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Die Wissenschaftler*innen (Walter Bapka und Sidonie Cassirer)

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Neben der Rezeption durch Vermittlerpersönlichkeiten, die sich dem kulturellen Wiederaufbau verschrieben hatten, geriet Hermann Broch nach 1945 zunehmend in den Fokus von Akteuren des Wissenschaftsbetriebs, die auch im Umfeld des Brenner ihre Forschungen betrieben. Zum einen trat Walter Bapka nach Kriegsende aus wissenschaftlichem Interesse an Broch mit Ficker in Kontakt. Bapka hatte bereits 1950 zur frühen Phase der Zeitschrift eine Dissertation verfasst35 und sich 1963 mit seiner Familie in Salzburg als Gymnasialprofessor niedergelassen. Konkret fasste Bapka in seinem Brief an Ficker vom 24. Juli 1965 mit dem Tod des Vergil ein Werk von Broch ins Auge, das er mit einem definierten methodischen Ansatz einer Interpretation unterziehen wollte:

So wächst mir in der Landschaft dieser Stadt ein inneres Land jetzt zu, mit dem Gedicht Trakls, mit dem Liebeslicht, das aus Ihrem Abschiedsgruß an Georg Trakl („Der Brenner“, IX. Folge, Herbst 1925) leuchtet und den Meditationen von H. Broch in seinem „Tod des Vergil“ (H. Broch erscheint ja auch schon im „Brenner“ vor 1914!).

Überhaupt! wie diese drei Zeugnisse einander erhellen. Das ist Zu-Fälliges der Ordnung, des Geistes.

Das müßte eine herrliche Arbeit geben, eine Studie, die Trakls Dichtung mit Brochs „Tod des Vergil“ zur Konjunktion brächte!

Was für ein brüderliches Gestirn!

Wortwerdung des menschlichen Daseins, mit demselben Pulsschlag der Wortbildung, aus demselben Erlebniskern, mit derselben unendlichen Geduld und Leidens-Gefaßtheit! und Zuversicht: „Gesang einer gefangenen Amsel“!

Alle Kunstgriffe der wissenschaftlichen Durchdringung und Fragestellung würden das zu Tage fördern: Die Mikro- und die Makrostruktur beider Werke sind vom gleichen Kraftfeld strukturiert, schwingen in derselben Frequenz, sind auf denselben Ton gestimmt.36

Es liegt auf der Hand, dass die Formulierung „Zu-Fälliges der Ordnung, des Geistes“ Ficker geschmeichelt hatte. Der Brenner-Herausgeber war der Idee vom poeta vates, dem göttlich inspirierten Dichter-Seher, durchaus zugetan. Insbesondere Georg Trakl wurde (ex post und zumeist indirekt) von ihm mit ebendiesem Attribut versehen. So sprach Ficker im Brenner von dessen „Sehergabe“ und von der Wirkung „jenes schrecklichen Zwielichterlebnisses von Offenbarung und Untergang“,37 das in seiner Auffassung die Dichtung Trakls charakterisierte. Das „Zu-Fällige“ bezeichnet in diesem Zusammenhang jenes von göttlicher Macht eingegebene (d.h. zugefallene) Geschick, das im Verborgenen waltet. Im Grunde bedeutet es das Gegenteil von Willkürlichem oder Zufälligem; es wurde von Ficker gerne mit dem Begriff der metaphysisch aufgeladenen „Vorsehung“ umschrieben, der er sein gesamtes Wirken zugrunde legte.

Bapka präsentierte mit dem Gedankenspiel, die Werke Trakls und Brochs „in Konjunktion“ zu denken, einen Ansatz, der exakt dem kulturpolitischen Bestreben Fickers entsprach: KünstlerInnen verschiedenster Couleur sollten unter das Dach jener interpretatorischen kunsttheoretischen Prämisse gebracht werden, deren Basis seit 1912 gleichsam alternativlos der Nimbus der Traklschen Dichtung bildete und unter den sich sämtliche im Umfeld des Brenner publizierte (literarische) Kunst zu unterwerfen hatte. Diese Dichtung war kompromisslos christlich determiniert, wie Fickers Aufsatz Frühlicht über den Gräbern38 aus der letzten Brenner-Nummer von 1954, in dem das Kunstverständnis Fickers offen zutage tritt, illustriert hatte. Da Bapka Mitte der 1960er-Jahre die Spezifik der Briefsprache Fickers weitgehend internalisiert hatte, übernahm er deshalb auch hier diese Deutungsmuster bis in die Motivik und die semantischen Bedeutungszuschreibungen einzelner Schlüsselbegriffe hinein. Der Begriff der „Wortwerdung“ verweist beispielsweise auf den schöpferischen Logos, wie er im ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums eingeführt wird. Gepaart mit jenem bereits zu Trakls Lebzeiten gepflegten, seit dessen Tod im November 1914 dann über Jahrzehnte exzessiv perpetuierten Leidens-Topos fügt sich der Terminus nahtlos in den von Ficker vorgegebenen interpretativen Diskursrahmen. Unter solchen Präliminarien konnte nicht ausbleiben, dass Fickers Antwort an Bapka in positiv-bestärkender Weise ausfiel. Einmal mehr diente Brochs Tod des Vergil als Angelpunkt der Argumentation:

