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Das Zustimmungsprinzip
ОглавлениеZurück also zu den Hygiene-Demos. Hinter dem Slogan »Nicht ohne uns!« scheint eine Sicht auf die Rechtfertigbarkeit staatlichen Handelns zu stehen, die politische Legitimität vom Kriterium der Zustimmung abhängig macht, etwa im folgenden Sinne: Regierungshandeln ist dann legitim, wenn die Bürgerinnen ihm zustimmen. Sie müssen aber in jedem Fall gefragt werden; und wenn bestimmte Maßnahmen ausdrücklich von der Mehrheit nicht gewünscht sind, dann sind sie dem Zustimmungsprinzips zufolge auch nicht legitim. Das Zustimmungsprinzip wird ideengeschichtlich auf John Locke zurückgeführt, einen der Urväter des Liberalismus. Lockes Legitimitätsverständnis wendet sich gegen die damals vorherrschende Idee, dass einige Menschen dazu geboren seien, zu herrschen, während die meisten anderen dazu geboren seien, zu dienen. Dieser Idee einer natürlichen oder naturgegebenen Herrschaft hielt Locke ein damals radikales Verständnis menschlicher Gleichheit entgegen: Niemand ist natürlicherweise ein Sklave, alle sind gleichermaßen frei. Politische Herrschaft ist in dem Sinne nur dann gerechtfertigt, wenn sie aus freien Stücken angenommen wird.
Das Zustimmungsprinzip bietet eine elegante Erklärung staatlicher Legitimität, denn es ist einfach und passt zu den Grundsätzen unseres liberal-demokratischen Rechtsstaats, der die Autonomie von Personen ernst zu nehmen verspricht. Trotzdem ist es letztlich unplausibel. Erstens besteht das Problem der rekursiven Schleife: Um Zustimmung einzuholen, müssen zunächst eine Frage formuliert und Optionen definiert werden. Das allein strukturiert schon den Raum des politisch Möglichen auf eine bestimmte Weise, und aus diesem Grund fordert auch die Art der Formulierung der Frage und der Optionen Zustimmung. Zumindest muss dem Prozess, in dem politische Fragevorschläge formuliert werden, zugestimmt werden. Den Prozess kann man dabei unterschiedlich gestalten, wobei sich die Unterschiede wiederum auf die Struktur der politischen Entscheidungsfindung auswirken. Ein robuster Voluntarismus ist also in einer rekursiven Schleife gefangen, denn jeder politischen Entscheidung geht eine andere politische Entscheidung voraus. Natürlich ist es praktisch notwendig, dass man irgendwo einmal anfängt und pragmatisch etwas festsetzt. Doch lässt sich diese willkürliche Setzung nicht mit dem Zustimmungsprinzip begründen. Das Zustimmungsprinzip, wenn es denn funktionieren soll, zehrt also von praktischen Voraussetzungen, die es selbst nicht begründen kann.
Zweitens steht das Zustimmungsprinzip auch vor logistischen und epistemischen Herausforderungen: wenn der normative Kern des Zustimmungsprinzips bzw. der Voluntarismus ernst genommen werden soll, dann muss tatsächlich von jedem Bürger und jeder Bürgerin die Zustimmung eingeholt werden. Das war allein logistisch gesehen schon zu Lockes Zeiten kaum zu leisten. Diese Herausforderung dürfte heute, in Zeiten der ständigen digitalen Vernetzung, kleiner geworden sein. Doch auch heute stehen wir noch vor dem Problem, dass nicht klar ist, wie lange die normative Kraft der Zustimmung eigentlich anhält. Denn wenn es wirklich um die voluntas geht, also den Willen, dann muss die Zustimmung zu jedem Zeitpunkt auch wieder zurückgezogen werden können.
Drittens besteht eine Spannung zwischen der Idee, dass es auf die individuelle Zustimmung ankommt, und der Natur politischer Probleme. Würde man das Zustimmungsprinzip und den damit einhergehenden Respekt für die Autonomie von Menschen ernst nehmen, dann dürften die Regeln nur für diejenigen gelten, die ihnen auch zustimmen. Das wird aber spätestens in der Sphäre des Politischen zum Problem, denn die Lösung vieler öffentlicher Probleme und Krisen verlangen die Koordination von Handlungen. Wenn Lösungen effektiv bzw. effizient sein sollen, dann ist es oft erforderlich, dass viele oder sogar fast alle Akteure sich an feste Regeln halten. Bestimmte öffentliche Güter lassen sich nur durch eine regelbasierte Koordination von Handlungen bzw. Unterlassungen herstellen. Sicherheit im Straßenverkehr bietet hier ein offenkundiges Beispiel: Nur dann, wenn fast alle auf der rechten Fahrbahnseite fahren, bei roten Ampeln halten und nicht auf den Gehweg ausscheren, können wir uns einigermaßen sicher im Straßenverkehr bewegen.
Diese Koordinationsleistung ist in besonderem Maße in der Pandemie-Bekämpfung gefragt: Wenn sich sehr viele Menschen in geschlossenen Räumen Masken aufsetzen, sich bei Symptomen in Quarantäne begeben und ihre Mitmenschen nicht anhusten, dann können Infektionsketten durchbrochen und das öffentliche Gut der Nicht-Ansteckung garantiert werden. Doch sobald sich eine kritische Masse nicht mehr daran hält, sind zumindest die geteilten und öffentlichen Räume nicht mehr sicher. Es bliebe nur noch vollständige Abschottung und Isolation, um sich vor dem Ansteckungsrisiko zu schützen.