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Praktisches Beispiel
ОглавлениеDie Patientin Frau H. (58 J.) erscheint zur ersten Visite bei Frau Dr. M., Frau H. ist wegen wiederkehrender Panikattacken in Behandlung gekommen. Die Attacken werden durch Brustschmerzen ausgelöst, die mit Ängsten verbunden sind, an einem Herzinfarkt zu sterben. Wegen der Heftigkeit der Panikattacken traut sich Frau H. seit einem Jahr nicht mehr, das Haus zu verlassen.
Dr. M.: Guten Morgen Frau H., was ist Ihnen wichtig, heute mit mir in der Visite zu besprechen?
Frau H.: Ach wissen Sie, ich weiß gar nicht so richtig… Ich bin ja jetzt schon den zweiten Tag hier und ich frage mich immer mehr, ob ich hier eigentlich richtig bin. Was soll mir das denn bringen?
Dr. M.: Das sind ja sehr wichtige Fragen, die Sie da beschäftigen. Gut, dass Sie die auch jetzt und hier ansprechen.
Frau H. nickt abwesend und knüllt mit verkrampften Händen ein Taschentuch zusammen.
Dr. M. (Nimmt wahr, dass die Patientin in ihrer Anspannung gar keinen richtigen Kontakt zum Gegenüber aufnimmt und entschließt sich deshalb, zunächst den ACT-Prozess »Präsent sein im Hier und Jetzt« zu adressieren): Diese Fragen werden wir gern gleich besprechen. Im Moment bemerke ich aber auch, dass Sie ziemlich angespannt scheinen. Können Sie mir denn sagen, wie es Ihnen gerade jetzt in diesem Moment geht?
Frau H.(scheint überrascht): Ja tatsächlich, ich krieg gar nicht so richtig Luft und meine Schultern sind auch total verspannt.
Dr. M.: Das kennen Sie sicher gut? Darf ich Ihnen etwas vorschlagen? (Frau H. nickt zustimmend) Wir können sicher viel effektiver miteinander reden, wenn Sie besser Luft bekommen und nicht so abgelenkt von den Verspannungen sind. Versuchen Sie doch zunächst bitte einmal, vor allem tief auszuatmen. Durch tiefes Ausatmen passt viel mehr Luft in die Lungen. Das Einatmen geht dann wie von selbst. (Dr. M. macht einige Atembewegungen gemeinsam mit Frau H., deren Atmung deutlich ruhiger wird) … Okay… Lassen sie uns jetzt noch einmal Ihre Fragen anschauen.
Frau H. nickt.
Dr. M.: Die eine Frage war, »Was soll mir das denn bringen?«, richtig?
Frau H. nickt.
Dr. M. (Nimmt bei sich den Impuls bewusst wahr, die Patientin durch Argumente von der Richtigkeit der Therapie überzeugen zu wollen. Aus Erfahrung weiß sie jedoch, dass dies oft nicht hilfreich im Sinne ihrer Werte als Behandlerin ist und fokussiert stattdessen den Beziehungsaufbau über Selbstoffenbarungen (über die eigenen Werte sprechen) und das Erfragen der Werte der Patientin): Die Antwort darauf ist auch mir wichtig: Ich möchte Sie gern unterstützen, etwas zu erreichen, was Ihnen wirklich am Herzen liegt. Wenn diese Behandlung Ihnen also helfen könnte: Was wäre dann anders als es jetzt ist?
Frau H.: Naja, meine Ängste wären weg.
Dr. M.: Okay, nehmen wir mal an, es würde Ihnen zumindest deutlich besser gehen mit den Ängsten – was würden Sie denn dann wieder tun, was Sie jetzt nicht mehr tun, weil die Ängste Sie so im Griff haben?
Frau H.: Ich könnte mich wieder frei bewegen, raus gehen. Einfach mein Leben leben.
Dr. M.: Das sind für mich sehr wichtige Sachen, die Sie da sagen. Wenn ich Sie richtig verstehe, ist Ihnen die Freiheit, sich zu bewegen, etwas Wichtiges. Und was es für Sie bedeutet, Ihr »Leben zu leben«, das ist für uns besonders wertvoll zu erfahren. Das setzen wir hier in der Therapie ganz oben auf die Rangliste, weil sich danach unsere ganze Therapie ausrichtet: Was Ihnen wichtig ist und was Ihnen am Herzen liegt… wo Sie wieder hinwollen. Wie klingt das für Sie, wenn ich das so sage?
Frau H. (nickt): Ich kann mir noch nicht richtig vorstellen, wie das funktionieren soll, aber ich will es versuchen.