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Sophie Esterer Der Schleuserkönig: Eine sagenhafte Satire

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Ein Bauer aus der Gegend von Al-Qalamoun war in große Not geraten. Er hatte sich das ganze Jahr früh und spät in seinem kleinen Anwesen geplagt, mit großem Fleiß seine Felder bestellt, hatte gepflügt, gejätet und sich im Sommer im Schweiße seines Angesichts mit seinen Kindern um das Einbringen seiner Ernte bemüht. Doch Jahr für Jahr hatte Dürre geherrscht. Auch in diesem Jahr brannte die Sonne unerbittlich vom Himmel. Die Brunnen waren ausgetrocknet, die Pflanzen verkümmerten am Feld. Dann kam der Krieg. Kein Strom, kein Diesel, kein Saatgut, kein Dünger war zu kaufen. Der Bauer hatte Angst, aufs Feld zu gehen. Bewaffnete Kämpfer lauerten dort, nahmen Menschen gefangen. Der Bauer hatte Angst, in die Stadt zu gehen. Er wusste nicht, ob er wieder in sein Dorf zurückkehren dürfte. Als der Bauer dann nach der Ernte den Ertrag des Jahres überblickte, sah er mit Schrecken, dass er nicht genug hatte, um bis zur nächsten Ernte mit seiner Familie das Auskommen zu finden. In früheren Jahren hatte er regelmäßig einen Teil seiner Feldfrüchte auf dem Markt verkaufen können. Diesmal aber verblieb ihm kein Hälmlein und kein Körnlein, das er zu Geld machen konnte. »Das Unkraut deines eigenen Feldes schmeckt besser als der Weizen aus der Fremde«, sagte die Frau des Bauern. Doch seine Kinder hungerten. Seine Nachbarn verließen das Dorf. Seine Frau wurde still und bitter.

Kummervoll machte sich auch der Bauer eines Tages auf den Weg, um in einem entfernt gelegenen Land Hilfe und Arbeit zu suchen. Es war ein schwerer Gang, denn es kam ihm nicht leicht an, anderen Leuten seine Not zu klagen. Auch machte er sich nicht allzu viel Hoffnung auf den Erfolg, denn die Reise war lange und gefährlich.

Zu Fuß war der Bauer nun auf verborgenen Wegen unterwegs. Tag für Tag litt er Hunger, Durst, Hitze, Kälte. Er teilte den Pfad mit Tausenden, ja, gar Hunderttausenden anderen Bauern, die in fernen Ländern Geld zu verdienen suchten, wovon ihre Frauen die dringendsten Schulden bezahlen und die Felder bestellen sollten. So schritt er, seine hoffnungslose Lage überdenkend, durch eine finstere Schlucht am Rande eines großen Meeres. Müde und verzagt setzte er sich auf einen Felsblock am Weg und murmelte vor sich hin: »Ach, wenn mir doch irgendein höheres Wesen, eine gütige Frau oder ein freundlicher Mann in meiner unverschuldeten Not zu Hilfe käme!« Wehmütig sah er dem munteren Spiel der Eidechsen in seiner Nähe zu, hörte in der Ferne den heiteren Gesang der Vögel, da war es ihm, als vernähme er hinter seinem Rücken leises Stimmengewirr. Doch als er sich umdrehte, sah er niemanden. Aber bald vermeinte er wieder Stimmen zu hören und erhob sich, um durch die Zedernbäume zu spähen. Er sah zwar kein menschliches Wesen, aber die Laute waren jetzt deutlicher zu hören, und er zwängte sich in der Richtung des Schalles durch das Gebüsch. Das Geräusch verstärkte sich , und da sah er auf einer Lichtung Hunderte von Menschen, die dort standen und saßen und unter fröhlichen Gesten und Reden in ihren leeren Taschen wühlten und ihre Träume und Wünsche austauschten. Inmitten des Trubels stand ein wunderschöner, weiß und silbrig schimmernder Wagen. Im Wagen saß ein alter, ehrwürdig aussehender Mann in einem edlen weinroten Anzug. Es war der Schleuserkönig, der mit gnädigem Blick dem fröhlichen Treiben der Menschen zusah.

