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Die Exilanten (Werner Kraft und Friedrich Torberg)

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Hinsichtlich der Frage nach der direkten und indirekten Rezeption Brochs im Spiegel des Gesamtbriefwechsels fällt neben der direkten Bezugnahme aufgrund editorischer Interessen auf, dass der Diskurs um Hermann Broch nach Kriegsende 1945 vor allem von Exilant*innen und Persönlichkeiten, die im Umfeld mit der Verfolgung im Dritten Reich zu kämpfen hatten, reaktiviert wird. Als einer der wichtigsten Akteure ist hier der jüdische Autor Werner Kraft zu nennen. Kraft stammte aus Hannover und hatte dort an der Vormals Königlichen und Provinzial-Bibliothek eine Anstellung inne, bis er nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 aufgrund der stärker werdenden politischen und gesellschaftlichen Repressalien gezwungen war, Deutschland zu verlassen. Über Schweden und Frankreich exilierte er nach Jerusalem und richtete dort seine Schriftstellerexistenz ein, so gut er dies vermochte. Dies gelang ihm lange Jahre mehr schlecht als recht, denn er nahm zeitlebens davon Abstand, Hebräisch zu lernen und publizierte stattdessen konsequent auf Deutsch. Er war nicht gewillt, die kulturelle Identität, die ihn mit Karl Kraus und Rudolf Borchardt verbunden hatte, durch einen Sprachwechsel aufzugeben, obwohl das Deutsche durch die Lingua Tertii Imperii,24 „durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die [der Nazismus] ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewußt übernommen wurden“,25 nachhaltig usurpiert worden war. Als Folge beschäftigte sich Kraft zeitlebens mit jenen Schriftsteller*innen, die er als integre Beispiele einer „deutschen“ Kultur interpretierte, da sie nicht vom Nationalsozialismus vereinnahmt worden waren. Zu dieser Gruppe zählten neben Karl Kraus unter anderem auch Autor*innen aus dem Brenner-Umfeld, so z.B. Ferdinand Ebner, Else Lasker-Schüler – oder eben Hermann Broch.

Kraft war eng mit Hermann Broch und Ernst Schönwiese vernetzt; ebenso wurde aber auch Ludwig von Ficker zur wichtigen Anlaufstelle. Schönwiese war eine der ersten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, mit der er nach Kriegsende in Österreich brieflich in Kontakt getreten war, die Wiederaufnahme des Briefverkehrs mit Ficker folgte nur wenig später. Dieses Verhältnis findet in Krafts Publikationen einen Widerhall: Er hatte 1946 im silberboot Aufsätze u.a. zu Karl Kraus, Rudolf Borchardt, Goethe und Paul Valéry sowie eigene Gedichte und Teile seines Romans Der Wirrwarr veröffentlicht26 und 1948 zu Kraus im Brenner publiziert.27 Kraft stand in der Zwischenkriegszeit und nach dem Weltkrieg mit Broch in brieflichem Kontakt und gab seinerseits Informationen über die eigene Situation im Exil, aber auch über das Befinden und die kulturellen Aktivitäten anderer Exilant*innen weiter. In diesem Sinne nahm er die Rolle eines Kulturvermittlers ein – eines Vermittlers aus der geographischen Ferne freilich, da er sich dazu entschieden hatte, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren, sondern in Jerusalem zu verbleiben. An Ludwig von Ficker berichtete er am 29. August 1948:

Eben erhalte ich von Hermann Broch in Princeton – dessen „Tod des Vergil“ ich für ein außerordentliches Buch halte – einen Brief, aus dem hervorgeht, daß er meine Aufsätze über Kraus und Supervielle gelesen hat. Leider ist er seit Monaten krank, wenn auch auf dem Wege der Besserung und arbeitsfähig.28

Obwohl prinzipiell gutes Einvernehmen zwischen Kraft und Ficker bestand, nahm Ficker die Nachricht offenbar nicht zum Anlass, näher auf diesen Verweis einzugehen. In der überlieferten Korrespondenz lässt sich kein Hinweis auf eine dezidierte Antwort auf den Brief ausmachen, vielmehr klafft eine dreijährige Lücke bis zur nächsten Kontaktnahme. Umso erstaunlicher erscheint deshalb der Umstand, dass Ficker elf Jahre später [!] im Jänner 1959 in einem Brief an Kraft einen unmittelbaren Bezug zu dessen Interpretation des Brochschen Tod des Vergil herstellte. Vermutlich als Reaktion auf ein Gespräch bei einer persönlichen Begegnung, bezog sich Ficker dort auf Krafts Vergil-Interpretation, die in der Zeitschrift Eckart erschienen war.29

