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4 „Du hättest nur nett sein müssen“
ОглавлениеDer Mord am Leiter der Sozialhilfeabteilung in Dornbirn durch einen Asylwerber im Februar 2019 hat österreichweit für Empörung gesorgt. Auch das politische Klima wurde vergiftet und sogar die Möglichkeit einer „Sicherungshaft“ für Asylsuchende zur Sprache gebracht. Der Prozess gegen den 35-jährigen Angeklagten Soner Ö. fand Anfang 2020 statt, das Urteil war einstimmig und eindeutig: Lebenslang wegen Mordes. Die Handlung sei „äußerst brutal, rachsüchtig und heimtückisch“ hieß es in der Begründung des Richters (Berger 2020a:10). Als ausschlaggebend wurde der Vortrag des Gerichtsmediziners über die Tat erachtet, der die exzessive Wucht des tödlichen Messerstichs ausführlich darstellte (Berger 2020a:10). Das wäre nach Scheiber ein eklatantes Beispiel für die Fokussierung auf die Tat und weniger auf den Täter.
Dessen Hintergrund und die Vorgeschichte der Tat wurden in den meisten Medien eher skizzenhaft dargestellt, wobei aber klar sein müsste, dass es sich bei Soner Ö. um keinen klassischen Flüchtling handelt: In Vorarlberg geboren und aufgewachsen, als Jugendlicher in die Drogenszene und Kleinkriminalität geraten, mehrfach verhaftet und in die Türkei abgeschoben, versuchte er vielmehr, die Möglichkeiten des Asylrechts zu benutzen, um nach Vorarlberg zurückzukehren. Wie genau es dazu kommen konnte, wurde von der Journalistin Edith Meinhart 2019 im Magazin profil (2019:32–36) ausführlich beschrieben, und zwar nach „Gesprächen mit Sozialarbeiterinnen, Streetworkern, Drogenberatern, Lehrern, Polizisten, Anwälten, türkischen und kurdischen Einwanderern“ (2019:43). Die relevantesten Aspekte für unser Thema im Lebensweg des Soner Ö. können wie folgt zusammengefasst werden: Der Vater kam 1971 aus Anatolien nach Vorarlberg als einer der ersten „busweise angekarrten Gastarbeiter“ (Meinhart 2019:34), von den Einheimischen nicht erwünscht, aber von der Industrie als Hilfsarbeiter gebraucht. Die Unterbringung war entsprechend primitiv. Integration war kein Thema, vielmehr sollten die Migrantenkinder durch muttersprachlichen Unterricht „fit für die Rückkehr“ in ihre Heimat gemacht werden. Der 1991 eingeschulte Soner Ö., den eine Lehrerin als „charmant, ein Sonnenschein“ beschrieb (2019:35), landete aber immerhin in einer der ersten Inklusionsklassen. Als er zwölf ist, passiert jedoch ein Zwischenfall, die Polizei wird gerufen, ein Gendarm droht ihm „Du wirst abgeschoben“. Mit 14 gerät er in eine Gang von Kleinkriminellen, hat jahrelang Probleme mit Drogen und verschiedenen Straftaten (damals ohne sozialpädagogische Angebote) samt Anzeigen, Verwaltungs- und Haftstrafen und schließlich 2009 der Abschiebung in die Heimat seiner Vorfahren (wo er nie Fuß fasste) und dem damit verbundenen Rückkehrverbot. Anfang 2019 probierte er aber zu seiner Familie in Vorarlberg, „in meine Heimat“, zurückzukehren – als Asylwerber. (Berger 2020b:10). Der zuständige Leiter der Sozialhilfeabteilung ist zufällig dieselbe Person, die als Gendarm dem 12jährigen mit Abschiebung drohte und später als Fremdenpolizist diese tatsächlich durchführen ließ: Da ihn nun Soner Ö. wiedererkennt und zudem u.a. aus bürokratischen Gründen seine Grundversorgung nicht erhalten hat (er ist nicht versichert und mittellos), sticht er voller Wut auf den Amtsleiter ein.
Das ist ein natürlich ein Extremfall – aber in den grundsätzlichen Fragen des sozialen Hintergrunds und der schiefgelaufenen kulturellen Kommunikation auch ein abschreckendes Beispiel. Anstelle der organisierten Kommunikationskette wie bei der jungen Syrerin bestehen hier scheinbar unversöhnliche Gegensätze, verhängnisvolle Zufälle und vermeidbare Missstände. Hier das eher unerwünschte kurdische Gastarbeiterkind, dort der Amtsinhaber aus einer angesehenen alteingesessenen Familie; hier der Versager, der glücklose türkische Kleinkriminelle, dort der Gendarm, der abschiebende Fremdenpolizist, der spätere zuständige Amtsleiter und schließlich das Mordopfer, fatalerweise allesamt dieselbe Person, der Soner Ö. vor seiner Tat sagte: „Du hättest nur nett sein müssen“. Dazu kamen bürokratische Pannen etwa bezüglich der Grundversorgung sowie Unwissen des Asylwerbers in rechtlichen Fragen wie bei der früheren Abschiebung (Meinhart 2019:35). An der sprachlichen Kommunikation lag es nicht: Vor Gericht sprach Soner Ö. „perfektes Hochdeutsch“ (Berger 2020b:10).