Der Bauer blieb regungslos in seinem Versteck stehen und beobachtete das bunte Treiben, das sich vor seinen Augen entfaltete. Eine Weile hatte er unbemerkt hinter seinem Busch gelauscht, als plötzlich ein kleiner Mann auf das Gebüsch zugelaufen kam. Mit pochendem Herzen trat der Bauer aus seinem Versteck. Sogleich kamen andere Männer herbei und führten den Bauern zum Schleuserkönig, der den fremden Eindringling auszufragen begann. Der Bauer klagte dem Schleuserkönig in bewegten Worten seine Not, und dieser schien von den offenen Worten des einfachen Mannes gerührt. Er ließ alle Menschen vor seinen Wagen treten und befahl ihnen, zu einem nahe gelegenen niederen Hügel voranzugehen; er selbst fuhr mit seinem glänzenden Wagen hinterdrein und lud den Bauern ein mitzukommen. Ein langer, von Kiefern und Zypressen gesäumter Weg führte zu einem Strand aus weißen Kieselsteinen. Da lag vor den Blicken des Bauern im strahlenden Lichterglanz des blauen Wassers ein Boot, das die Menschen über das große Meer zu bringen versprach.

Viele Tage dauerte die Überquerung des Meeres, und der Bauer litt manchmal große Angst, dass ein Sturm das Boot zum Kentern bringen würde. Auch wusste er nicht, was ihn auf der anderen Seite des Meeres erwarten würde. Der Bauer dachte oft sorgenvoll an seine Ehefrau und Kinder, die von seinem Verbleib nichts wussten.

Als das Boot nach vielen unruhigen Tagen und Nächten endlich Land erreichte, gebot der Schleuserkönig den Menschen, in einen großen, dunklen Wagen zu steigen. Der Wagen holperte über Stock und Stein, durch viele unbekannte Länder, die weder der Bauer noch seine Weggefährten je zuvor bereist hatten. Mit großer Hoffnung unterhielten sie sich über diese fremde Umgebung, die grünen Wiesen, die Felder voller Korn und die großen Maschinen.

Als die Fahrt an ihr Ende kam, stieg der Bauer aus dem Wagen. »Wo bin ich?«, fragte er den Schleuserkönig. Dieser nickte und deutete auf eine große Tafel, auf der in goldenen Lettern »Willkommen in Obernberg« geschrieben stand. Rote, blaue und grüne Häuser mit weiß verzierten Fenstern drängten sich dicht um einen Marktplatz. Ein großer gelber Kirchturm streckte sich zum Himmel. Menschen tummelten sich um Marktstände, die sich unter üppigen Waren bogen – Kartoffeln, Äpfel, Brot und Fleisch, soweit das Auge reichte. So gute Sachen hatte der Bauer noch nie gesehen, geschweige denn gegessen. Während der Bauer noch fassungslos diesen unermesslichen Reichtum bestaunte, verabschiedete sich der Schleuserkönig und wünschte dem Bauern viel Glück.

Zwei Jahre verbrachte der Bauer in seiner neuen Heimat. Er lernte die schwierige Sprache des fremden Landes, bewirtschaftete die fruchtbaren Felder der fremden Bauern und aß die köstlichen fremden Speisen, die mit fröhlichem Geplauder und Gelächter gewürzt waren. Im dritten Jahr ließ der Schleuserkönig den Bauern rufen und fragte ihn, wie es ihm hier gefalle und ob er nicht auf immer dableiben wolle. Da fielen dem Bauern voll Sorge Ehefrau und Kinder ein und alle Not, die ihn und seine Familie auf Erden erwartete, kam ihm wieder zu Bewusstsein. »Herr«, sagte er mit bebender Stimme, »in diesem Reich ist es wunderschön, hier gibt es keine Not und keine Sorgen, und ich würde wohl gern für immer dableiben; aber drüben leben meine Frau und meine Kinder in Not und Entbehrungen; sie wissen nicht, wo ich hingekommen bin, und warten gewiss mit Angst auf meine Heimkehr. Ich bitte Euch, lasst mich wieder zu den Meinen nach Hause gehen!«

Da nickte der Schleuserkönig würdevoll und sagte: »Bald sollst du wieder zu deiner Familie heimkehren. Aber vorher sollst du für einen Sack voller Geld sorgen.« Darauf arbeitete der Bauer so fleißig, wie er es sein Lebtag noch niemals getan hatte. Jahrein, jahraus schuftete und schuftete er. Er sparte jede Münze, die er nur entbehren konnte, bis sein Sack eines Tages bis an den Rand gefüllt war und er ihn kaum schleppen konnte.

Am anderen Morgen nahm er Abschied und schritt mit seinem schweren Sack bepackt aus dem Ort. Bald sah er sich wieder unter den Zedernbäumen, wo er den Schleuserkönig einst vorgefunden hatte, und machte sich auf den Heimweg zu seiner Familie, die wegen seines langen Ausbleibens schon die ärgsten Befürchtungen gehegt hatte; denn er war volle acht Jahre fort gewesen. Nun aber hatte alle Not ein Ende, und dankbar gedachte der Bauer in seinem Wohlstand der hilfsbereiten Menschen auf seiner langen Reise.

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