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»Christentum und Europa« lautete das Thema des XVI. Europäischen Kongresses für Theologie, der von der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (WGTh) und der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien vom 10.–13. September 2017 an der Universität Wien veranstaltet wurde. Mit diesem Band werden die Plenums- und Sektionsvorträge des Kongresses dokumentiert. Im Namen der WGTh bedanke ich mich für die Gastfreundschaft sowie für die Vorbereitung und Organisation des Kongresses an der Wiener Universität. Wien erwies sich wiederum als ein ganz besonderer europäischer Ort. In Wien ist neben allem Geistigen und Kulturellen immer wieder der spezifische europäische Charakter zwischen West- und Osteuropa sowie zwischen Mittel- und Südeuropa zu spüren. Wien zeigt sich als ein Schmelztiegel der Lebensformen und Denkstile und damit als ein geeigneter Ort für grenzüberschreitendes Denken.

Der letzte Wiener Kongress der WGTh im Jahre 2008 trug den Titel »Kommunikation über Grenzen«.1 Damit sollte zweierlei zum Ausdruck gebracht werden: Kommunikation über das, was uns zutiefst angeht, muss Grenzen überschreiten und muss dabei die realen Grenzen thematisieren. Der ehemalige Vizekanzler der Republik Österreich, Erhard Busek, hat in seiner damaligen Eröffnungsrede unter anderem auf die Verantwortung von Universität, Religion und Theologie für das europäische Projekt aufmerksam gemacht und dabei an die ältere und jüngere Geschichte erinnert: »Dass Europa in Jahrhunderten vom Christentum geprägt wurde, weiß man. Dass das aufeinander zugehende Europa von Christen gestaltet wurde, ist heute in Vergessenheit geraten.«2 Busek nannte in diesem Zusammenhang Konrad Adenauer, Robert Schuman und Alcide de Gasperi, die nach 1945 Europa aus den Trümmern neu auf den Weg halfen.3

Vor drei Jahren, im Gedenkjahr 2014, ist der XV. Europäische Kongress für Theologie in Berlin den schrecklichen Verirrungen von 1914 nachgegangen, also besonders jenem Jahr, in dem der Konnex von Christsein und Europäersein in dem nationalen Taumel von wenigen Monaten wie ein nur oberflächlicher Beschlag verdunstete – sei es in Deutschland, in Frankreich oder in England.4 Das Christliche konnte damals das Gefahrenpotenzial des Nationalen in keiner Weise dämpfen. Nicht erst in Zeiten der Krise entstehen neuer Partikularismus, Nationalismus und Egoismus, sondern mindestens im Hinblick auf 1914 wird man es auch andersherum formulieren müssen: Partikularismus, Nationalismus und Abgrenzungsbedürfnis können Krisen herbeiführen, die sich dann plötzlich als nicht mehr zu bewältigen und in der Katastrophe endend erweisen.

Das Europäische ist offensichtlich – trotz der langen Geschichte – in jeder Generation gefährdet und muss immer wieder neu entdeckt und errungen werden. Der weitgehende Friede in Europa nach 1945 und die zunehmende europäische Einigung seit den »Römischen Verträgen« im Jahre 1957 sind Entwicklungen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum denkbar erschienen und die zu Beginn des 21. Jahrhunderts bewahrt und weiterentwickelt werden müssen, um Bestand zu haben. Das Projekt der europäischen Einigung ist kein Selbstläufer, sondern vielmehr der Gegenstand von Begeisterung und Engagement, die von jeder Generation aufgebracht werden müssen, um ihren Gehalt zu erneuern und zu bewahren. Gerade in Zeiten, da die Wahrnehmungsbedingungen durch Pluralismus und Individualismus gekennzeichnet sind und ideologische wie nationale Abgrenzungstendenzen auf dem Vormarsch zu sein scheinen, drohen das grenzüberschreitende Denken und der Geist Europas an Faszination zu verlieren. Darum gilt es das Projekt des geistig, kulturell und religiös pluralen, jedoch vereinten Europa beizubehalten und dieses unter den Bedingungen von Flucht und Migration weiterzuentwickeln.

Was kann die Religion dazu tun? Erhard Busek gab darauf 2008 eine sehr einfache und tiefgründige Antwort: »Zunächst einmal: Religion zu sein«5. Man wird das heute wiederholen können: Zunächst einmal ist es Aufgabe der Religionen, Religion zu sein. Das gilt deswegen, weil der moderne Staat, gerade aufgrund seiner Pluralität und Säkularität, den geistigen Zusammenhalt der Menschen nicht produzieren und vorgeben kann und darf. Eine Staatsgesinnung ist um der Freiheit des Bürgers willen nicht vorgesehen. Gesinnungsbildung ist eine höchst persönliche, wenn auch keine private Angelegenheit. Damit sind Religionen nicht zuletzt Bildungsagenturen im weitesten Sinne.

