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2 Ländliche Räume aus Sicht der Geographie und Soziologie

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Nach Henkel ist der ländliche Raum ein »komplexer Kulturbegriff«, der sich einem definitorischen Zugriff nahezu sperrt.8 Nach einem Durchgang durch historische Definitionen formuliert Henkel:

»Zusammengefaßt ist der ländliche Raum damit ein naturnaher, von der Land- und Forstwirtschaft geprägter Siedlungs- und Landschaftsraum mit geringer Bevölkerungs- und Bebauungsdichte sowie niedriger Wirtschaftskraft und Zentralität der Orte, aber höherer Dichte der zwischenmenschlichen Bindungen.«9

Henkel betont, dass diese induktive Definition sehr traditionell orientiert ist und derzeitige Wandlungsprozesse in ländlichen Räumen dieser Definition widersprechen. Gerade die Zuschreibung der höheren Dichte zwischenmenschlicher Beziehungen oder die Prägung durch Agrar- und Forstwirtschaft können heute nicht mehr ohne weiteres als gegeben angesehen werden. Die Soziologin Neu kommt zu dem Ergebnis: »Die agrargesellschaftliche Trias von ländlichem Raum, Landwirtschaft und ländlicher Gesellschaft hat sich (fast) gänzlich aufgelöst.«10

Diese Sachlage führt zu einer Definition der ländlichen Räume ex negativo. Henkel dokumentiert den Minimalkonsens in der Geographie bezüglich des Landes:

»Die Definition des ländlichen Raumes als der nicht-städtische Kulturraum, der die verschiedensten Siedlungstypen umfassen kann, erspart es uns, den schwer definierbaren Begriff der ländlichen Siedlung genau zu fixieren.«11

Damit wird deutlich: Der ländliche Raum ist in der allgemeinen Wahrnehmung eine Konstruktion aus traditionellen Zuschreibungen, deren Grundlagen (Landwirtschaft, sozialer Zusammenhalt, etc.) jedoch heute kaum noch von prägender Bedeutung sind. Faktisch haben die Grundlagen solcher Zuschreibungen aufgrund unterschiedlichster Wandlungsprozesse kaum noch definitorische Kraft, denn die Gemeinsamkeiten dieser Raumkategorie sind geschwunden. Ländliche Räume sind deswegen vor allem durch Heterogenität gekennzeichnet. Einfach gefragt: wie viele Gemeinsamkeiten hat ein Dorf in der Nähe Münchens mit einem Dorf in der Uckermark? Beides würde man als ländliche Wohnlage bezeichnen, jedoch wird die Lebensführung, Sozialstruktur und wirtschaftliche Lage mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten zu Tage fördern.

Insofern eine Definition von innen heraus nicht mehr sinnvoll möglich ist, wird vom ländlichen Raum nur noch im Plural gesprochen. Um nun doch zu einer Art Klassifizierung zu kommen, werden in Geographie und Raumplanung statistische Marker festgelegt, um ländliche Räume von städtischen zu unterscheiden. So galt einst eine Siedlungsgröße bis 2 000 Einwohner im engeren Sinn als Landgemeinde und bei einer Größe bis zu 5 000 Einwohner im erweiterten Sinn. Das Kriterium »Gemeindegröße« verlor allerdings mit Gebietsreformen seinen Sinn.12 So verblieben drei weitere Kriterien zur statistischen Abgrenzung ländlicher Räume: Bevölkerungsdichte, Zentralität und Strukturschwäche.13 Allerdings beklagt sich Henkel über die eher willkürlich anmutende Setzung dieser Marker und deren Grobmaschigkeit.14

Die drei statistischen Marker führen dazu, dass ländliche Gebiete in der Tendenz als Problemgebiete wahrgenommen werden. Als ländlich gelten dann alle Gebiete, die eine geringe Dichte und eine tendenziell hohe Entfernung zu Oberzentren haben sowie in wirtschaftlicher und soziostruktureller Hinsicht schwach sind. Mit Hilfe dieser Marker lassen sich somit besonders herausfordernde Gebiete beschreiben. Allerdings zieht die Nutzung dieser statistischen Marker einen differenzierten Gebrauch der Begriffe nach sich. In nuce ausgedrückt: ländlich ist nicht peripher und peripher ist nicht gleich strukturschwach, auch wenn es zwischen diesen Kategorien hohe Korrelationen gibt – wohlgemerkt: Korrelationen, nicht kausale Zusammenhänge!15 Von diesen Gebieten allein als »ländlich« zu reden wäre ein unsauberer Gebrauch des Begriffs, da es auch viele florierende ländliche Räume gibt.

