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1 Im Dialog mit den BedarfsträgerInnen

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In dieser Sektion wird das Dolmetschen für die unterschiedlichsten BedarfsträgerInnen präsentiert, angefangen von Asylsuchenden, über Häftlinge bis hin zu EU-BeamtInnen.

Den Auftakt dabei bildet Mira Kadrić’ Doktormutter und Mentorin Mary Snell-Hornby mit einem Beitrag über die Bedeutung einer funktionierenden Zusammenarbeit von staatlichen und nichtstaatlichen Behörden, BürgerInnen und Asylsuchenden als wesentlicher Erfolgsgarant für die Multiminoritätengesellschaft. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet sie zwei authentische Fallbeispiele aus der jüngeren Vergangenheit in Vorarlberg. Das erste Fallbeispiel skizziert den fast schon vorbildlichen Werdegang einer jungen geflüchteten Syrerin. Im extremen Gegensatz dazu das zweite Fallbeispiel: der durch einen Asylsuchenden verübte Mord am Leiter einer sozialen Einrichtung in Dornbirn. In der Gegenüberstellung dieser beiden Beispiele geht Snell-Hornby auf die möglichen Ursachen und Folgen gelungener bzw. misslungener (transkultureller) Kommunikaton ein.

Auch Franz Pöchhacker widmet sich dem Asylbereich, doch stehen bei ihm die Handlungsmacht der Dolmetscherin und der damit verbundene potentielle Einfluss auf den Inhalt und Verlauf einer gedolmetschten Befragungssituation im Fokus. Am Beispiel einer dreistündigen Berufungsverhandlung, die 2006 am heutigen Bundesverwaltungsgericht durchgeführt wurde, untersucht Pöchhacker mittels Diskursanalyse die aktive Rolle der Dolmetscherin. In ausgewählten Exzerpten wird das translatorische Handeln vor allem als protokollorientiertes Dolmetschen sichtbar gemacht, welches zwar von der verhandlungsleitenden Beamtin gewünscht und dadurch als Expertenhandeln wahrgenommen wird, sich an den Bedürfnissen des Berufungswerbers jedoch kaum orientiert.

Caterina Falbo beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit Höflichkeit in gedolmetschter Kommunikation. Sie vergleicht die Höflichkeitsmodelle von Penelope Brown und Stephen C. Levinson und Catherine Kerbrat-Orecchioni miteinander, die sie kontrastierend auf dieselben drei Fallbeispiele anwendet. Die Beispiele entstammen einer authentischen gedolmetschten Nachuntersuchung, die 2011 an einem Pariser Krankenhaus durchgeführt wurde. Falbo hält fest, dass Kerbrat-Orecchionis Modell eine Weiterentwicklung des Modells von Brown und Levinson ist: Vielmehr ließe sich dadurch die Höflichkeit in zwischenmenschlichen Interaktionen differenzierter erfassen, wodurch eine präzisere Untersuchung gedolmetschter Gespräche möglich wäre.

Im Mittelpunkt von Erik Hertogs Beitrag steht das sogenannte Social Interpreting in Flandern, welches eine Schlüsselrolle bei der Integration von Neuankömmlingen und Personen mit Migrationshintergrund spielt. Nach einer kurzen Begriffserklärung beschreibt Hertog die Entwicklung der letzten zwanzig Jahre des Social Interpreting in Flandern. In dieser Zeit hat sich Flanderns Demographie stark gewandelt, wodurch der Bedarf nach entsprechenden Dolmetschdiensten wuchs. Aktuell existieren vier Social-Interpreting-Dienste in Flandern, zu denen Hertog Informationen liefert (Auftragsumfang, Dolmetschqualität und DolmetscherInnenausbildung, Zertifizierungsprozess, Bedarfssprachen und die Rolle der Wissenschaft bei der Entwicklung und Weiterentwicklung des Angebots).

Auch der gemeinsame Beitrag von Heidi Salaets, Katalin Balogh und Stefan Aelbrecht weist einen Belgienbezug auf, allerdings mit einer anderen thematischen Schwerpunktsetzung: fremdsprachige Häftlinge als BedarfsträgerInnen, denen in Belgien oft das Recht auf Dolmetschung verwehrt wird. Die AutorInnen präsentieren hier die Aussagen von neun Häftlingen, die im Rahmen des DG Justice-Projekts TransLaw zur Kommunikation durch DolmetscherInnen interviewt wurden. Das Projekt TransLaw wurde von Mira Kadrić in Kooperation mit den Universitäten Wien, Maribor, Triest und der belgischen KU Leuven ins Leben gerufen.

Karin Reithofer geht in ihrem Beitrag der Frage nach, ob gleichberechtigte Mehrsprachigkeit tatsächlich auch so von den Institutionen und Organisationen der EU praktiziert wird. Nach einer Einleitung zur offiziellen Sprachenpolitik der EU, befasst sich Reithofer mit der internen und externen Kommunikation von Institutionen, wie zum Beispiel dem Europaparlament oder dem Rat der EU. Des Weiteren hält sie fest, dass in vielen Organisationen der EU aus pragmatischen Gründen oftmals Englisch als einzige Arbeitssprache angeboten wird, zu Lasten vieler BeamtInnen, deren Erstsprache eine andere ist. Die Entwicklung von der Mehrsprachigkeit, der sich die EU eigentlich verschrieben hat, zur Einsprachigkeit als De-facto-Kommunikationsmodus innerhalb der Institutionen sieht Reithofer kritisch.

Auf die Bedeutung der Mehrsprachigkeit in der EU geht auch Carmen Valero-Garcés in ihrem Beitrag ein. So setzt sie sich konkret mit der Entwicklung der Mehrsprachigkeit am Beispiel der neuen Bedarfssprachen im behördlichen Bereich im letzten Jahrzehnt auseinander. Längst wird nicht nur bei großen Konferenzen gedolmetscht; Mehrsprachigkeit und gedolmetschte Interaktion gehören mittlerweile zum Alltag vieler nationaler Institutionen und Behörden. Dass das Dolmetschen in diesem Bereich immer mehr an Bedeutung gewinnt, zeigt sich besonders im Interesse aktueller dolmetschwissenschaftlicher Beiträge an derartigen Fragestellungen, aber auch in einem größer werdenden spezialisierten Ausbildungs- bzw. Weiterbildungsangebot für das Dolmetschen für Gerichte und Behörden.

Dolmetschen als Dienst am Menschen

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