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Die Literat*innen (Julius Kiener und Paula Schlier)

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Parallel zur Wissenschaft exponierte sich mit den Literat*innen nach 1945 eine weitere Gruppe Intellektueller in ihrem Bemühen, im Umfeld des Brenner die kulturelle Etablierung Brochs zu forcieren. Während Ernst Schönwiese und Friedrich Torberg sich in ihren Tätigkeiten in der Hauptsache auf Wien konzentrierten, machte sich im Tiroler Kulturraum vor allem der Schriftsteller und Publizist Julius Kiener in der Verbreitung von Brochs Namen und Werk verdient; auch Kiener referiert im Gesamtbriefwechsel direkt auf Hermann Broch. Kiener war von 1953 bis 1972 Herausgeber von Seefeld-Tirol, einem Fremdenverkehrsblatt, das im Kern auf Public Relations angelegt war. Es wollte einerseits den Gästen im aufstrebenden Tourismusort Seefeld niveauvolle Unterhaltung bieten, andererseits sollte es dem Ort zu mehr Bekanntheit verhelfen. Das Ziel bestand letztlich darin, beim bildungsaffinen (und ebenso zahlungskräftigen) Publikum insbesondere auch durch die Integration von Texten bedeutsamer Schriftsteller*innen positiven Eindruck zu hinterlassen. Aufgrund dieses Ansatzes blieb nicht aus, dass Broch, der (mit sporadischen Unterbrechungen) von September 1935 bis Februar 1937 seinen Aufenthalt in Mösern, einem Nachbarort von Seefeld genommen hatte,44 für die Seefelder Zeitung von besonderer Relevanz war. Ludwig von Ficker spielte für Kiener als „Entdecker“ Brochs eine wesentliche Rolle, weshalb er beschloss, einen Beitrag Fickers in die Zeitung zu integrieren. Kiener nahm deshalb am 29. September 1959 mit Ficker Kontakt auf: „Meine Frau sagte, mir, daß Sie Hermann Broch gekannt haben. Einige Worte aus einer Begegnung gerade von Ihnen, lieber Herr Professor, würde die immer zahlreicher werdende Brochgemeinde sehr erfreuen und ich hätte für die Seefelder-Zeitung einen besonders wertvollen Beitrag.“45

Mit dem Verweis auf Ellen Kiener, die aus Dänemark stammende Frau Kieners, die die Zusammenarbeit zwischen ihrem Mann und Ludwig von Ficker in die Wege leitete, wird einmal mehr evident, dass auch Persönlichkeiten außerhalb des engeren Brenner-Umfelds zu einem impulsgebenden Faktor werden konnten, die die Broch-Rezeption vorantrieben. Zu bemerken ist dabei, dass es zwischen Ellen Kiener und Ficker keine unmittelbare Korrespondenz gab. Beide verband aber das in realiter existierende Kultur-Netzwerk, das sukzessive in Seefeld entstanden war und an dem namhafte Persönlichkeiten des Tiroler Kulturlebens partizipierten.46 Ficker antwortete Kiener eine Woche später und machte Kiener das Angebot, „das Material an Handschriftlichem von Hermann Broch […], das sich unter meinen Papieren nachträglich noch vorfand […], in meinem neuen Zufluchtsraum (Mühlau, Richardsweg 1, Parterre, neben, „Badhaus“) zu gefälliger Einblicknahme für Sie bereit und verwahrt“47 zu halten. Die Korrespondenz ist in den Folgebriefen von Glückwünschen zur Verleihung des Sonderpreises des Großen Österreichischen Staatspreises bestimmt, die Rede fällt nur noch ein Mal auf die Seefelder Zeitung. Ende Jännner 1960 erinnerte Ficker Kiener auf humorige Weise daran, dass er nicht auf seine „Broch-Reliquien“,48 d.h. die Briefe Brochs, die sich zu diesem Zeitpunkt in seiner Verwahrung befunden haben mussten, vergessen möge.

