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2 Konzeptionelle Variation: die kommunikativen Parameter

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Was Nähe und Distanz trennt und verbindet, sind nach Koch und Oesterreicher variierende Bedingungen der Kommunikation und damit verknüpfte variierende sprachliche Techniken. Auf das genaue Verhältnis zwischen situativen Bedingungen und sprachlichen Konsequenzen kommen wir später noch zu sprechen. Hier soll es zunächst nur um die Mehrdimensionalität der kommunikativen Variation gehen. Denn mit der Distanzierung von der Medialität war auch der Schritt von der eindimensionalen Gegenüberstellung zweier Exterioritätstypen zu einem mehrdimensionalen kommunikativen Variationskontinuum verbunden. Peter Koch und Wulf Oesterreicher haben in ihrem 1986 erschienenen Aufsatz zehn Parameter formuliert, Variationsdimensionen, die die Variation ordnen und Parameterwerte zwischen Nähe und Distanz bestimmen. Das Inventar haben sie später kaum mehr verändert. Das Zeichen der Unabgeschlossenheit „etc.“ begleitete zwar von Anfang an dieses Inventar (Koch/Oesterreicher 1985: 23; siehe auch Oesterreicher/Koch 2016: 24), aber die Frage der Auswahl, des Umfangs und der internen Relationierung der Parameter wurde nie ausführlich thematisiert. Es entstand schnell der Eindruck, die Bestandsaufnahme der situativen Seite des Modells sei abgeschlossen und in der vorgeschlagenen Form nicht weiter zu begründen.

Diskussionsbedarf bestand und besteht aber durchaus. Wie verhält es sich beispielsweise mit dem Parameter der „face-to-face-Interaktion/raum-zeitliche Trennung“ (Koch/Oesterreicher 1985: 23) bzw. der „physischen Nähe/Distanz der Kommunikationspartner“ (Koch/Oesterreicher 2011: 7; Oesterreicher/Koch 2016: 24)? Klar war von Anfang an, dass es sich in diesem Fall nur um ein Entweder-Oder handeln konnte, und dass somit jeder Gedanke an eine graduelle Variation ausgeschlossen war (Koch/Oesterreicher 2011: 7; Oesterreicher/Koch 2016: 24–25). Außerdem – und das wurde in der Rezeption des Modells in der Germanistik immer wieder herausgestellt – war der Parameter unmittelbar mit der medialen Dichotomie verknüpft. Vielleicht könnten wir sogar sagen, dass die Autoren in der scheinbar sorglosen Verwendung dieses (annähernd) dichotomischen Parameters bei der Beschreibung der Konzeption unbemerkt in eine Beschreibung der Bedingungen dessen wechseln, was sie Medium nennen, den Gegensatz von Graphie und Phonie. Der Parameter der physischen Nähe/Distanz bleibt in jedem Falle sperrig und er scheint auch gar nicht zu den anderen Parametern zu passen, weil er in den Diagrammen, mit denen die kommunikativen Bedingungen der einzelnen Texttypen1 als Konstellationen zusammengefasst werden, regelmäßig für wilde Ausschläge nach rechts oder links sorgt, die dem Bild eines kommunikativen Kontinuums so gar nicht entsprechen wollen (Koch/Oesterreicher 2011: 8–9).

Diese Diskussion könnte man noch unter dem Stichwort der fehlenden Ausarbeitung der Medialität verbuchen. Ganz anders und viel grundsätzlicher muss aber die Kritik an der additiven Reihung der Parameter eingestuft werden. Es kann der Eindruck entstehen, Koch und Oesterreicher hätten eine Liste zusammengestellt, die „eine Gleichheit der einzelnen Kommunikationsbedingungen […] suggeriert“, obwohl ein hierarchisiertes Modell mit klarer Gewichtung der einzelnen Parameter notwendig wäre (Ágel/Hennig 2007: 183). Koch und Oesterreicher geben in ihrer Monographie zur gesprochenen Sprache in der Romania eine knappe Begründung der Parameterwahl (siehe Koch/Oesterreicher 2011: 6). Sie benennen die „wichtigsten Instanzen und Faktoren der sprachlichen Kommunikation“, eine Auflistung der Instanzen, wie wir sie aus gängigen Kommunikationsmodellen kennen (Produzent*in, Rezipient*in, Diskurs/Text, Gegenstände/Sachverhalte); darüber hinaus geben sie auch eine kondensierte Beschreibung der „schwierigen Formulierungsaufgabe“, die „im Spannungsfeld zwischen der Linearität sprachlicher Zeichen, den Vorgaben der Einzelsprache und der komplexen, vieldimensionalen außersprachlichen Wirklichkeit [steht]“. Der nächste Satz macht noch einmal die Fokussierung der Versprachlichungsanforderungen deutlich, die im Zentrum des Nähe-Distanz-Kontinuums steht: „Produzent und Rezipient sind eingebunden in personale, räumliche und zeitliche Zeigfelder (Deixis), in bestimmte Kontexte und in bestimmte emotionale und soziale Bezüge.“ (Koch/Oesterreicher 2011: 6). Es gibt also durchaus theoretische Überlegungen zur Herleitung der Parameter. Die Frage, ob die „ungeordnete Menge“ (Hennig 2006: 74) in hierarchische Strukturen umgedeutet werden sollte, wird aber durch diese Trennung von Instanzen der Kommunikation, darauf zu beziehenden Kommunikationsbedingungen, den allgemeinen Bedingungen der sprachlichen Formulierungsarbeit und den wiederum darauf zu beziehenden Versprachlichungsstrategien selbstverständlich nicht beantwortet.

