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1 Religionsunterricht, Bildung und Berufung

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Als ich gebeten wurde, einige Gedanken über den Religionsunterricht zu verfassen, habe ich zunächst gezögert. Mein eigener – übrigens sehr guter – Religionsunterricht liegt fast drei Jahrzehnte zurück. Ich bin kein Religionspädagoge und überblicke auch die neuesten theoretischen Konzepte zum Religionsunterricht in ihrer Vielfalt nicht – ganz zu schweigen von vielen Aspekten der gegenwärtigen Praxis.1 Doch habe ich recht schnell die Entscheidung getroffen, einige Gedanken zum Religionsunterricht, zu seiner Bedeutung, seinen Herausforderungen, seiner Krise und auch seinen Potenzialen zu formulieren.

Die Gründe für meine Entscheidung sind nicht schwer zu benennen. Zum einen beschäftigt mich seit langem die Frage, was einen gebildeten Menschen ausmacht, welche Aufgabe der Schule (und auch der Universität) im Prozess der Bildung zukommt und welche Rolle dabei die Religion und die religiöse Erziehung spielen. Anders als post- oder sogar anti-religiöse Tendenzen nahelegen, kann man nämlich von Bildung nicht sprechen, ohne dabei auch auf Religion und den religiösen Glauben einzugehen. Alles andere wäre Ignoranz. Man muss nicht selbst religiös musikalisch sein, um die geschichtliche und die bleibende Bedeutung von Religion auf der individuellen, gesellschaftlichen, kulturellen und auch politischen Ebene anerkennen zu können. Bildung und religiöses Bekenntnis schließen sich außerdem nicht aus. Überdies verfolge ich manche Entwicklungen im schulischen Bereich wie auch in der Schul- und Bildungspolitik – wie beispielsweise die verbreitete Vernachlässigung der musischen oder überhaupt der geisteswissenschaftlichen Fächer, die Vorherrschaft einer Orientierung an „Kompetenzen“, die nicht selten auf Kosten der inhaltlichen Dimension des Unterrichts geschieht, der allzu oft arg hemdsärmelige Pragmatismus im Schulbereich oder auch der empiristische Reduktionismus, der vielfach eine anthropologisch und auch metaphysisch verankerte Pädagogik ersetzt hat – mit Sorge. Im Schulbereich experimentieren wir zu viel mit oft fragwürdigen Intentionen und Methoden – und suchen dabei das Heil immer wieder in der Technik, so als ob nicht bekannt sei, dass letztlich vielleicht nicht alles, aber fast alles von der Persönlichkeit des Lehrers oder der Lehrerin abhängt. Dies gilt insbesondere, wie sich zeigen wird, für den Religionsunterricht. Hinzu kommt, dass ich selbst Theologie auch mit dem möglichen Ziel, Religionslehrer zu werden, studiert habe. Dass ich heute nicht als Religionslehrer arbeite, hat eine Reihe von Gründen, aber auf keinen Fall den, dass ich nicht als Religionslehrer hätte tätig sein wollen. Ganz im Gegenteil: Ich wäre sehr gerne Religionslehrer geworden, finde diese Tätigkeit äußerst wichtig und auch attraktiv und meine, dass man noch mehr tun könnte, um diese Attraktivität herauszustellen und dadurch junge Menschen für diese „Berufung“ – denn genau darum sollte es sich in inhaltlicher, didaktischer und religiöser Sicht handeln – zu gewinnen. Auch dies erklärt, dass mir der Religionsunterricht ein Anliegen ist.

Ein wichtiger Grund liegt auch darin, dass meiner Überzeugung nach im Religionsunterricht durch die Bildung der Person ein enormes, zudem weit über die einzelnen Schülerinnen und Schüler hinausreichendes Potenzial liegt, das bedauerlicherweise oft nicht ausreichend bewusst ist und daher auch nicht angemessen genutzt oder gestaltet wird. Denn wenn er recht verstanden und durchgeführt wird, wird in ihm etwas erinnert und zur Sprache gebracht, das anderswo längst vergessen, verdrängt oder nur noch in Versatzstücken überliefert wird: Gott. Der Religionsunterricht ist daher als „Stachel im Fleisch“ einer zunehmend gottvergessenen Welt schlicht zu wichtig, als dass man das Nachdenken über ihn den Fachleuten – die ja bekanntermaßen gelegentlich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen – überlassen könnte. Ein Blick von außen kann manchmal helfen – und sei es dadurch, dass er einen Anstoß zu einem weiteren und vertieften Nachdenken bietet. Viel mehr als ein solcher, oft thesenhafter Anstoß ist aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Überlegungen ohnehin nicht möglich. Vielleicht wiederhole ich dabei auch nur, was anderswo besser beschrieben ist, und trage die berühmten Eulen nach Athen. Vielleicht sind auch meine Ausführungen viel zu schön in der Theorie, als dass sie sich angesichts der konkreten Erfordernisse des Faches ins Praktische übersetzen ließen. Im Bewusstsein um diese möglichen Begrenzungen der folgenden Ausführungen, die aus christlicher (und überdies deutscher) Perspektive entwickelt sind, aber aus jüdischer oder islamischer Sicht mutatis mutandis ähnlich formuliert werden könnten, möchte ich mit der Schilderung einiger wichtiger Herausforderungen beginnen, vor denen der Religionsunterricht heute steht.

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