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Im Dialog mit den BedarfsträgerInnen „Va’, pensiero …“
ОглавлениеÜberlegungen zur kulturellen Dimension bei der Kommunikation mit Asylsuchenden
Mary Snell-Hornby
„By the waters of Babylon we sat down and wept: when we remembered thee, O Sion”. Dieser erste Vers des Psalms 137 (hier in der Fassung des „Book of Common Prayer” der traditionellen anglikanischen Kirche) gehört zu den bekanntesten Zeilen der Bibel und somit zum Kern der heutzutage vielzitierten „christlich-jüdischen Kultur“ Europas. Sie haben in unsere Kunst und Literatur Eingang gefunden, auch sogar in die Popkultur, wie etwa als Songtext im Musikalbum „Waters of Babylon“ von Don McLean. Ansonsten sind sie uns in anderer Form besonders vertraut, wie eben im berühmten Gefangenenchor „Va’, pensiero“ aus der Oper „Nabucco“ in der Musik von Giuseppe Verdi.
Die historischen Fakten sind im Alten Testament belegt: nachdem im Jahr 586 v. Chr. ihre heilige Stadt Jerusalem von den Babyloniern unter König Nebukadnezar II (Verdis „Nabucco“) erobert und teilweise zerstört worden war (2. Buch der Könige 24), wurden die Juden nach Babylon verschleppt, wo sie jahrzehntelang in Gefangenschaft lebten. Der Psalm 137 ist ein Klagelied, das ihre Sehnsucht nach der verlorenen Heimat zum Ausdruck bringt. In Wirklichkeit lebten viele von ihnen im babylonischen Exil aber gar nicht schlecht: Es wurden vor allem die mächtigen, starken und gut ausgebildeten Männer mitgenommen und etwa als Zimmerleute und Schmiede eingesetzt (die Ärmsten und Schwächsten wurden zurückgelassen, 2. Buch der Könige 24,14); der Prophet Daniel wurde sogar zum Gouverneur ernannt (Buch Daniel 2,48). In der heutigen Diktion würden wir viele der damals exilierten Israeliten als bestens integrierte Fachkräfte bezeichnen.
Auffallend an dieser Geschichte aus dem alttestamentarischen Babylon ist ihre Vergleichbarkeit mit der heutigen Situation in Europa, man könnte meinen, ihre Aktualität, – mit dem Unterschied, dass Menschen nicht gewaltsam aus ihrem Heimatland verschleppt, sondern sich wegen der dortigen Zerstörung und Gewalt gezwungen sehen, sie – in umgekehrter geografischer Richtung und unter welchen Umständen auch immer – zu verlassen und zu versuchen, in einem fremden Land aufgenommen zu werden, also um Asyl zu suchen. Und daraus ergeben sich bekanntlich viele Herausforderungen: Im vorliegenden Beitrag beschäftigen wir uns mit den kommunikativen Abläufen bzw. Hürden, die durch unterschiedliche Kulturen, gesellschaftliche Stellung und nicht zuletzt rechtliche Vorschriften entstehen.