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Die Herausgeber (Harald Binde und Ernst Schönwiese)

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Im November 1959 wurde Harald Binde, der Herausgeber des Rhein-Verlags in Zürich, brieflich bei Ludwig von Ficker vorstellig und richtete eine auf Hermann Broch bezogene Bitte an den Brenner-Herausgeber. Als Ergänzung zu den seit Anfang der 1950er Jahre entstehenden Gesammelten Werken Brochs war seitens der Herausgeber ein Nachtragsband geplant, der, so Binde,

das Bild des Dichters Hermann Broch abrunden [soll]. Deshalb wenden wir uns an die Freunde Hermann Brochs mit der Bitte um Hilfe. Auf diese Weise haben wir zu unserer Freude sogar bisher ungedruckte Briefe und Erzählungen oder Essays zugesandt bekommen. Sollten Sie, sehr geehrter Herr Professor, in Ihrem Bekanntenkreis auch Persönlichkeiten wissen, die ebenfalls mit Hermann Broch in Verbindung standen und eventuell solche Dokumente besitzen könnten, wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie von unserem Vorhaben erzählen oder uns einen Hinweis geben würden.11

Ficker kam diesem Wunsch bereitwillig nach (wie er es bei ähnlich gelagerten Anfragen um Kooperation bei Editionen zu tun pflegte).12 Im konkreten Fall der Broch-Gesamtausgabe geschah seine Mitwirkung allerdings nur in indirekter Weise. Da er seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zunehmend unter Erschöpfungszuständen litt und aus diesem Grund keine größeren Anstrengungen mehr unternehmen wollte, beauftragte er seinen Adlatus und engen Vertrauten Ignaz Zangerle damit, einen Antwortbrief an Harald Binde zu verfassen. Zangerle sollte diesen darin wegen der Briefe und Karten um einen zeitlichen Aufschub zu bitten und ihn gleichzeitig direkt an den silberboot-Herausgeber Ernst Schönwiese verweisen, der mit der Arbeit am Nachtragsband betraut war. Der Grund für die Verzögerung liege laut Ficker darin, dass die fraglichen Briefe im Moment nur zu einem Teil auffindbar seien.13 Zangerle formulierte in seinem Drittbrief an Binde wie folgt:

Auf Ihren Brief hin hat er versucht, alles, was er von Hermann Broch in Briefen und Manuskripten gefunden hat, für Sie bereitzustellen. Zu seinem nicht geringen Ärger gelingt es ihm nicht, einige Briefe Brochs, an die er sich erinnern kann, zu finden. Er sucht Sie daher, Professor Schönwiese, den Herr v. Ficker außerordentlich schätzt, zu veranlassen, sich mit ihm wegen dieser Beiträge zum Nachtragsband unmittelbar in Verbindung zu setzen. Die Beiträge des Dichters in der Zeitschrift „Der Brenner“ können jederzeit in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien nachgesehen werden.14

Diese Briefstelle vermag die Mehrdimensionalität des Netzwerks rund um die Person Ludwig von Fickers zu veranschaulichen, da die Kommunikation nach der Delegierung der operativen Agenden an Ignaz Zangerle nicht mehr über den Brenner-Herausgeber, sondern ausschließlich über Drittpersonen abgewickelt wurde. Die digitale Edition stellt angesichts der steigenden Komplexität solcher Kommunikationsprozesse ein hilfreiches Werkzeug dar, um disparate Quellen unterschiedlicher Provenienz synoptisch zusammenzuführen. Aus dem weiteren Verlauf des Briefwechsels sowie aus der Korrespondenz im Umfeld kann auf diese Weise rekonstruiert werden, dass Harald Binde verfahren war, wie Ignaz Zangerle im Auftrag Fickers vorgeschlagen hatte: Im April 1960 wandte sich Ernst Schönwiese persönlich in dieser Sache an Ficker.

Schönwiese, mit dem Broch „bis an sein Lebensende in freundschaftlicher Verbindung“15 blieb, muss in diesem Zusammenhang als wichtiger Akteur und Impulsgeber betrachtet werden. Er war schon im Vorfeld der Arbeiten an der Edition der Zürcher Broch-Gesamtausgabe von sich aus aktiv tätig geworden und ließ Ficker in derselben Weise öffentliche Anerkennung zuteilwerden, wie er auch die Person Hermann Broch wieder ins Bewusstsein des Brenner-Herausgebers rief. Bereits 1950 hatte Schönwiese in einer Würdigung zu Fickers 70. Geburtstag in den Salzburger Nachrichten diesen in Verbindung mit Hermann Broch gebracht, indem er darin den Hinweis lieferte, dass Broch seine frühesten Texte im Brenner veröffentlicht hatte.16 Ficker bedankte sich dafür17 und führte in seiner Antwort zwei bestimmte Aspekte an, die implizit Aufschluss über seine Eigenwahrnehmung geben und eine Interpretation einschließen, welche Position Broch zum Brenner bezogen hatte:

Ihre Aufmerksamkeit hat mich um so mehr erfreut, als sie gerade Gesichtspunkte zur Beurteilung meines abseitigen Wirkens hervorhob, an denen mir in der Tat seit jeher viel gelegen war und die von Geistern, die heute nach ihrem wahren Vaterland suchen – Sie nennen da mit Recht Broch und Werner Kraft –, immer feinfühlig verstanden und respektiert wurden.18

Schönwiese formulierte seinerseits die konkrete Bitte, ob eine Möglichkeit bestehe, Materialien zu Broch zur Verwertung in der Edition zu erhalten. Er unternahm diesen Vorstoß, indem er erneut eine explizit positive Wertung bezüglich der frühen Zusammenarbeit mit Broch in seine Ausführungen mit einbezog:

Die ältesten jener „Frühen Schriften“ sind ja in Ihrem „Brenner“ erschienen, wie es überhaupt Ihr Verdienst ist, als Erster Broch erkannt und ihm die Spalten Ihrer Zeitschrift geöffnet zu haben. Nun lässt mich der Rhein-Verlag wissen, dass Sie noch unveröffentlichte Manuskripte Brochs aus jenen Jahren besässen. Das wäre natürlich in jeder Hinsicht ein ganz grosser Glücksfall und Gewinn! Darf ich Sie fragen, ob Sie so freundlich sein wollten, mir diese Arbeiten zum Zweck der Einsicht- und Abschriftnahme für einige Zeit zu überlassen? Gerade alle Schriften, die vor der „Schlafwandler-“Trilogie liegen, scheinen mir für die Entwicklung und den Werdegang des Dichters von ganz besonderem Interesse.19

Ficker wird von Schönwiese als der „Entdecker“ Brochs apostrophiert; im selben Atemzug erfahren auch die frühen Arbeiten Brochs im Brenner eine indirekte Aufwertung. Dieser Umstand findet seine spiegelbildliche Entsprechung in der zuvor zitierten Antwort Fickers auf die Würdigung in den Salzburger Nachrichten, in der Ficker die Rolle des erstmalig auf Broch aufmerksam Gewordenen für sich selbst reklamiert hatte. Schönwiese hakte im Anschluss auch hinsichtlich der verfügbaren Korrespondenzstücke nach:

Von ebenso grosser Bedeutung hierfür wäre es aber auch, wenn man in den Briefwechsel zwischen Ihnen und Broch Einsicht nehmen könnte. Ich glaube, dass sich daraus sehr wertvolle Aufschlüsse gewinnen liessen! Darf ich meine Bitte auch auf diese Briefe ausdehnen? Verzeihen sie, verehrter Herr Professor, diese mehrfache Bemühung. Aber wer könnte meinen Wunsch besser verstehen, als gerade der Herausgeber des „Brenner“.20

In den Monaten zwischen der Anfrage Bindes im Herbst 1959 und jener Schönwieses im Frühjahr 1960 waren die zuvor vermissten Broch-Briefe durch die tätige Mithilfe von Ignaz Zangerle und Fickers Tochter Birgit von Schowingen wieder aufgefunden und in eine größere Ordnung eingegliedert worden. In einem Dankesbrief Schönwieses an Ficker vom 19. August 1960 findet sich abermals ein Schlüsselsatz: „Und Brochs Briefe aus den Jahren 1913/14 das ist wirklich ein einmaliger Schatz! Besonders der eine über Intuition, denkerische u. dichterische Erkenntnis (später, in der Reifezeit, trat er ganz und gar Ihrer Meinung bei!) ist auch biographisch ein unschätzbarer Fund.“21

Im April 1962 konnte Binde das bereits 1961 erschienene Buch schließlich an Ficker übersenden. Aus allen ihm zur Verfügung gestellten Briefen hatte Schönwiese lediglich vier ausgewählt, die er als relevant erachtete und die schließlich zum Abdruck kamen. Es handelte sich um die Korrespondenzen vom 22. Jänner 1913, 18. Mai 1913, 9. Februar 1914 sowie vom 11. April 1914.22 Bei der Rückgabe der Broch-Briefe kam es zu einer längeren Verzögerung; insgesamt vergingen sechs weitere Jahre, bis die Briefe wieder endgültig in den Besitz Ludwig von Fickers gelangten. Die Ursache dafür lag in einem banalen Versehen begründet. Die nicht erfolgte Rückgabe war von Schönwiese erst zu jenem Zeitpunkt bemerkt worden, als der Otto Müller-Verlag Einsicht in die Briefe nehmen wollte, die Ficker an Schönwiese gerichtet hatte. Bei der Suche nach seiner eigenen Korrespondenz mit Ficker fiel dem silberboot-Herausgeber die Korrespondenz Broch–Ficker in die Hände, die er im November 1966 retournierte und für die entstandenen Umstände formell um Entschuldigung bat.23

Hermann Broch und Der Brenner

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