Abbildung 1: »Ländlichkeit«.

Anschaulich wird dieser Gebrauch der Begriffe, wenn er an den Karten des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) nachvollzogen wird.16 Als Erstes geht es hier um den Marker für »Ländlichkeit«, gemessen an der Einwohner- und Siedlungsdichte (Abb. 1). Hier ergeben sich drei Raumordnungskategorien: Es gibt »ländliche« Gebiete, »teilweise städtische« Gebiete und »städtische« Gebiete.

Für die Kategorie »ländlich« gilt, dass sie 60,6 % der Fläche der Bundesrepublik ausmacht. Es leben 18,1 % der Bevölkerung in den als ländlich klassifizierten Gebieten. Hier befinden sich 10,6 % der Beschäftigten. Insofern die Kategorie »ländlich« besonders von dem Indikator »Dichte« bestimmt ist, ist es eher unwahrscheinlich, dass hier Städte inkludiert sind.17

Abbildung 2: »Lage«.

Als Zweites gibt es den Indikator für die Lagegunst in Relation zu den Oberzentren (Abb. 2). Hier geht es um die erreichbare »Tagesbevölkerung«.18 Nach Erläuterung des komplexen Rechenvorgangs werden vier Klassifizierungen vorgenommen, die zulassen »sehr periphere«, »periphere«, »zentrale« und »sehr zentrale« Lagen voneinander zu unterscheiden. Insofern »periphere Gebiete« die Relation zu Oberzentren abbilden, umfassen diese Gebiete durchaus kleinere Städte und Mittelzentren. Eine periphere Lage bildet deswegen kein ländliches Siedlungsgebiet im klassischen Sinne ab.

Sehr periphere Gebiete machen 18,9 % der Bundesrepublik aus. Hier leben lediglich 4,4 % der Bevölkerung und 3,1 % der Beschäftigten. Periphere Gebiete machen 43,2 % der Fläche aus. Hier leben 21,2 % der Bevölkerung und 18,3 % der Beschäftigten.

Im Vergleich der Karten wird deutlich, dass ländliche Gebiete nicht identisch sind mit peripheren oder sehr peripheren Gebieten. Das heißt, es gibt sogar sehr zentrale ländliche Gebiete und sehr periphere städtische Gebiete – allerdings sind diese Extreme der zwölf möglichen Merkmalskombinationen vernachlässigbar klein.

Im Vergleich fällt auf, dass städtische und sehr zentrale Gebiete vergleichsweise wenig Flächenanteile besitzen, dafür aber den Großteil der Beschäftigten. Für städtische Gebiete (Abb. 1) beläuft sich der Anteil der Beschäftigten auf 75,8 %, bei sehr zentralen Gebieten liegt der Wert bei 51,8 %. Dies ist ein Indiz für die relative Strukturschwäche ländlich-peripherer Gebiete.19 Spangenberg/Kawka verweisen darauf, dass »[e]rste empirische Befunde […] allerdings darauf schließen [lassen], dass die ›ländliche Prägung‹ weniger einen negativen Einfluss auf regionale Entwicklung ausübt, als die periphere Lage.«20

Ländliche Räume sind demnach Gebiete mit geringer Dichte an Einwohnern und Siedlungsstruktur. Für die Forschung interessant sind derzeit periphere, ländliche Gebiete, insofern sich hier Prozesse abspielen, die Anfragen an vorhandene Infrastruktur und Organisation von staatlichen, kirchlichen und privaten Institutionen stellen.

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