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Drei Merkmale der Corona-Krise

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Worauf würden wir in Zeiten einer Pandemie gerne vertrauen können? Wer sind die in diesem Zusammenhang relevanten Akteure? Und unter welchen Bedingungen ist unser Vertrauen in sie angemessen? Für ein Verständnis der Frage, welche Form von Vertrauen in der Corona-Krise auf dem Spiel steht, ist es hilfreich, sich zunächst drei Merkmale der Situation vor Augen zu führen, in der wir uns seit Beginn von 2020 befinden. Diese drei Merkmale sind weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit einzigartig. Außerdem lassen sich strukturähnliche Situationen denken, die zu ähnlichen Herausforderungen für das Vertrauen in einer Gesellschaft führen würden oder in der Vergangenheit geführt haben. Meiner Meinung nach ist aber die Art und Weise, wie sie sich in der gegenwärtigen Krise realisiert haben, außergewöhnlich genug, um von der Corona-Krise als einer in den letzten Jahrzehnten singulären Herausforderung an Vertrauen reden zu können.

Bei der Corona-Krise handelt es sich erstens um eine umfassende Krise, von der das Leben und die Gesundheit aller Bürgerinnen und Bürger direkt betroffen sind. Zwar gibt es Fluktuationen in der Schwere der Covid-19-Erkrankung in unterschiedlichen Personengruppen, aber niemand ist vor der Krankheit oder einem schlimmen Krankheitsverlauf gefeit und kann sich entsprechend in Sicherheit wiegen. Nach momentanem Stand der Dinge gilt das sogar für Personen, die die Krankheit bereits durchgestanden haben. Die Tatsache, dass wir es hier nicht mit einem lokalen Problem und außerdem mit einer Krise zu tun haben, die mit gravierenden Gefahren verbunden ist, lässt es beinahe fraglos erscheinen, dass die Eindämmung und Bewältigung der Krise zu den Aufgaben von politischen Akteuren, d. h. im Wesentlichen Mitgliedern von Staatsregierungen, gehört. Was auch immer als die Aufgabe eines Staates verstanden wird, so gehört doch der Schutz des Lebens und der Gesundheit seiner Bürger in jedem Fall dazu. Selbst extrem staatsskeptisch oder freiheitsfreundlich eingestellte Personen werden sich darauf festlegen lassen, dass es im Fall von Katastrophen wie einem Erdbeben, einer Überflutung oder eben einer Pandemie zur Aufgabe eines Staates gehört, die Gefahr für Leib und Leben, die für seine Staatsbürgerinnen besteht, zu beseitigen oder zumindest abzumildern. Das erste Merkmal der Corona-Krise verweist auf diese Weise auf eine Gruppe der zentralen Akteure, nämlich politische Entscheidungsträger, sowie die Aufgabe, die ihnen im Zuge der Krise zukommt, nämlich den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Bürger.

Das Besondere an der Corona-Krise, das sie etwa von einer Erdbeben- oder Flutkatastrophe unterscheidet, besteht aber darin, dass politische Entscheidungsträgerinnen diese Aufgabe nicht alleine bewältigen können, sondern zweitens in einem höheren Ausmaß als bei anderen nationalen Notständen auf die Kooperation aller Staatsbürger angewiesen sind. Auch bei einer Flutkatastrophe werden betroffene Bürger zwar beim Bau von Sandsackdämmen mit anpacken müssen, aber es wird sich dabei nur um einen kleinen Teil der Gesamtbevölkerung handeln. Zudem ist vorstellbar, eine solche Aufgabe ganz ohne den Einsatz der Zivilbevölkerung zu bewältigen, etwa im Rahmen humanitärer Noteinsätze der Polizei oder des Militärs. Dass die Situation im Fall von Corona anders ist, liegt in der Hauptsache daran, dass es sich bei dem Auslöser der Krise um eine übertragbare Erkrankung handelt. Will man der Aufgabe gerecht werden, das Leben und die Gesundheit der Bürger zu schützen, wird man deshalb die Übertragung des Virus verhindern müssen.