Die Beiträge dieses Bandes beschäftigen sich mit verschiedenen historischen, systematischen und praktischen religionstheoretischen wie theologischen Fragestellungen des Christentums in Europa. Der XVI. Europäische Kongress für Theologie begann mit der Geschichte. Dabei stand das Christentum in Antike und Reformation im Mittelpunkt des Interesses. Ohne diese Aspekte verliert die europäische Geschichtsschreibung – gerade auch in ihrer Ambivalenz – ihre Tiefenschärfe. Auf diesem Hintergrund wurde dann die Gegenwart in den Blick genommen: Leben wir im heutigen Pluralismus in einem »Europa ohne Gott«? Woher kommt das religiöse Schwächeln des alten Europa und woher rührt der Hang zur relativierenden Selbstverundeutlichung? Andererseits ist das damit Beschriebene nicht nur eine Schwäche, sondern auch eine mühsam erworbene, bleibende Stärke Europas. »Denkender Glaube als europäisches Projekt«, lautete das Thema einer der Sektionsveranstaltungen. Die Religionskritik als grundlegendes religiöses Selbstverhältnis bietet eine gewisse Sicherheit gegenüber allen religiösen und wissenschaftlichen Hypertrophien. Damit ist der dritte Aspekt des Kongresses angesprochen, die Gestalt der europäischen Wissenskultur. Glauben ist nicht Wissen. Aber Glauben ist ein spezifisches Verhältnis zu allem Wissen, welches sich in der Unterscheidung vom Wissen und gerade so an der besonderen Wertschätzung des Wissens beteiligt und bewährt. Darum war nicht nur die Reformation, sondern darum ist das europäische Christentum insgesamt eine »Bildungsbewegung«. Das »Verstehst du auch, was Du liest?« des Apostels Philippus auf dem Weg von Jerusalem nach Gaza (Apg 8,30) ist ein Ursprung des nicht nur lesenden, sondern auch verstehenden europäischen Denkens. Verstehen ist mehr als Lesekompetenz. Das Schriftprinzip ist eine vorzügliche Quelle verstehenden Nachdenkens und die Schriftkritik bildet den Ausgangspunkt aller kritischen europäischen Schrifthermeneutik. Die Geschichte, der Pluralismus, die Wissenschaft – drei Aspekte der Verbundenheit, wenn auch nicht nur der Erfolgsgeschichte von Christentum und Europa, wurden in Wien detailliert bearbeitet.

Am Schluss dieses Vorwortes gilt es allen denen zu danken, die zum Gelingen des Kongresses und dieses Bandes beigetragen haben. Im Namen des Vorstandes der WGTh danke ich dem Team der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, namentlich Prof. Dr. Markus Öhler und dem Dekan Prof. Dr. Dr. Martin Rothgangel sowie besonders Frau Elisabeth Cella und dem Team der Wiener studentischen Hilfskräfte. Herr Rainer Leon Beck von der Geschäftsstelle der WGTh hat mit seiner Sorgfalt und akribischen Organisation im Vorfeld erneut maßgeblich zum Gelingen des Kongresses beigetragen.

Allen Kolleginnen und Kollegen danke ich, die ihre Vorträge zügig zur Verfügung gestellt und bearbeitet haben. Meine Sekretärin Iris Hanita hat die Redaktionsarbeiten und das Lehrstuhlteam so organisiert und begleitet, dass alles reibungslos und in entspannter Atmosphäre vonstattengehen konnte. Sehr verdient gemacht haben sich bei der Textbearbeitung Daniel Bauer, Phil Tillmann, Anne Wächtershäuser und Rabea Weber.

Und schließlich freue ich mich, dass die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Verlagsanstalt erneut so freundlich, unaufgeregt und präzise war. Neben Dr. Annette Weidhas möchte ich der Setzerin Steffi Glauche und dem Korrektor Dr. Michael Lippold meinen Dank aussprechen. Nun hoffe ich, dass die Ergebnisse des XVI. Europäischen Kongresses für Theologie eine geneigte Leserschaft finden mögen.

Bonn, im Juni 2018

Michael Meyer-Blanck

Christentum und Europa

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