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Die Philosophie in der Pandemie

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Aus Sicht der analytischen Philosophie stellt die Kommentierung der Zeitläufte eine besondere Herausforderung dar: Der hohe Anspruch an die Philosophie, ihre Zeit – die Corona-Zeit – in Gedanken zu erfassen, ist kaum seriös einzulösen. Analytische Philosophinnen und Philosophen sind besser im sorgfältigen Zerlegen von Problemen als im Blick auf das große Ganze. Und sie stehen dazu: Die Erwartung, die Corona-Zeit bündig auf den Begriff zu bringen, würde die schiere Vielfalt der Herausforderungen verkennen. Und man sollte der Versuchung widerstehen, die Corona-Krise zur Bestätigung der je eigenen vorgefassten Globaldiagnose zu missbrauchen. Die analytische Philosophie hat ihre Stärken im nüchternen, sortierenden, begriffsklärenden und argumentierenden Problemzugriff. Es spricht einiges dafür, dass dieser Philosophiestil der Vielfalt und Komplexität dessen, was es zu bedenken gibt, besser entspricht als eine mit Aplomb vorgetragene Globaldiagnose. Die Philosophie der Pandemie gibt es schon deshalb nicht, weil Corona uns nicht die eine Lektion erteilt hat, sondern ziemlich viele Lektionen.

Die mediale Präsenz der akademischen Philosophie in der Corona-Krise war, wie erste Zusammenstellungen zeigen, beachtlich.2 Über den Ertrag der Wortmeldungen gehen die Meinungen auseinander. Im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung war zu lesen, dass den Philosophen zu Corona »außer Banalitäten erstaunlich wenig« eingefallen sei, »die Originalität und Substanz der Wortmeldungen« sei gering gewesen. Zwar hätten die Philosophen neben einem »fröhlichen Einerseits-andererseits-Brei«, auch viel Richtiges gesagt, nur sei dieses Richtige »von anderen Beobachtern längst bemerkt« worden, »bevor es die Philosophen wiederholten«.3

Das ist eine wenig schmeichelhafte Einschätzung. Wenn man ehrlich ist, wird man sie nach Abzug des polemischen Überschusses nicht rundheraus zurückweisen können. Etliche Wortmeldungen aus der Philosophenzunft haben der Zunft keine Ehre gemacht. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die knappen und häufig zuspitzenden Formate der Publikumsmedien philosophischen Überlegungen keinen günstigen Entfaltungsraum bereitstellen. Redaktionen und Teile der Öffentlichkeit mögen sich von Philosophen vor allem originelle Einsichten und steile Thesen erhoffen. Doch philosophisches Nachdenken zeichnet sich weniger durch die besondere Originalität der Thesen, sondern in erster Linie durch die Genauigkeit und Sorgfalt aus, mit der diese Thesen dargelegt, begründet und mit anderen Überlegungen in Zusammenhang gebracht werden. Wo Philosophie verblüffen will, verspielt sie ihre Stärken. Steile Thesen sind oft vor allem eines: falsch.

Was nun den Einwand betrifft, die Philosophen seien mit ihren Wortmeldungen sehr spät gekommen, so erinnert er an Hegels berühmte Bemerkung über die Eule der Minerva, die erst in der Dämmerung ihren Flug beginnt. Ja, das Nachdenken braucht etwas Zeit, und die Philosophie kommt meistens etwas spät. Doch kommt sie immer noch früh genug zu spät: Philosophen tragen zu gesellschaftlichen Debatten idealerweise etwas bei, das eine längere Halbwertszeit besitzt als Einlassungen zur Tagespolitik. Philosophinnen sind gut beraten, auf diejenigen Aspekte des Umgangs mit der Pandemie abzustellen, die nicht so schnell durch Tagesereignisse überholt werden. Dies ist im Falle der Corona-Krise durchaus eine Herausforderung. Die Jury war jedoch vorausschauend genug, ausnahmslos Beiträge zu Fragen in den Band aufzunehmen, die uns noch länger beschäftigen werden.

Nachdenken über Corona

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