Ob das Virus übertragen wird oder nicht, ist allerdings von dem Verhalten der Personen, die das Virus haben oder bekommen könnten, abhängig. Das ist selbst in der scheinbar am wenigsten problematischen Situation der Fall, in der ein wirksamer und ungefährlicher Impfstoff gegen ein Virus vorliegt, weil Bürger sich immer noch impfen lassen müssen, damit die Krise bewältigt wird. In der Situation, mit der wir es bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs zu tun haben, sind die Erwartungen an das Verhalten der Bürgerinnen komplexer: Es geht darum, Unannehmlichkeiten im Alltag in Kauf zu nehmen, Verhaltensweisen, die zum Teil im Laufe eines ganzen Lebens zu Routinen geworden sind, von einem Tag auf den anderen zu ändern, oder sogar massive Freiheitseinschränkungen zu akzeptieren. Das zweite Merkmal der Krise verweist neben den politischen Entscheidungsträgern also auf eine zweite Gruppe von Akteuren, von denen erwartet wird, dass sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten, um die Krise bewältigen zu helfen, – und das ist die Gruppe aller Mitbürger.

Die beiden Fragen, welche Erwartungen wir an das Verhalten unserer Mitbürger stellen und wie ein angemessener Umgang der politischen Entscheidungsträgerinnen mit der Krise aussehen sollte, deuten auf eine weitere Dimension der Corona-Krise hin, die für die hier behandelte Problematik rund um Vertrauen wichtig ist. Ob es nämlich sinnvoll ist, in der Öffentlichkeit eine Gesichtsmaske zu tragen oder Schulen und Kindergärten für eine unbestimmte Zeit zu schließen, hängt klarerweise nicht davon ab, wie plausibel sich solche Maßnahmen anfühlen, sondern es handelt sich drittens um eine Frage, die sich auf die Ergebnisse der medizinisch-epidemiologischen Forschung zum Corona-Virus und der Covid-Erkrankung zu stützen hat. Wenn wir von politischen Entscheidungsträgern angemessene Reaktionen zum Schutz unseres Lebens und unserer Gesundheit erwarten, dann erwarten wir, dass es Reaktionen sind, die sich auf die Meinung von Expertinnen stützen, die im Rahmen ihrer Forschung zu evidenzbasierten Einsichten über die Verbreitung des Virus oder den Verlauf der Erkrankung gekommen sind. Analog dazu sollte auch das, was wir von unseren Mitbürgerinnen erwarten, auf die eine oder andere Weise den medizinisch-epidemiologischen Stand der Dinge reflektieren und nicht lediglich auf dem individuellen Bauchgefühl einzelner Bürger beruhen.

Evidenzbasierte Forschungsergebnisse dieser oder jener Art werden zwar in jedem Typ von Notfallsituation wichtig sein (auch für den Bau von Sandsackdämmen ist Expertise erforderlich), doch im Fall von Corona ist die Abhängigkeit von Expertenurteilen besonders ausgeprägt: Nur bei den wenigsten Dingen, die z.B. die Übertragung von SARS-CoV-2 betreffen, können wir uns auf unseren gesunden Menschenverstand oder eine auf emotionalen Reaktionen basierende Heuristik verlassen. Der Großteil des relevanten Wissens ist hochkomplex, teils Gegenstand laufender Forschungen und greift auf Erkenntnisse aus einer Vielzahl unterschiedlicher Disziplinen zurück. Das dritte Merkmal verweist demnach auf die Tatsache, dass die Hauptakteure der Corona-Krise – politische Entscheidungsträger und alle Staatsbürger – ihre Entscheidungen bezüglich der Pandemie-Situation auf der Grundlage der Ergebnisse der Arbeit einer dritten Akteursgruppe fällen sollten – der Gruppe der Expertinnen in den einschlägigen empirischen Wissenschaften wie der Medizin und der Epidemiologie.

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