Im Zusammenhang mit einer weiteren Autorin und ihrem literarischen Werk findet sich die erste unmittelbare Erwähnung des Personennamens „Broch“ im Gesamtbriefwechsel nach 1945. In einem Brief an die aus Ingolstadt stammende Autorin Paula Schlier vom November 1946 referierte Ficker auf einen Textentwurf Schliers, die die Exposition eines Romans zur Begutachtung an Ficker übergeben hatte. Der Text kam in dieser Form nie zur Veröffentlichung, Teile davon flossen aber in die 1949 bei Herder erschienene Legende zur Apokalypse49 (eine Art Bibelexegese in Romanform) ein. Ficker ließ im Zuge seiner Kritik eine beiläufige, aber dennoch aufschlussreiche Bemerkung zu Broch fallen:

[Das Fragment] wird sich über das Niveau eines Hirngespinsts mit poetischen Durchblicken nicht sonderlich erheben, obwohl ihm ein Experiment zugrundeliegt, das – wie in der Geistesluft dieser Zeit liegend – schon anderweitig, wenn auch mit anderen, zum Teil monströsen Mitteln versucht wurde. Wie das aussieht, wenn man dabei von intuitiv zerebralen Erwägungen ausgeht, die leichter theoretisch zu unterbauen als einleuchtend zu gestalten sind, das magst Du aus einigen, James Joyce betreffenden Stellen des beiliegenden „Silberboots“ ersehen, das Hermann Broch gewidmet ist (einem Menschen übrigens, von dem ich überzeugt bin, daß er die Bedeutung Deiner Brenner-Beiträge sofort intuitiv erfassen wird, und den ich auch persönlich gut kenne und schätze).50

In dieser Aussage lässt sich eine der im Briefwechsel sehr seltenen, direkten Stellungnahmen Fickers zum Autor Hermann Broch ablesen. Relevant erscheint neben der Tatsache, dass sie von Ficker selbst stammt, und dem Verweis auf Joyce insbesondere die Wendung des „intuitive[n] Erfassen[s]“ von Schliers Brenner- Beiträgen, das Ficker an dieser Stelle Broch (in sehr hypothetischer Konstruktion) zuschreibt. Damit rückt er Broch in denselben Interpretationsrahmen, in den er schon Trakl (und später sogar Ludwig Wittgenstein oder Else Lasker-Schüler) verortet hat. Wie die Charakteristik dieses „Erfassens“ beschaffen ist, liest sich entsprechend in den folgenden Ausführungen:

Denn die wahre Konzentrationskraft Deines Sehertums im Medium der Dichtkunst erreichst Du dort, wo der aufgeschlossene Horizont des inspirierten Worts ihr jene überraschende Tragweite verleiht, vor der die meisten heute noch am liebsten die Augen schließen möchten, weil die Welt darin und was ihr An- und Aussehen im Bild der Schöpfung bestimmt einem Aspekt der Wahrheit konfrontiert ist, dessen Unbegrenztheit heute noch die wenigsten vertragen.51

Der christlich-mystizistische Impetus, den Ficker in diese Worte legt, wenn er vom „Sehertum“ spricht, ist evident. Aufgrund dessen kann angenommen werden, dass es sich weniger um eine Aussage handelt, bei der es darum bestellt war, die tatsächliche Haltung Brochs explizieren zu wollen. Vielmehr erscheint es als eine subjektive Projektion in Form eines Selbstoffenbarung. Ob Broch mit einer solchen Zuschreibung (von der er mit Sicherheit keine Kenntnis haben konnte) einverstanden gewesen wäre, sei dahingestellt. Was allerdings außer Zweifel steht, ist die Tatsache, dass Ficker hier eine positive Werthaltung gegenüber Broch bewies; die persönliche Ebene blieb von der divergenten Kunstauffassung unberührt. Weil die Korrespondenz mit Schlier aufgrund des persönlichen Naheverhältnisses, das die Autorin mit dem Brenner-Herausgeber verband, um einiges offener gestaltet ist als mit anderen Korrespondenzpartner*innen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um ein ehrliches Urteil handelte.

Hermann Broch und Der Brenner

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