Читать книгу Ein Prinz für Cinderella - Группа авторов - Страница 10
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ОглавлениеWie betäubt stieg ich die Stufen hinauf. Ein Aufzug existierte nicht, doch das fiel in dieser Bude auch nicht mehr ins Gewicht.
Mein Gott ...
Das Mietshaus mit seinen zehn Parteien war schon von außen nicht gerade einladend, im Inneren verstärkte sich dieser Eindruck noch massiv. An den Wänden bröckelte die Farbe ab, darunter kam eine alte Tapete zum Vorschein, die Wohnungstüren sahen zum Teil zerkratzt aus und oben kreischten ein paar Kinder. Die alte Holztreppe knarrte unter jedem Schritt, und dann dieser Gestank! Lüfteten die Leute hier etwa ihren Küchendampf in den Hausflur?
Im zweiten Stock überholte mich Achim und dirigierte mich zu einer versifften Tür mit Kleberesten unter dem Türspion.
„Ihr neues Appartement“, kündigte er an. „Na so was, warum geht das nicht ...? Das Schloss klemmt manchmal, hat mir der Eigentümer mitgeteilt.“ Er ruckelte ein wenig mit dem Schlüssel bis das Schloß knackte und die Tür quietschend aufschwang.
Angeekelt ging ich an ihm vorbei in meine neue „Wohnung“. Drinnen wäre ich am liebsten gleich wieder umgedreht.
„Das soll wohl ein Witz sein?!“
Das Appartement bestand aus einem Zimmer mit Kochecke, einer abgefuckten Couch und einem kleinen Schlafzimmer. Das, was das Bad sein sollte, war kleiner als das Gästeklo in unserer Villa. Die gesamte Wohnung konnte nicht größer sein als mein Ankleidezimmer.
Achim blieb höflich an der Tür stehen, während ich mich umsah. Im Schlafzimmer fand ich eine Ladung beschrifteter Kartons, „Sommerkleider“, „Jeans“, „Schuhe“, „ordinäre Outfits“ und so weiter. Mein Vater hatte also meine Sachen schon herbringen lassen. Ich sah auf den ersten Blick, dass es nur ein winziger Teil meines Besitzes war. Logisch, der Rest hätte auch nicht hier reingepasst. Von meinen geliebten Möbeln konnte ich nichts entdecken, die Bude war mit entsetzlichen 80er-Jahre-Schränken und Regalen möbliert. Wenigstens war das Bett frisch bezogen, das war aber auch das einzig Erträgliche.
Ich befand mich immer noch in einem Dämmerzustand und brachte keinen Ton heraus. Meine Stimme hätte wahrscheinlich auch niemand gehört, denn der Lärm aus den anderen Wohnungen überdeckte jedes normal gesprochene Wort problemlos. Unten hupte schon seit Minuten jemand, und direkt über mir wurde ein schreiendes Kind auf Türkisch, Marokkanisch oder was weiß ich was für einer Sprache zusammengeschissen.
Nachdem ich minutenlang im Schlafzimmer die Kartons angestarrt hatte, klingelte es an der Tür. Achim befand sich gerade im Bad, weshalb ich selbst öffnen musste.
Mit einem genervten „Was ist?“ riss ich die Tür auf. Ein junger Typ mit kurzen blonden Haaren und Baseballkappe stand mir gegenüber. Als er mich sah, musterte er mich von oben bis unten und pfiff durch die Zähne. Geistesabwesend schob er seine Mütze nach hinten und lehnte sich lässig an den Türrahmen.
„Hi, du wohnst wohl noch nicht lange hier? Ich hab dich hier noch nie gesehen.“
„Nein, ich ziehe gerade ein. Was willst du? Für Anmache bin ich wirklich nicht in Stimmung.“
„Ja ... schade. Weißt du, wem die Bonzenkarre vor dem Haus gehört?“
Mit Bonzenkarre konnte nur unser Jaguar gemeint sein.
„Was ist damit?“, fragte ich pampig.
