Читать книгу Religionsunterricht - Группа авторов - Страница 8

3 Mehr als alles: Religiöse Bildung

Оглавление

Aber ‚Bildung‘ ist kein Begriff, der sich von selbst versteht. Bildung geht, diametral anders gelagert als Erziehung und Sozialisation,15 vom Subjekt aus und zielt letztlich auf das Subjekt. Das Subjekt ist Träger eines Bildungsprozesses. In ihm setzt sich ein Subjekt aktiv, kritisch und konstruktiv mit seiner Objektwelt, mit Mensch und Umwelt, Kultur und Gesellschaft auseinander. Bildung vollzieht sich immer in der thematischen wie kritischen Auseinandersetzung mit etwas, ist sie doch die Bildung des Subjekts im Horizont des Allgemeinen. Das ‚Allgemeine der Bildung‘, „repräsentiert (1) eine Möglichkeit und einen Anspruch aller Menschen, letztlich der Menschheit im Ganzen; es zielt (2) auf die Entfaltung aller menschlichen Möglichkeiten, sofern sie mit der Selbstbestimmung und Entwicklung aller anderen Menschen vereinbar ist; es meint (3), dass sich Bildung im Medium des Allgemeinen vollziehen sollte, d. h. in Auseinandersetzung mit dem gemeinsam Angehenden“16. So vollzieht sich Bildung in der Einsicht in die Mitverantwortung für und in der kritisch-konstruktiven Arbeit an den Schlüsselproblemen der Gegenwart, zu denen Wolfgang Klafki neben Frieden, Umwelt, Demokratisierung von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, Arbeit in seinen späteren Arbeiten auch die Religion zählt.17

Nicht der Vielwissende, nicht der Mobile, Funktionierende, nicht der Angepasste und in politische Zusammenhänge, in Kultur und Gesellschaft und Ökonomie Eingepasste, sondern der selbstverantwortliche, freie, mündige, urteilsfähige Mensch ist in den Traditionen Jean-Jacques Rousseaus, Immanuel Kants, Johann Gottfried Herders, Friedrich Schillers, Wilhelm von Humboldts das Ziel von Bildung. Bildung zielt auf Emanzipation und Aufklärung, auf die Verwirklichung der menschlichen Bestimmung. „Ein humanistisches Bildungsverständnis beruht auf dem Ideal der Autonomie. Die Fähigkeit, ein Leben nach eigenen Regeln, frei und verantwortlich zu führen, ist oberstes humanistisches Bildungsziel. Eine entwickelte Urteilskraft und Entscheidungsfähigkeit sind Voraussetzungen für ein autonomes Leben.“18 Die aus jüdisch-christlichen Traditionen in den Bildungsbegriff eingespeiste Theologie der Gottebenbildlichkeit steht dabei in spezifischer Weise für die innergeschichtliche Unabschließbarkeit, den utopischen Überschuss von Bildung wie die konstitutive Konfrontation mit Alterität. Dies verloren zu haben, ist nach Käte Meyer-Drawe eine der zentralen Verluste moderner Bildungstheorie.19 In einer kritischen Relecture des Zusammenhangs von negativer Theologie und Gottebenbildlichkeit untersucht sie, „wie diese Asymmetrie von Ebenbildlichkeit und Bilderverbot im Bildungsdiskurs wirksam wurde. Dem Menschen als Ebenbild Gottes war von Anfang an ein Geheimnis eingeschrieben, eine eigene Fremdheit, die aus der Sicht der Menschen erst dann gemildert werden konnte, als Werke erdacht wurden, wie der Mensch seine Gottebenbildlichkeit mitgestalten konnte.“20

Denn freilich kann sich andererseits ein Subjekt nur selber bilden. Bildung lebt von der Selbsttätigkeit der Subjekte, die sich ihre Ziele selber setzen. Wohl zielen Bildungsprozesse darauf ab, einen anderen zum Subjektsein zu befähigen, wobei diese Bildungsprozesse wiederum ihr Maß finden an der potenziellen Selbstbestimmung des Menschen. Das „pädagogische Paradox“, die Aporie, wie eben Freiheit und Mündigkeit angebahnt werden können in einem Verhältnis von Zwang und Ungleichheit, in dem sich der Zögling immer auch kritisch gegen die eingebrachten Inhalte, Normen und gewählten Methoden soll wenden können, bleibt unaufhebbar.21

Der Bildungsbegriff zeigt damit eine spannungsvolle Doppelstruktur: die Spannung von indukativer und edukativer Dimension, von Vorgabe und Transformation, von Affirmation und Kritik. Bildung führt in Wirklichkeitszusammenhänge ein und setzt die Subjekte dabei zugleich frei, indem sie Wahrnehmungsfähigkeit, Orientierungsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, Urteilsfähigkeit im Vollzug anbahnt. Ein solches Verständnis bindet die Bildungsprozesse in Bedingungsverhältnisse ein, die selber im Hinblick auf Mündigkeit bildungsbedürftig sind. Ein solcher Bildungsbegriff zielt auf die Konstituierung freier Subjekte und deren Befähigung zur „Identität in universaler Solidarität“.22 Als solcher weiß er sich verantwortlich für seine gesellschaftlich-politischen wie kulturellen Voraussetzungen. Hierin liegt die Bedeutung eines emanzipatorischen Bildungsbegriffs, der freilich unter den veränderten gegenwärtigen Kontextbedingungen der Naturalisierung des Geistes, der Entsubjektivierungsprozesse in Freizeitindustrie und globalisiertem Kapitalismus kritisch fortgeschrieben werden muss.23

Indessen bleibt ein pädagogischer Bildungsbegriff in sich widersprüchlich, kann er doch in Anbetracht der Endlichkeit und Verletzlichkeit, in Anbetracht der Toten, der Geschlagenen und der geschichtlichen Opfer nicht eigentlich für das aufkommen, was er in der Zielbestimmung universaler Solidarität eigentlich anvisiert. Bildung greift vor auf eine absolute, aus dem Tod rettende Freiheit. Die Fragen nach den Toten und den ausgeschlossenen, benachteiligten Anderen sich nicht ausreden zu lassen, sie stets offen zu halten, wird damit zum Grundbestandteil von Bildung überhaupt. Religiöse Bildung lebt demnach von ihrem inhaltlichen Profil, ist nicht nur formal. Dieses liegt in einer bestimmten Tradition, eben der jüdisch-christlichen Überlieferung, welche die praktisch zu bewahrheitende Verheißung der Versöhnung, der Erlösung und universaler Vollendung einbringt.24 Glaube und Bildung werden dadurch aufeinander beziehbar und bestimmen sich gegenseitig. Bildung läuft ohne eine das Bildungsstreben sinnvoll kontextualisierende Vision wahren Lebens „letztlich ins Leere“, wie umgekehrt der Glaube eines Menschen verkümmert, wenn er nicht dadurch in die personale Identität integriert wird, dass „man ihn seinerseits bildet“25. Religiöser Bildung obliegt es dann aber auch, an der Unverfügbarkeit und Geschenktheit der Glaubensentscheidung festzuhalten und zugleich die pädagogische Relevanz von Momenten der Gratuität, der Zwecklosigkeit, der Nichtfunktionalität auszuweisen.26 Erst durch seine religiöse Dimensionierung gewinnt der Bildungsbegriff sein eigentliches „Potenzial von Widerstand“ gegenüber einer rein formalen, objektivierenden Wissenschaftsperspektive und gegenüber allen Versuchen,27 Bildung auf Qualifizierung für ökonomische Prozesse zu reduzieren.

Religionsunterricht

Подняться наверх