Auch die unterschiedlichen Bezugsbereiche der Parameter riefen und rufen immer wieder Kritik hervor (siehe Feilke 2016: 125, Anm. 2). Peter Koch und Wulf Oesterreicher haben selbst eine thematische Gruppierung der Parameter vorgeschlagen und den Parameter f) als „physische Nähe/Distanz“, die Parameter a)–d) und g) und h) als „soziale Nähe/Distanz“, den Parameter e) dagegen als „referentielle Nähe/Distanz“ eingeordnet (Koch/Oesterreicher 2011: 10). Wir selbst gehen von folgenden Zuordnungen aus (die Benennung der Parameter folgt Oesterreicher/Koch 2016: 24; es sind jeweils nur die Nähewerte eingetragen; siehe auch Selig i.Dr.):

a) Privatheit b) Vertrautheit c) Emotionalität soziale (emotive) Bedingtheiten: Relation der Kommunikationspartner*innen
d) Situations- und Handlungseinbettung e) referentielle Nähe kognitive Bedingtheiten: Verschränkung zwischen Kommunikat und Sprechsituation
f) physische Nähe
g) Kooperation h) Dialogizität prozessuale Bedingtheiten: Interaktivität der Versprachlichung
i) Spontaneität j) freie Themenentwicklung prozessuale Bedingtheiten: Planungsmöglichkeiten und Grad der Fokussierung der Textualität

Tab. 1:

Gruppierung der Parameter nach Bezugsbereichen

Selbstverständlich bedingt eine Gruppierung, wie in Tab. 1 vorgeschlagen, auch Verkürzungen. Die Subsumtion der Vertrautheit unter die Emotivität ist insoweit nicht uneingeschränkt gerechtfertigt, als dieser Parameter b) im Nähe-Distanz-Kontinuum teilweise auch auf die Quantität und Qualität der geteilten Wissenskontexte abgestellt ist, die unmittelbar kognitiv relevant sind (siehe Koch/Oesterreicher 2011: 7). Auch der Parameter h) ist bei Koch und Oesterreicher doppelt ausgerichtet, weil er einerseits „die Möglichkeit und Häufigkeit einer spontanen Übernahme der Produzentenrolle“ erfasst, andererseits aber auch auf den Grad und die Art der „‚Partnerzuwendung‘“ abstellen soll (Koch/Oesterreicher 2011: 7); er kombiniert also kognitive und sozial-emotive Aspekte. Auch die inhaltliche Zuordnung dürfte nicht immer konsensfähig sein, beispielsweise wenn wir vorschlagen, Parameter i) und j) in erster Linie mit der Möglichkeit und Notwendigkeit der Konzentration auf die sprachliche Kommunikation und die Erstellung eines in sich konsistenten Textes in Verbindung zu bringen. Insgesamt aber wird, so meinen wir, deutlich sichtbar, dass die Parameter einerseits in einem sozial-emotiven Bereich situiert sind, der die variable Gestaltung der interpersonalen Voraussetzungen und Zielsetzungen anbetrifft, andererseits in einem Bereich, der die kognitiven und prozessualen Rahmenbedingungen der Formulierungsarbeit umfasst.

In der Rezeption des Nähe-Distanz-Kontinuums in der Germanistik wurde nun gerade die Verknüpfung sozialer und kognitiver Dimensionen der Variation als auffällig, teilweise sogar als unberechtigt eingestuft. Im Modell von Ágel und Hennig beispielsweise (siehe Ágel/Hennig 2006) sind die sozial-emotiven Parameter nicht berücksichtigt, weil, so die Begründung, die Konzentration auf die grammatischen Aspekte der Nähe-Distanz-Unterscheidung die Entscheidung für einen engen Begriff der situativen Bedingungen notwendig mache (siehe dazu etwa Hennig 2006: 74–­75). Auch Roland Kehrein und Hanna Fischer folgen dieser Ausgliederung der sozial-emotiven Dimension (siehe Kehrein/Fischer 2016). Sie führen empirische Daten an, die belegen, dass der Dialektalitätsgrad bei der Variation zwischen den Textsorten „persönliches Gespräch“ und „Interview“ offensichtlich eher von sozial-identifikatorischen Faktoren bestimmt wird als von den von Ágel und Hennig vorgeschlagenen (prozessualen) Kriterien der Nähesprachlichkeit. Sie folgern daraus, dass die sozial-emotiven Dimensionen für die Modellierung einer eigenständigen Ebene mit den Polen der „interindividuell-sozialen Vertrautheit“ vs. „Fremdheit“ bzw. der „Sprache der Vertrautheit“ vs. „Fremdheit“ genutzt werden sollten (Kehrein/Fischer 2016: 245–252). Andere Ansätze betonen die Notwendigkeit, „sozial-kulturelle Dimensionen gesellschaftlicher Kommunikation und kognitiv-konzeptionelle Dimensionen getrennt in den Blick zu nehmen“ (Knobloch 2016: 81). Die Rezeption betonte andererseits aber auch, dass es gerade das Einbeziehen der sozial-emotiven Dimension ist, die das Spezifische des Nähe-Distanz-Kontinuums ausmacht. Und wir sollten nicht vergessen, dass sich ein großer Teil der intuitiven Kraft des Modells daraus ergibt, dass die Generalmetapher der Nähe und Distanz in erster Linie sozial-emotive Konnotationen hervorruft und gerade hier mit der Gegenüberstellung der beiden komplementären Pole überzeugen kann.2

Kommunikationsdynamiken zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit

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