Was Sie mir über die seltsame Schicksalsverknüpftheit, die geistige, zwischen Trakl und Broch, (in dessen „Tod des Vergil“) herausgewachsen aus dem Boden des „Brenner“ mitteilen, leuchtet mir ein. Um so mehr möchte ich Ihnen Mut machen, unter den Gesichtspunkten, die Sie andeuten, sich dieser gewichtigen Aufgabe zu unterziehen. Ich, der ich die Art Ihres Vorgehens von früher her kenne, bin überzeugt davon, daß viel und Wesentliches dabei herauskommen wird.39

Im Abstand von mehr als fünf Jahrzehnten ist nur schwer nachzuzeichnen, ob Bapka jemals begonnen hat, an der Studie zu arbeiten, die in diesen Briefen in ihren Umrissen skizziert wird. Von Bedeutung ist jedoch die Tatsache, dass in diesen Überlegungen ein diskursives Gedankengebäude aufgespannt wird, dem konkrete Prämissen zugrunde liegen. Diese machten es möglich, die Kunst Trakls und Brochs mit Fickers kunsttheoretischen Positionen in einer hypothetischen Trias zu vereinen und als eine Einheit zu denken. Angesichts des latent durch eine spezifische Form des Katholizismus’ geprägten Klimas im Umfeld des Nachkriegs-Brenner erscheint evident, dass Bapka damit weniger den Autor Broch im Auge hatte, sondern vielmehr darauf abzielte, die Interpretation ganz im Sinne Fickers zu gestalten.

Neben den Briefen Walter Bapkas ist eine zweite wissenschaftliche Korrespondenz hervorzuheben, die zwar vom Umfang knapp dimensioniert ist, gleichwohl aber interessante Aussagen enthält. Die angehende Germanistin Sidonie Cassirer arbeitete 1953 an einer Dissertation zu Brochs Werk und wusste um die frühen Kontakte Fickers mit Broch. Aus diesem Grund wandte sie sich mit ebenso präzise wie konkret formulierten Fragen an den Brenner-Herausgeber. In ihrem Schreiben vom 15. November erbat sie Auskunft zu folgenden Themenkomplexen:

1. Gehoerte Broch zum „Brennerkreis“ (gab es so etwas ueberhaupt), oder sandte er ganz einfach sein erstes Manuskript an den „Brenner“ als Unbekannter.

2. Wissen Sie, [...] ob er schon vor seinem ersten Artikel im Brenner (1913) woanders etwas veroeffentlicht hatte?

3. Falls Sie Broch persoenlich kannten, koennten Sie mir darueber Einzelheiten schreiben? Ich habe Hermann Broch nur waehrend seiner letzten Jahre an der Yale Universitaet gekannt und es waere interessant fuer meine Arbeit, wenn ich mehr ueber Broch’s fruehere Taetigkeit erfahren koennte.40

Der Antwortbrief Fickers ist verloren gegangen; wie sich aber aus dem Folgebrief Cassirers erschließen lässt, hatte Ficker auf diese Fragen Rede und Antwort gestanden, wofür sie sich bedankte und feststellte:

Sie haben meine Fragen sehr klar beantwortet und mir darueber hinaus wertvolle Hinweise gegeben. Die ganze Art ihrer Darstellung gab ueberhaupt Einsicht, nicht nur in Ihre Verbindung mit Broch (Sie haben ihn nach seinem Werk und nach seiner Person, wie wir sie hier kannten, zu schliessen, ueberaus treffend charakterisiert) sondern, andeutungsweise auch in die bewegte Periode, die Sie durch (und Broch) erlebt haben.41

An dieser Stelle wird deutlich, dass sich Bezugnahmen im Netzwerk oftmals zu weiteren Spuren verzweigen, diese aber unter Umständen nur mehr unvollständig zu rekonstruieren sind. Im konkreten Fall liegt zwar der eindeutige Verweis auf eine wertende Aussage Fickers vor; mehr als das Indiz, dass Ficker in diesem Brief seinen Standpunkt zu Broch explizit dargelegt haben muss, lässt sich aus dem zweiten Brief allerdings nicht ableiten. Offensichtlich ist hingegen der Umstand, dass Cassirer die „Hinweise“ Fickers rezipiert hat und diese dann als kulturwissenschaftliches Destillat in ihre Arbeit mit eingeflossen sind. Nach gegenwärtiger Quellenlage lässt sich verbürgt ein einziger [!] Satz aus Fickers Antwortbrief vom Dezember 1953 feststellen, den Cassirer 1960 in einem Aufsatz zu den frühen Arbeiten Brochs in einer Fußnote zitiert. Sie schreibt im Wortlaut: „Herr v. Ficker wrote me in a letter dated 10 December 1953: ‚Die Freimütigkeit mit der ich mich gleich zu Beginn für Karl Kraus einsetzte, hat für manche Wiener Intellektuellen-Kreise etwas Anziehendes gehabt, so auch für Broch.‘“42 Mit dem Verweis auf Karl Kraus ist eine weitere Brücke zu einem anderen wichtigen Akteur im kulturellen Feld geschlagen: Wie Cassirer auch in ihren Ausführungen anmerkt, war Ficker davon ausgegangen, dass sein eigenes Engagement, das er für den Wiener Satiriker seit Beginn seiner publizistischen Tätigkeit an den Tag gelegt hatte, Broch dazu bewogen hatte, sich mit dem Brenner-Herausgeber in Verbindung zu setzen. Hinzu kam die positive Rezeption von Kraus’ Agitation im Brenner43 (die bis zur Imitation der Kraus’schen satirischpolemischen Zeitkritik durch Ficker reichte), die ebenfalls zur Mitarbeit Brochs an der Innsbrucker Kunst- und Kulturzeitschrift beitrug.

Hermann Broch und Der Brenner

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