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Vertrauen und Misstrauen in Zeiten von Corona

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Politische Entscheidungsträger sollten also Maßnahmen ergreifen, die das Leben und die Gesundheit der Bürger schützen; die Bürger sollten sich dabei kooperativ verhalten, um die Verbreitung des Virus eindämmen zu helfen; und beide Akteursgruppen sollten dabei die Forschungsergebnisse der relevanten Wissenschaften beachten. Dass sie das ›sollten‹, ist allerdings keine Garantie dafür, dass sie das auch tatsächlich tun werden. Genau an dieser Stelle kommt Vertrauen ins Spiel. Wir wissen nicht mit Sicherheit, welche Entscheidungen unsere Regierungen fällen werden, und wir wissen noch weniger, wie unsere Mitbürger auf bestimmte Situationen reagieren werden. Und weil wir dies nicht wissen, müssen wir darauf vertrauen, dass sie sich auf angemessene Weise verhalten werden.

An dieser Stelle haben wir es zunächst mit einer allgemeinen Vertrauensproblematik zu tun, die in der Corona-Krise lediglich auf eine besondere Weise in den Fokus rückt. Wir befinden uns nämlich so gut wie immer in einer Situation der Unsicherheit bezüglich der Handlungen von politischen Entscheidungsträgern und von Mitbürgern, einer Unsicherheit, der durch Vertrauen begegnet werden muss, weil, wie oft behauptet wird, anders das Funktionieren einer Demokratie nicht garantiert werden kann. So lässt sich argumentieren, dass die Entscheidungen demokratisch gewählter Regierungen in dem Maße an Legitimität verlieren, in dem Bürgerinnen nicht mehr darauf vertrauen können, dass sie auf kompetente Weise und aus der richtigen Motivation heraus gefällt wurden. Umgekehrt scheint für eine ganze Reihe von Regulierungen und Gesetzen in demokratischen Staaten zu gelten, dass sie nur dann eine Chance haben, befolgt zu werden, wenn man als Bürger darauf vertrauen kann, dass eine hinreichende Anzahl von Mitbürgern sie ebenfalls befolgt.

Diese Struktur lässt sich sehr einfach in der Corona-Krise wiederfinden: Sollte etwa eine Regierung empfehlen, in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Gesichtsmaske zu tragen, um die Verbreitung des Virus einzudämmen, ist es nur dann rational, diese Empfehlung zu befolgen, wenn ich davon ausgehen oder eben darauf vertrauen kann, dass ein hinreichender Prozentsatz meiner Mitreisenden dies auch tut. Ansonsten hätte die Mühe, die mit dem Tragen einer Gesichtsmaske nun einmal verbunden ist, nicht sehr viel Sinn. Das ›horizontale‹ Vertrauen in meine Mitbürgerinnen stellt also eine Voraussetzung dafür dar, dass bestimmte kooperative Unternehmungen zur Eindämmung des Virus überhaupt eine Aussicht auf Erfolg haben. Ebenso problematisch ist die Situation aber, wenn es an ›vertikalem‹ Vertrauen der Bürger in ihre politischen Repräsentantinnen fehlt: In dem Maße, in dem ich etwa davon ausgehen muss, dass meine Regierung eigentlich keine Ahnung von den für die Corona-Krise relevanten Sachverhalten hat oder aber Ziele verfolgt, die nur dem Anschein nach mit der Beförderung des Gemeinwohls zu tun haben, werde ich selbst keinen Anlass haben, die Maßnahmen, die die Regierung vorschreibt oder empfiehlt, zu befolgen oder überhaupt zu beachten. Es ist klar, dass auf diese Weise keine epidemiologische Krise und erst recht keine vom Ausmaß der Krise, mit der wir es zu tun haben, gelöst werden kann.

Von der Warte der Philosophie ist es selbstverständlich nicht ganz einfach, an dieser Stelle eine Lageeinschätzung vorzunehmen und zu bewerten, wie es um die beiden zuletzt angesprochenen Formen des Vertrauens steht. Höchstwahrscheinlich wäre es allerdings verfehlt, im Zuge der Corona-Krise von einer generellen Vertrauenskrise zu sprechen. In vielen Staaten scheint der Ernst der Lage zu einer disziplinierten und (zähneknirschend) solidarischen Haltung bei einem Großteil der Bevölkerung geführt zu haben, und bis auf die bekannten und die Schlagzeilen dominierenden Ausnahmen scheinen die weltweiten politischen Reaktionen auf die Pandemie trotz aller Unterschiede in der Ausgestaltung der Krisenmaßnahmen die Situation auf angemessene Weise ernst zu nehmen. Philosophisch bemerkenswert sind allerdings diejenigen Zusammenhänge, in denen die Formen des Vertrauens, um die es mir geht, brüchig werden, zumal die Situation, die ich möglicherweise allzu optimistisch zeichne, sich mit dem Andauern der Krise verschlechtern könnte.

