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Noch lange nicht überflüssig: Zum Bildungspotenzial des Religionsunterrichts

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♦ Ausgangspunkt der vorliegenden Ausführungen ist die Beobachtung, dass in unserer Zeit immer mehr Menschen kein Interesse an Religion zeigen und damit auch der schulische Religionsunterricht zunehmend stärker unter einem Legitimierungszwang steht. Wie man diesem Rechtfertigungsdruck begegnen könnte, entfaltet der Beitrag im Anschluss anhand der Reflexion des Bildungsauftrags des Religionsunterrichts und in diesem Zusammenhang auch des Bildungsbegriffs. So leistet der Religionsunterricht einen unverzichtbaren Beitrag zur Allgemeinbildung, Emanzipation, Aufklärung und fördert eine kritisch-selbstkritische Bildung. (Redaktion)

Machen wir uns nichts vor: Der demografische Wandel stellt radikal neue Herausforderungen. Dies gilt für ökologische Zwänge nicht minder wie für Religion. Was bedeutet es, wenn die Zahl derjenigen, die sich für Christen halten oder auch für religiös, zunehmend kleiner wird? Was heißt es, wenn in den östlichen Bundesländern Deutschlands allenfalls noch 10 bis 12 Prozent Christen leben? Auch im Ruhrgebiet wie in Wien wächst die Zahl der Konfessionslosen, ja überhaupt die Zahl derjenigen, die sich für religiös unmusikalisch halten, dramatisch an. Parallel intensiviert sich die Pluralität der Religionen durch Migration und innere Differenzierungen der Religionen und Religionsgemeinschaften. Geradezu paradoxal demgegenüber steht das Phänomen, dass inmitten dieses Verblassens religiöser Selbstverständnisse zugleich Religion insbesondere von Gruppen muslimischer Jugendlicher zur eigenen Identitätssicherung in prekären sozialen und kulturellen Lagen vermehrt in Gebrauch genommen wird.1 Kurzum: Die Lage ist kompliziert. Das hat Folgen, nicht nur für die Religionspädagogik, die sich angesichts dessen prinzipiell als heterogenitätsfähig erweisen muss.2 Es betrifft die Struktur der Katechese und der Gemeinden, aber eben vor allem auch die Schule. Wenn sich – kontextuell und regional nochmals ausdifferenziert – die meisten Schülerinnen und Schüler nicht mehr als religiös verstehen, wenn nur noch eine Minderheit über Grundbestände an Kenntnissen kirchlicher Tradition wie Glaubensbekenntnis, kirchliche Rituale und religiöse Praktiken verfügen, dann macht dies nicht nur eine Neuausrichtung des Religionsunterrichts erforderlich, wie selbst die katholischen Bischöfe glasklar einräumen.3 Es stellt vielmehr den Religionsunterricht grundsätzlich unter einen massiven Legitimationszwang. Warum soll es überhaupt Religionsunterricht in der öffentlichen Schule geben? Warum gar einen, der konfessionell ausgerichtet ist? Gehören nicht bekenntnisorientierte, eben konfessionelle Kommunikationsstrukturen in die religiösen Gemeinschaften und gerade nicht in eine öffentliche Schule, die zwar im Rahmen einer demokratischen Grundordnung wertgeleitet, aber eben weltanschaulich neutral sein muss? Diesen Weg beschreiten viele Bundesländer in Deutschland wie zunehmend auch andere Staaten in Europa: Dort ist der Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach mehr, allenfalls Wahlfach. Religionsunterricht findet als Unterricht für alle im Klassenverband statt, weshalb dieser eben aus Gründen negativer Religionsfreiheit vornehmlich religionskundlich angelegt sein muss. Denn sobald ein bestimmtes Bekenntnis zugrunde gelegt wird, verstößt dies gegen die religiöse Selbstbestimmung der Schülerinnen und Schüler.4 Doch müsste hier nicht nochmals unterschieden werden? Die Unterstellung, Religionsunterricht artikuliere sich als katechetische Glaubenseinführung, wäre erst noch zu überprüfen. Ebenfalls wäre zu diskutieren, inwiefern das Recht auf positive Religionsfreiheit gewahrt ist, wonach Heranwachsende ein Recht haben, Religion zu äußern und in Bildungsprozessen traktiert zu sehen.5 Grundgesetzlich ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen im Geltungsbereich des Grundgesetzes ordentliches Lehrfach, das in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird. Dies hat tiefere staatsphilosophische und staatsrechtliche Begründungen. Der Staat, wie der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde einmal formuliert hat und wie dies von Jürgen Habermas reformuliert wurde, beruht auf werteorientierten Grundlagen, die er selber nicht schaffen kann.6 Insofern eröffnet er im Religionsunterricht den Raum dafür, dass Menschen gebildet werden dafür, ihre Religionsfreiheit überhaupt wahrzunehmen, sich ein Urteil über Religion zu erarbeiten. Im Rahmen eines solchen Verfassungsrechtsbegriffs hat der Staat ein „genuin eigenes Interesse an religiöser Bildung und ermöglicht damit die Befähigung zur Ausübung der in Art. 4.1 GG verbürgten positiven Religionsfreiheit“7. Deshalb überträgt der Staat die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts den Religionsgemeinschaften.8

So gesehen würden diejenigen, so lautet meine These, welche den Religionsunterricht aus der Schule verabschieden und durch religionskundlichen Religionsunterricht im Klassenverband oder durch Ethikunterricht ersetzen, erhebliches Potenzial für die Subjekte selber wie aber auch für Schule und Gesellschaft übersehen. Dieses Potenzial liegt auf dem Feld der Bildung, was zunächst den Blick auf die normative Ausrichtung und Zielsetzung des Religionsunterrichts erfordert.

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