen Narkolepsie-Patientin mit dem Ziel der Diagnose analysiert werden. Der Ansatz beruht auf einem von Elisabeth Gülich und Martin Schöndienst entwickelten Verfahren der Gesprächsanalyse von Anamnesegesprächen und der Beobachtung, dass bestimmte konversationelle Muster erkrankungsspezifisch sind und heute in der Praxis insbesondere in der Neurologie und Psychotherapie differentialdiagnostisch eingesetzt werden. Sie schlagen Modifikationen des Verfahrens zur verbesserten Berücksichtigung der noch nicht ausgereiften sprachlichen Kompetenzen der kindlichen und jugendlichen Patient_innen vor.

Der Band schließt mit Elisabeth Gülichs Arbeit zur Berücksichtigung der Kommunikation in den verschiedenen Auflagen von 1979 bis 2016 des Lehrbuchs der Psychosomatischen Medizin von Thure von Uexküll, eines Wegbereiters der Psychosomatik, der schon früh sprachliche und kommunikative Aspekte für die Anamnese und Therapie heranzieht. Ihr gelingt es dabei anhand einer Analyse der Gliederung und der Behandlung kommunikativer Aspekte in verschiedenen Kapiteln zu zeigen, dass das Gespräch im Lauf der Zeit erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Sie plädiert für eine enge Zusammenarbeit zwischen Sprachwissenschaft und Medizin.

Auch wenn die persönliche Übergabe im Rahmen einer Feier in diesem von COVID-19 überschatteten Jahr womöglich schwierig zu realisieren sein wird, so möchten wir Barbara Job doch mit der Herausgabe dieses Bandes ehren.

Neben ihrer interdisziplinär offenen, fachlich immer fundierten und theoretisch und intellektuell anspruchsvollen Perspektive schätzen wir Barbara als warmherzige, humorvolle und kluge Lehrerin, Kollegin und Wegbegleiterin und wünschen uns von ihr, dass sie auch in Zukunft neue Terrains erobern möge und wir sie dabei begleiten dürfen.

Abschließend möchten wir dem Narr-Verlag und Ulrich Eigler danken für die Aufnahme dieser Festschrift in die Reihe ScriptOralia, die im Bereich der medialen Übergänge aber eben auch für Barbaras wissenschaftlichen Werdegang einen ganz besonderen Stellenwert einnimmt, Urgozo Ceballos Beitia, Antonia Lins, Nora Scheid und ganz besonders Gabriele Schaller für ihre Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts – und Tillmann Bub, Verena Stuhlinger und Corina Popp für die freundliche und kompetente Betreuung der Redaktion.

Bettina Kluge, Wiltrud Mihatsch und Birte Schaller

Kommunikationsdynamiken zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit

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