Die Ausführungen, mit denen er diesen Text kommentiert, sind von jenem Duktus geprägt, der Ficker unverwechselbar zueigen war und der sich oftmals in schwer verständlichen Formulierungen manifestiert.30 So ist auch in der betreffenden Briefstelle die Bedeutung der Phrasen nicht leicht zu entschlüsseln. Trotz der Nebulosität der Formulierungen scheint aber durch, dass Ficker mit dem Bild, das Werner Kraft von Broch gezeichnet und durch seine Publikationstätigkeit auch öffentlich verbreitet hatte, durchaus einverstanden war:

Was Ihre Ausführungen zu Brochs „Tod des Vergil“ betrifft, so war ich erstaunt. Es ist das Tiefstüberdachte in all dem Wohlbedachten, das ich von Ihnen gelesen habe. Welch ein Aushub beachtlicher Gesichtspunkte in der Konfrontierung mit einem Werk, das, geschaffen von einer geistigen Kapazität, in der sich Denker und Dichter ergreifend durchringen, zu einer Form der Ausreflektiertheit aufgeblüht ist, die als Beispiel eines erhabenen Dilemmas der Erkenntlichkeit zwischen persönlicher und menschlicher Gewissenhaftigkeit mächtig zum Nachsinnen anregt! Wie aufschlußreich sind da auch die Zitate, die Sie aus Ihrem Briefwechsel mit Broch hervorheben!31

Neben Werner Kraft, dessen Bedeutung für die Kulturvermittlung erst allmählich und nach wie vor nur bruchstückhaft erkannt und wahrgenommen wird, tritt mit Friedrich Torberg eine weitere Persönlichkeit als Impulsgeber aus dem Broch-Umfeld an Ficker heran. Torberg hatte im Frühjahr 1938 unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ ebenfalls die Flucht ins Exil angetreten, war aber im Gegensatz zu Kraft 1951 wieder nach Österreich zurückgekehrt. Unmittelbar nach seiner Ankunft hatte er damit begonnen, sich neben bzw. gemeinsam mit Hans Weigel als selbsternannter Proponent des (antikommunistisch apostrophierten) kulturellen Wiederaufbaus zu positionieren. Torberg trat im Jänner 1961 aus der Peripherie in das Netzwerk ein, das im Zeitraum von rund einem Jahrzehnt rund um die Besorgungsaktion der Broch-Briefe für die Gesamtausgabe entstanden war. An Ficker schrieb er: „Vielleicht haben Sie schon davon gehört, dass der Rhein-Verlag (Zürich) im Rahmen der Gesammelten Werke von Hermann Broch einen Ergänzungsband herausbringt, der u.a. auch Ihren Briefwechsel mit Broch enthalten wird“.32 Torberg handelte mit seiner Anfrage aber stärker aus persönlichen Motiven heraus, denn im Gegensatz zu den zuvor Zitierten verfolgte ein anderes Ziel:

Im kommenden Mai jährt sich Hermann Brochs Todestag zum 10. Male und ich muss Ihnen nicht erst sagen, wie glücklich ich wäre, wenn unter den Aufsätzen, die wir aus diesem Anlass veröffentlichen (und zu denen ich ein paar unerhebliche persönliche Erinnerungen beisteuern will) auch ein Beitrag von Ihnen wäre. Sie haben noch hübsch ein paar Monate Zeit dafür, und ich hoffe sehr, dass es Ihnen möglich sein wird, meine Bitte zu erfüllen.33

Die Briefe Fickers an Torberg, die sich im Nachlass Torbergs in der Wienbibliothek im Rathaus befinden, geben Aufschluss darüber, dass Ficker die Anfrage einmal mehr abschlägig beschied und den Ball erneut an Schönwiese zurückspielte. Er bemerkte: „Was Ihre Anfrage wegen Broch betrifft, so muß ich Sie bitten, sich mit Dr. Schönwiese in Verbindung zu setzen. Er gibt ja diesen Ergänzungsband heraus und in seinen Händen befinden sich noch die Briefe von Broch an mich, die ich ihm letzten Sommer zur Einsicht übermittelt habe.“34

Hermann Broch und Der Brenner

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