„Gehört die Karre dir? Wow ... Die steht total im Weg, ich muss hier mit dem Hänger parken und was abladen.“
„Ich sag`s meinem Chauffeur.“
Der Typ grinste mich frech an. „Du hast einen Chauffeur aber wohnst in dieser Bruchbude? Süße, ich kenn dich zwar nicht, aber ich glaub, deine Prioritäten sind nicht ganz ...“
Meine Antwort bestand aus einem Knurren.
„Tja, dann geh ich mal wieder. Wenn du mal nichts vorhast ... ich bin oft bei meinem Kumpel im ersten Stock, schau doch mal vorbei.“
Ja klar, darauf hatte ich wirklich Lust. Ich drehte mich um und knallte ihm die Tür vor der Nase zu, bevor er mich noch nach meiner Handynummer fragen konnte.
Neben mir räusperte sich Achim. „Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, dann lasse ich Sie jetzt alleine. Sie haben sicher noch eine Menge zu tun.“
„Ja ... okay“, murmelte ich und sah zu, wie die letzte Verbindung zu meinem alten Leben durch die Tür verschwand. Am liebsten wäre ich mit Achim zurück nach Hause gefahren, ich konnte mich nur mit Mühe beherrschen. Aber diesen Triumph wollte ich meinem Dad nicht gönnen, ich würde ihm schon beweisen, dass ich nicht aus Zucker war und hier zurechtkam.
Ich warf meine Handtasche auf den Esstisch, der wohl mal ein paar Nuancen heller gewesen war, und sah mich weiter um. Am Kühlschrank entdeckte ich einen Zettel mit einer vertrauten Handschrift:
„Da ich nicht wusste, was du essen möchtest, habe ich dir ein paar Anregungen hiergelassen.“
Mit einem unguten Gefühl öffnete ich die Kühlschranktür. Leer. Kaputt war er wohl auch, denn mir schlug eine miefige Wärme aus dem dunklen Billigkühlschrank entgegen. Und was war das auf der Arbeitsfläche – Kochbücher?! Natürlich, mein Vater wollte mich quälen. Hektisch riss ich die Hängeschränke der winzigen Küchenzeile auf, in der Hoffnung, darin etwas Essbares vorzufinden – nichts. Nicht mal eine Packung Nudeln! Das Licht im Raum funktionierte auch nicht, das wurde immer besser. Unter einer der Steckdosen klebte ebenfalls ein Zettel.
„Bitte denk daran, dich beim Stromanbieter anzumelden. Da dir nicht allzu viele technische Spielereien zur Verfügung stehen, dürfte dich das nicht mehr als 50 Euro im Monat kosten. Auf deinem neuen Girokonto (siehe Kuvert auf dem Esstisch) ...“
Der Zettel knisterte in meiner Hand. Ich war kurz davor, jemanden zu erwürgen. Girokonto! Noch mehr konnte er mich ja wohl nicht demütigen. Bebend vor Wut las ich weiter:
„... befinden sich 500 Euro. Geh sorgsam damit um, dann reicht es für deine Lebenshaltungskosten bis zum Monatsende. Du erhältst am nächsten 1. automatisch das Geld für den nächsten Monat. Die Miete ist bereits bezahlt.“
500 Euro für einen ganzen Monat? Das reichte nicht mal für die tägliche Taxifahrt zum Tierheim! In meinem Geldbeutel befanden sich gerade mal fünfzig Euro, also praktisch nichts. Sollte ich etwa mit dem Bus fahren?
„Ich würde die Trambahn empfehlen, danach musst du in die S-Bahn umsteigen, die dich zur Bushaltestelle am Rosenheimer Platz bringt.“
Auf dem Tisch entdeckte ich einen Umschlag mit einer EC-Karte darin, sowie die zugehörige Geheimnummer. Ich schob die Karte in meinen Geldbeutel und war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
Kochbücher, ein leerer Kühlschrank und kein Geld. Spätestens jetzt bereute ich den Streit mit meinem Vater bitter. Seine hämische Notiz zerknüllte ich und warf sie gegen die Wand. Das war nicht mein Leben, hier in diesem Armenhaus würde ich es keinen einzigen Tag aushalten. Vielleicht konnte ich Achim noch erreichen? Kurz entschlossen schnappte ich meine Tasche und rannte nach unten. Weit kam ich nicht, denn zwischen erstem Stock und Erdgeschoss verstopften zwei Typen mit einer Couch die Treppe.
