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2 Die Floristin
ОглавлениеBei der jungen Syrerin Nour verlief die Kommunikationskette vorbildlich. Sie ist derzeit, im Sommer 2020, als Lehrling in einem Blumengeschäft in Bregenz beschäftigt. Dieses ist ein Familienbetrieb, und der Inhaber ist sehr bemüht, sie zu fördern – und zu behalten. Nour besucht die Berufsschule, hat die gleichen Pflichten und Rechte wie alle anderen MitarbeiterInnen, inklusive eines freien Tags pro Woche, und sie wird von einer Familienangehörigen betreut, die ihr beim Deutschunterricht behilflich ist. Sowohl Nour als auch ihre Betreuerin waren gerne bereit, im Rahmen eines Gesprächs ihre Geschichte – auf Deutsch – zu erzählen.
Nour stammt ursprünglich aus Damaskus, und dort ging sie als Kind zur Schule. Als die Bombardierungen – im frühen Stadium des Krieges – immer bedrohlicher wurden, beschloss der Vater, mit der ganzen Familie (neben der Mutter auch einem älteren Bruder und zwei kleineren Kindern) das Land zu verlassen. Die nächsten Jahre verbrachten sie im Libanon, dort besuchte Nour die Mittelschule. Den Sprung nach Österreich sowie die weitere Betreuung verdankt die Familie der Caritas: So kam sie mit dem Flugzeug nach Wien, ein Dolmetscher mit arabischer Muttersprache wurde zur Verfügung gestellt, eine Unterkunft organisiert. Die notwendigen behördlichen Maßnahmen sowie die Verteilung der verschiedenen Familien und die Entscheidungen über deren weitere Destinationen übernahm ebenfalls die Caritas. So kam Nour mit ihren Angehörigen und anderen Familien mit einem Bus nach Vorarlberg. Dies geschah gegen Ende des Jahres 2015, als mit der immer größer werdenden Zahl an flüchtenden Menschen und der teilweisen Aussetzung von Grenzkontrollen die zunächst vorherrschende Willkommenskultur ins Gegenteil kippte. Von diesem Stimmungsumschwung bekam Nour wenig mit, sie war als Dreizehnjährige zunächst vor allem von dem Schnee auf den Bergen begeistert.
Nach der Ankunft in Vorarlberg wurden für die verschiedenen Familien Unterkünfte gefunden und weitere notwendige Maßnahmen getroffen. Bei der Frage, wer bzw. welche Organisation für welche Leistungen zuständig war, wird Nours Erzählung allerdings etwas unklar. Klar war hingegen die freundliche Begrüßung der BewohnerInnen von Rohrbach, dem Stadtteil von Dornbirn, wo die Familie untergebracht wurde; das „Übersetzen“ übernahm der ältere Bruder über das Englische. Ansonsten gab es anscheinend – neben der Caritas – eine ganze Reihe von Institutionen, die Nour auf ihrem weiteren Weg in Vorarlberg geholfen haben. Gesprochen habe ich mit der Projektleiterin der ÜBA (Überbetriebliche Lehrausbildung) des Vereins FAB (Förderung von Arbeit und Beschäftigung), einer Unterabteilung des AMS. Sie hatte Nour an das Blumengeschäft vermittelt, war mit ihrem Fall (und mit vielen anderen auch) bestens vertraut und bezeichnete Nour als ein „Paradebeispiel“.
Das ist sicherlich ein Idealfall, aber keineswegs eine Ausnahme: Wenn alle Instanzen funktionieren, kann die Integration rasch erfolgen und erfolgreich sein. Am wichtigsten war wohl das vorbildliche Wirken der Caritas, die alle Grundbedürfnisse erkannt, die behördlichen Hürden beseitigt und den Weg zu den Organisationen in Vorarlberg geebnet hat. Hinzu kamen das geregelte Leben mit regulärem Schulbesuch im Libanon und die Hilfsbereitschaft der Menschen in Rohrbach sowie der Vermittlungsorganisationen und des Gastbetriebs. Ganz wesentlich war aber auch die Eigenverantwortung und das Engagement der jungen Syrerin selbst: in der Schule, beim Erlernen der Sprache, bei der Lehre im Betrieb und in der Bereitschaft, sich in grundlegenden Fragen der Kultur des Gastlandes anzupassen, ohne ihre eigene Identität aufzugeben.
Das ging freilich nicht ganz ohne Probleme: Ihr Wunschberuf wäre eigentlich Köchin gewesen. Als sie aber erfuhr, dass dazu das Probieren von Gerichten mit Schweinefleisch gehörte, sagte sie ab und begann die Lehre zur Floristin. Ihr Kopftuch will sie auch nicht ablegen, ihr Umfeld stört das nicht. Soziale Kontakte in der Berufsschule sind aber nicht immer leicht herzustellen. Auf die Frage, wo sie in zehn Jahren sein möchte, antwortet sie trotzdem: „In Vorarlberg“. Man kann es ihr nur wünschen: Wenn dieser Aufsatz erscheint, wird ihre Lehre beinahe beendet und ihre fünfjährige Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sein.