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Fazit

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Der makroskopische Blick auf den Gesamtbriefwechsel Ludwig von Fickers, kombiniert mit mikroperspektivischen Schlaglichtern, offenbart in der Frage nach direkten und indirekten Referenzen auf Hermann Broch kulturelle Entwicklungen und Interdependenzen, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Es wird damit deutlich, dass es nach Kriegsende 1945 in erster Linie Außenstehende waren, die sich aktiv an Ficker wandten. Sie erinnerten ihn an die frühe Phase des Brenner und die Zusammenarbeit mit Hermann Broch bzw. apostrophierten Fickers Rolle als dessen Entdecker und Förderer (gleichwohl er, wie die Briefstelle an Paula Schlier zeigt, Broch durchaus als positiven Charakter wahrgenommen hatte und ihm wohlgesonnen begegnete). Dieser Prozess vollzog sich über mehrere Jahre und erfuhr im Laufe der Zeit verschiedenartige Ausprägungen – sei es im Zuge von Editionsprojekten, in Form von wissenschaftlichem Diskurs oder von literarischer Rezeption. Dabei kam den Exilant*innen eine herausragende Rolle zu; sie sorgten wesentlich dafür, dass die Negativstimmen der Vorkriegszeit, die in der Auseinandersetzung zwischen Broch und Carl Dallago um die Frage nach dem Verhältnis von Ethik und Ästhetik ihre konkreten Ausprägungen fanden, nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig verstummten. Stattdessen ist ein Grundton der würdigenden Verehrung und Anerkennung festzustellen.

1960 hatte Ficker die Rolle des „Auctor Austriae“52 offensichtlich schon soweit verinnerlicht, dass er mit Selbstverständlichkeit auch Broch für seine Sache vereinnahmen konnte, obwohl dieser für seine Arbeit am Brenner „vor allem ein Autor der Zeitschrift und nicht mehr gewesen ist“53 und spätestens seit dessen Vorstoß mit der Völkerbundresolution praktisch ohne Bedeutung war. Dies führte dazu, dass er schließlich selbst in den Diskurs, der im Zuge der kulturellen Etablierung Brochs manifest wurde, eintrat. Repräsentativ dafür steht die Episode, dass Ficker 1960 von der Überzeugung getragen war, Broch hätte ihm 1937 das Manifest für einen Abdruck im Brenner übergeben wollen. Diese Information hatte er gegenüber Julius Kiener im „Gespräch mit Ludwig von Ficker über Hermann Broch“, das in der Seefelder Zeitung 1960 veröffentlicht worden war, preisgegeben.54 Broch hingegen war, wie sein Brief vom 28.11.1937 verrät, tatsächlich nicht mehr von einer Publikationsmöglichkeit ausgegangen und hatte darum sogar darum gebeten, das Manuskript zurückzuerhalten.55

Durch die Frage nach der Rezeption Brochs im Gesamtbriefwechsel ist vor allem das gesellschaftliche Dispositiv der Nachkriegszeit berührt und damit auch Fickers spezifische, in der ostentativen Überbetonung des Katholischen in Zeiten zunehmender Ent-Säkularisierung fast schon als anachronistisch zu bezeichnende Position innerhalb dieses kulturellen Feldes. Denn die Paradoxie bzw. die offensichtliche Schieflage zwischen der Nicht-Wahrnehmung Brochs im Brenner-Umfeld der Zwischenkriegszeit und der sukzessiven Re-Integration Brochs in die (im besten Fall als konservativ zu bezeichnende) kulturelle Landschaft im Nachkriegsösterreich besteht gerade darin, dass die Position Fickers diffus bleibt. Durch den Kulturbetrieb wurden ab 1950 Ehrungen und Auszeichnungen an Ficker herangetragen, die ihn dadurch in der Rolle des Kulturvermittlers und Vertreters der intellektuellen österreichischen Speerspitze legitimierten. Dieser Prozess vollzog sich trotz der im Nachkriegs-Brenner sichtbaren, nicht mehr zeitgemäßen ästhetisch-kunsttheoretischen Fundierung und der damit verbundenen ideologischen Uneindeutigkeit (wenn man vom allgemein-humanistischen Impetus absieht). Die Person Broch hat für Ficker in dieser Situation zunächst wenig Bedeutung, sie gibt aber Impulse an Andere weiter, die mit diesem Input arbeiten, ihn perpetuieren und dadurch produktiv werden, was sich wahrnehmbar im kulturellen Diskurs niederschlägt. Das Interesse, das ein Kreis von Intellektuellen an der frühen Phase des Brenner bekundete, in welcher auch Hermann Broch als Teil des Autor*innenkreises der Zeitschrift gewirkt hatte, veränderte zum einen die Wahrnehmung Ludwig von Fickers hinsichtlich der Person Brochs wie zum anderen ex post seine Wahrnehmung hinsichtlich des Einflusses des Brenner auf Broch. Wenngleich die Zusammenarbeit aus einer Reihe von Gründen nach 1914 eingestellt und auch nach dem Versuch eines neuerlichen Anlaufs zwischen 1935 und 1937 nicht fortgesetzt worden war, blieben doch latente Impulse bestehen, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihre vollen Wirkungen zeitigten.

Angesichts dieser komplexen Situation erscheint in hohem Maße symptomatisch, dass Ernst Schönwiese in der Einleitung des 10. Bandes der im Rhein-Verlag erschienenen Broch-Ausgabe Ficker als den „Förderer und Freund Georg Trakls, [...] eine der lautersten und verehrungswürdigsten Gestalten des österreichischen literarischen Lebens in den letzten Jahrzehnten“56 bezeichnete. Mit dieser Zuschreibung – und, zumindest in einem sehr weit gefassten Sinne, sich parallel dazu in der Rolle als Entdecker und Förderer Brochs wiederfindend – dürfte sich Ficker letztlich identifiziert haben. Was die aktive Vermittlung Brochs in den europäischen Kulturraum angeht, hat er sich nach dem Zweiten Weltkrieg, wie die spärliche Rezeption im Gesamtbriefwechsel zeigt, weitgehend im Hintergrund gehalten und stattdessen anderen Akteuren, die in vielen Fällen divergente kulturpolitische Interessen verfolgten, das Feld überlassen.

Hermann Broch und Der Brenner

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