„He, langsam, wir waren zuerst da“, sagte einer der beiden schnaufend.
„Müsst ihr das Ding jetzt hochtragen? Ich hab`s eilig, verdammt.“
Die beiden stellten die Couch auf den Stufen ab und drehten sich grinsend zu mir um. Den einen hatte ich vorhin gerade kennengelernt, der andere war wohl sein Kumpel aus dem ersten Stock. Als er mich ansah, vergaß ich für eine Sekunde, was ich eigentlich wollte. Er war groß, etwas älter als ich, und das enge T-Shirt spannte sich um seinen durchtrainierten Oberkörper. Unter der Baseballkappe kamen halblange braune Haare zum Vorschein. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gedacht, Lucas Maxfield – das heißeste männliche Model des Universums – stünde vor mir.
„Hi“, sagte er mit einer angenehmen Stimme.
„Hi.“
„Wir sind hier gleich fertig, aber das Ding hier“, er klopfte auf die Couch, „ist ganz schön sperrig. Wenn du ein paar Minuten wartest, sind wir weg.“
Von unten hörte ich ein vertrautes Motorgeräusch.
„Ich habe KEINE Zeit!“, rief ich panisch und versuchte, mich an der Couch vorbeizuzwängen.
„Du könntest ja drüberklettern“, schlug der Dunkelhaarige lachend vor. Wunderbar, dachte ich verzweifelt, die beiden amüsieren sich und draußen entfernt sich das Motorengeräusch unseres Autos immer weiter.
Nachdem die beiden endlich ihr Couchungetüm aus dem Weg geschafft hatten, spurtete ich auf die Straße, aber es war zu spät. In letzter Verzweiflung zog ich meine Schuhe aus und rannte barfuß die Straße entlang, doch von unserem Jaguar war nichts mehr zu sehen. Außer Atem suchte ich in meinem Adressbuch Achims Nummer. Es tutete und tutete ... Entweder hörte Achim sein Handy nicht oder ging absichtlich nicht ran. Ein weiterer Anruf mit unterdrückter Nummer hätte Klarheit gebracht, aber so tief war ich noch nicht gesunken.
Na schön, dachte ich und ging langsam zurück zum Haus, das war`s. Ich werde nicht zurücklaufen und meinen Dad anbetteln, mir zu verzeihen. Diese Genugtuung gönne ich ihm nicht. Wenn er Krieg will, kann er ihn haben.
Zurück in meiner Wohnung kümmerte ich mich als Erstes um den Strom. Nach einer halben Stunde in der Warteschleife des Anbieters versicherte mir eine Mitarbeiterin, sie würde den Strom sofort freischalten lassen, sobald ich meine Kontodaten angegeben hätte. Nach diesem Telefonat machte ich mich auf die Suche nach einem Supermarkt. Zu Fuß natürlich. In meinen schönen hochhackigen Sandalen und dem mittlerweile durchgeschwitzten Kleid. Normalerweise hätte ich mir einfach etwas zu Essen bestellt, doch mit so gut wie nichts im Geldbeutel wäre das peinlich geworden.
„Du kannst doch nicht mal ein Ei kochen.“
Pah, das werden wir noch sehen, dachte ich trotzig und schlenderte durch die Gänge des Supermarktes. Ich war erstaunt, wie günstig alles war. Eine Packung Tiefkühlgarnelen kostete gerade mal fünf Euro. Da fragte ich mich, warum Restaurants für einen winzigen Krabbencocktail das Dreifache verlangten. Leider hatte ich keine Ahnung, wie man Garnelen zubereitete, also schnappte ich mir stattdessen eine Packung Räucherlachs und Toast. Das würde für ... gerade mal für einen Abend reichen. Scheiße. Damit hatte ich noch kein Mittagessen, kein Frühstück für die nächsten Tage, und der einzig akzeptable Sekt kostete zehn Euro die Flasche. Eigentlich spottbillig, aber für meine momentanen Verhältnisse zu teuer und bestimmt nicht genießbar. In der Nähe der Kasse entdeckte ich schließlich ein paar rettende Sonderangebote. Diese Dosenravioli waren ja spottbillig! Und das Beste daran: man musste sie nur öffnen und in einem Topf oder der Mikrowelle warm machen. Damit hätte ich eine komplette Mahlzeit für nur 1,35 Euro. Ich überschlug kurz im Kopf, dass mich mein Mittagessen damit im Monat nur etwa vierzig Euro kosten würde. Dann bliebe noch genügend Geld übrig für ein paar Taxifahrten und Kaffeetrinken. Ich lud zehn Dosen in den Einkaufswagen, entschied mich für einen guten Sekt und legte noch zwei weitere Packungen Räucherlachs hinzu.
