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1 Reflektierte Positionalität. Normative Ausrichtung des Religionsunterrichts
ОглавлениеWas den Religionsunterricht neueren Datums ganz entscheidend prägt, ist die Trennung von Religionsunterricht und Glaubensverkündigung. Der Religionsunterricht ist durchaus ein Lernort des Glaubens, aber eigener Art. Der Glaube ist selber nicht dessen Ziel. Er dient nicht der Katechese und der Mitgliederwerbung für die Kirche, er ist nicht mehr der Ort der Kirche in der Schule. Er steht neben der Glaubensverkündigung und dient letztlich der Urteilsbildung der Kinder und Jugendlichen. Insofern findet der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule seine Legitimation und Zielsetzung in seinem Beitrag zum Bildungsauftrag der Schule, als er im Hinblick auf Glaube und Religion die Schülerinnen und Schüler zu reflexivem wie verantwortlichem Denken und Verhalten befähigen soll.9 Nicht Glaube, nicht Frömmigkeit, sondern begründetes Urteil zielt ein solcher Unterricht an, der einen erfahrungsgeleiteten Ausgang von den Schülerinnen und Schülern nimmt und durch die dialogische Konfrontation mit der biblischen Botschaft sein Ziel freilich auch erreicht, wenn – so paradox diese normative Ausrichtung auf Autonomie und Mündigkeit des Religionsunterrichts auch klingen mag – Heranwachsende sich gegen den Glauben entscheiden.
Dabei wird didaktisch eine korrelative Zuordnung von Glaubenstradition und menschlicher Erfahrung erkennbar, die eben beides zugleich kritisch wie produktiv aufeinander hinordnet und beides so auch würdigt und ernst nimmt. Weder darf die Glaubenstradition zum bloßen Steinbruch von Lösungsvorschlägen für existenzielle oder politische Probleme ausgehöhlt werden, noch dürfen die Schülerinnen und Schüler lediglich als Anknüpfungspunkt für die Vermittlung der Glaubenstradition herabgewürdigt werden. Normativ wird die Grundausrichtung eines solchen Religionsunterrichts eindrucksvoll markiert. Ein solcher versteht sich als Beitrag zur Menschwerdung des Menschen, steht also im Dienst einer recht verstandenen Bildung der Schülerinnen und Schüler.10 Nur als solcher kann ein Religionsunterricht in einem weltanschaulich neutralen Staat in der öffentlichen Schule überhaupt noch gerechtfertigt werden. Doch welche Gestalt soll ein solcher Unterricht haben? Derzeit sind hier vielfältige Debatten im Gang: ob angesichts der demografischen Faktoren überhaupt ein konfessioneller Religionsunterricht noch vertretbar ist, ob nicht vielmehr der inzwischen von den katholischen Bischöfen mehrheitlich akzeptierte konfessionell-kooperative Religionsunterricht, ob der dialogische Religionsunterricht in Hamburg, der alle Religionen in einem konfessionell ausgerichteten Unterricht zusammenbringt, ob ein multireligiöser Religionsunterricht. Offensichtlich ist der Religionsunterricht „auf dem Weg zu neuen Passungsverhältnissen“ kontextueller Art.11 Doch seine normative Bestimmung bleibt: sein Beitrag zum schulischen Bildungsauftrag. Was aber ist genau darunter zu verstehen?