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Das Fairnessprinzip

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Die Lösung vieler öffentlicher Probleme erfordert die Koordination von Handlungen. Das führt uns zu einem anderen Prinzip politischer Legitimität, nämlich dem Prinzip der Fairness. Das Fairness- (oder Fair-Play-) Prinzip besagt, dass der Staat seinen Bürgerinnen wichtige Güter, wie etwa politische Stabilität, Sicherheit oder öffentliche Gesundheit garantiert. Wir profitieren von diesen Gütern. Aus diesem Grund darf der Staat uns dazu zwingen, zur Bereitstellung dieser Güter beizutragen. Tatsächlich wird jedoch nicht der Beitrag eines jeden gebraucht, um diese Güter bereitzustellen: Sollte ich also einmal meinen Beitrag nicht leisten, indem ich zum Beispiel gegen die Regeln verstoße, bricht nicht gleich das gesamte Gut weg. Angenommen, dass ein Mensch ohne Maske einkaufen geht oder ein Autofahrer gelegentlich bei Rot über eine Ampel fährt, ist dieser Regelbruch gesamtgesellschaftlich verkraftbar. Warum sollte der Staat dann also auf den Beitrag jeder einzelnen Bürgerin bestehen?

Eine zunächst plausible Antwort ist: Es wäre unfair, wenn sich einige nicht an die Regeln halten, auch wenn dies zunächst keine Konsequenzen für das gewünschte Gut hat. Aus diesem Grunde ziehen wir nun das Fairnessprinzip heran, das besagt, dass der Staat mich ausnahmslos zwingen darf, meinen Beitrag zu leisten – seine Regeln also lückenlos durchsetzen darf –, weil ich andernfalls gegenüber meinen Mitbürgerinnen einen Vorteil hätte: Ich bekäme das Gut kostenlos, ohne meinen Beitrag zu leisten. Angewandt auf die Corona-Pandemie besagt das Fairnessprinzip, dass wir es unseren Mitbürgerinnen aus Gründen der Fairness schulden, die Corona-bedingten Einschränkungen auf uns zu nehmen. Schließlich profitieren wir von den staatlich verordneten Einschränkungen: Das Risiko, sich mit Corona anzustecken, sinkt in dem Maße, in dem (möglicherweise unwissentlich) Infizierte die Maske aufsetzen müssen, wenig am öffentlichen Leben teilnehmen dürfen, und sich bei bestätigter Infektion zuhause isolieren müssen. Und weil wir alle von einem niedrigen Ansteckungsrisiko profitieren, müssen wir fairerweise alle zuhause bleiben. Zwar würde es keinen großen Unterschied machen, wenn ich mich doch nicht immer und an alle Einschränkungen halte: Als einzelne Person kann ich sicher einige andere Personen anstecken, doch das Ausmaß würde sich in Grenzen halten, wenn alle anderen zuhause bleiben, ihre Kontakte einschränken und Maske tragen. Doch es wäre unfair, wenn ich mir als Einzige das Recht herausnehmen würde, mich über die Einschränkungen hinwegzusetzen, denn ich würde vom Verzicht der anderen profitieren, ohne selbst etwas dazu beizutragen. Genau genommen schulde ich also allen anderen meinen fairen Beitrag dafür, dass das Ansteckungsrisiko minimiert wird.

Das Fairnessprinzip kann man als bevormundend und paternalistisch kritisieren. Zu Recht – denn die Idee, staatlichen Zwang damit zu begründen, dass den Gezwungenen in dem Falle, dass sie sich dem Zwang unterwerfen, ein wichtiges Gut bereitgestellt wird, passt nicht recht in eine liberale Demokratie.

Das überzeugendste Gegenargument stammt von Robert Nozick (1974, S. 93), das hier leicht abgewandelt wiedergegeben werden soll: Stellen Sie sich vor, während des Lockdowns organisieren Ihre Nachbarn reihum jeden Abend einen netten, öffentlichen Musikabend, den Sie und alle Nachbarn von der Terrasse aus genießen können. Anfangs sind Sie skeptisch, doch stellt sich heraus, dass das Programm ganz wunderbar ist. Sie freuen sich tagsüber schon richtig auf das allabendliche Musikprogramm und genießen dieses kulturelle Gut aus vollem Herzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Sie nach 35 Abenden die Pflicht haben, den 36. Abend im Lockdown für alle musikalisch zu gestalten. Vielleicht wäre es im Sinne nachbarschaftlicher Gegenseitigkeit nett, wenn Sie das tun würden, doch sollten Sie sich weigern, dann ist das eben so – die Nachbarn dürften sie keinesfalls zwingen, weiterzumachen.

Ähnlich scheint es bei dem Fairnessprinzip zu sein: Wir verstehen uns als autonome Personen, die in der Lage sind, selbst zu entscheiden, was sie bereit sind beizutragen – auch dann, wenn es um ein Gut geht, von dem wir profitieren. Natürlich würde dann, wenn wir explizit zustimmen würden, einen bestimmten Beitrag zu leisten, die Sache anders aussehen, denn dann hätten wir tatsächlich eine Verpflichtung übernommen, unseren versprochenen Beitrag auch zu leisten. Doch übertragen auf staatliches Regieren sind wir wieder beim Zustimmungsprinzip angelangt, dessen konzeptuelle Schwächen wir ja bereits kennen.

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