Während ich diese Zeilen schreibe, gehen Tausende Menschen in verschiedenen Ländern der Welt auf die Straße, um gegen die von ihren Regierungen verhängten Maßnahmen zu protestieren und ihre ›Freiheit‹ zurückzufordern. Sie machen auf diese Weise deutlich, dass sie politischen Entscheidungsträgern nicht nur nicht vertrauen, sondern ihnen regelrecht misstrauen und sich entsprechend nicht an den kooperativen Anstrengungen zur Bewältigung der Krise beteiligen wollen. Eine banale Erklärung dieses Phänomens könnte lauten, dass die Demonstranten eben gegen anstrengende Maßnahmen demonstrieren, die oft drastische Einschnitte in ihrem Leben zur Folge haben. Ließe sich Corona durch Klicks in den sozialen Medien bekämpfen, würden Demonstrationen wohl ganz ausbleiben. Andererseits überrascht aber die Vehemenz des Protestes, vor allem wenn er über die bloße Bekundung, ›man wolle nicht mehr mitmachen‹, hinausgeht und sich an einer Rechtfertigung versucht. Und dieser überraschende Aspekt hat etwas mit dem dritten Merkmal der Corona-Krise zu tun.

Wenn die Demonstrantinnen nämlich ihr Misstrauen zu begründen versuchen, machen sie nicht selten darauf aufmerksam, dass SARS-CoV-2 nicht so gefährlich sei, wie die meisten Menschen denken, dass Covid-19 nicht schlimmer als eine normale Grippe sei, dass das Tragen von Gesichtsmasken keinen Sinn habe, oder, im Extremfall, dass die Corona-Krise lediglich einen konzertierten Täuschungsversuch einer finsteren Verschwörergruppe darstelle. Auch wenn man nicht alle Formen dieser Corona-Skepsis gleichermaßen ernst zu nehmen hat, so fällt doch ein Merkmal auf, das sie alle gemeinsam haben, selbst die am wenigsten abstrusen. Es besteht darin, in der einen oder anderen Form den medizinisch-epidemiologischen Stand der Dinge und das dahinterstehende Paradigma der evidenzbasierten Wissenschaft anzuzweifeln. Das Misstrauen gegenüber den von der Regierung verhängten Maßnahmen wird dann im besten Fall darauf zurückgeführt, dass sich die Entscheidungsträger von falschen Annahmen leiten lassen, und im schlimmsten Fall darauf, dass sie im Bunde mit der Wissenschaft die Bevölkerung zu täuschen versuchen, um ihre eigenen suspekten Ziele zu verfolgen. Überraschend ist das alles, wenn man bedenkt, wie viel solche ›Skeptiker‹ in Frage stellen müssen, um ihre Skepsis aufrechtzuerhalten, und wie selbstverständlich sie sich in anderen Zusammenhängen auf die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung verlassen, etwa wenn sie die Wettervorhersage abrufen, ein Kopfschmerzmittel einnehmen oder das Navigationssystem benutzen, um zur nächsten Demonstration zu kommen. Überraschend ist es nicht zuletzt auch deshalb, weil sie mit ihrem Handeln nicht nur ihre Mitbürgerinnen, sondern oft auch sich selbst und ihre Angehörigen zum Teil massiven Gefahren aussetzen.

Fragt man nach einer Erklärung für solche Exzesse des Misstrauens, so ist die Philosophie wiederum in einer schlechten Position, weil es hier um komplexe soziale und psychologische Kausalverhältnisse und Dynamiken geht, die von anderen Disziplinen erforscht werden. Mit Spekulationen sollte man deshalb vorsichtig sein, auch wenn sich nicht von der Hand weisen lässt, dass z.B. die Art und Weise, wie der Transfer von Wissen und Information sich im Zuge der Digitalisierungsprozesse der letzten Jahre verändert hat, eine wichtige Rolle bei der subjektiven Entwertung von Expertise und dem Vertrauensverlust in wissenschaftliche Experten gespielt hat und immer noch spielt. Gleichzeitig treten in der Corona-Krise auch Haltungen zutage, die sich bereits lange zuvor – etwa im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise – manifestiert haben. Eine unterreflektierte Staatsskepsis verbunden mit dem bizarren Anspruch, die Besorgnis ›des Volkes‹ auszudrücken, sind keine Phänomene, die erst 2020 in die Welt gekommen sind. Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass sowohl die Erklärung als auch die Lösung der hier angesprochenen Probleme komplex sein werden und dass in dieser Hinsicht nicht zu viel von einem noch so subtilen philosophischen Argument zu erwarten ist.

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