Wenn ich mir gemerkt hätte, wie weit es von dem Mietshaus bis hierher war, hätte ich nur eine der riesigen Dosen mitgenommen. Der Weg zurück kam mir mit den schweren Einkaufstüten ewig vor. Dazu kam noch, dass sich an meinen armen Füßen Blasen gebildet hatten und ich kaum mehr laufen konnte. Wenigstens musste ich in dieser Gegend nicht befürchten, dass mir jemand aus meinem Freundeskreis über den Weg lief und mich in dieser Aufmachung sah. Dem heißen Nachbarn würde ich hoffentlich nicht gleich wieder im Hausflur begegnen. In diesem Zustand fühlte ich mich nämlich ganz und gar nicht sexy. Warum konnte ich so einen Typen nicht auf einer Party kennenlernen? Wenn ich mich gut fühlte und in Flirtstimmung war, und nicht mit Aldi-Tüten durch die Gegend humpelte.
„Hast du noch ein Bier, Kumpel?“
„Klar, ist im Kühlschrank. Bring mir auch eines mit!“
Alex lümmelte auf seiner neuen Couch und warf die Baseballkappe auf den Tisch. Sein Freund Marco kam mit einem Sixpack aus der Küche zurück und ließ sich ebenfalls auf die Couch fallen. Die beiden prosteten sich zu und tranken aus der Flasche.
„Das Teil wirkt in dieser Wohnung noch größer als vorhin im Hausflur“, stellte Marco nach einem kräftigen Schluck Bier fest.
„Bisschen wuchtig, stimmt. Aber man will es ja gemütlich haben.“
Dabei ging Alex im Moment etwas viel Interessanteres im Kopf herum als eine Couch. Lucille ... das also war das berüchtigte Glamourgirl. Er hatte sie schon auf Fotos gesehen, aber in Natur sah sie zehnmal besser aus. Sie besaß eine sinnliche Ausstrahlung, und unter ihrer Fassade aus Designerklamotten und dem perfekten Make-up brodelte Leidenschaft. Schade, dass sie so zickig war, aber vielleicht war das ganz gut so. Diese Frau war eine Nummer zu groß für ihn, da brauchte er sich nichts vorzumachen.
„Deine neue Nachbarin“, sagte Marco und stellte die leere Flasche auf den Tisch.
„Ich weiß“, bestätigte Alex.
„Ganz schön heiß, aber eine Kratzbürste vom Feinsten.“
„Vielleicht war sie nur gestresst. Wäre ich auch, wenn ich eine Millionärstochter wäre und dann hier wohnen müsste.“
Marco prustete los. Dabei verschluckte er sich und spuckte das Bier über den Tisch.
„He, mach nicht gleich so eine Sauerei hier. Ich bin gerade erst eingezogen. Wenn hier jemand Dreck macht, dann bin ich das.“
„Sorry, aber hast du tatsächlich gesagt, wenn du eine Millionärstochter wärst?“
Alex boxte ihm lachend auf den Arm. „Du weißt, wie ich es gemeint habe. An ihrer Stelle würd ich sofort wieder von hier verschwinden.“
„Wie lange willst du eigentlich hier bleiben?“, fragte Marco und sah sich um.
Alex zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich so lange, bis die Sache erledigt ist. Das kann schon morgen sein oder erst in ein paar Wochen, wenn ich Pech habe.“
Dabei war er sich nicht sicher, ob er so schnell wieder hier weg wollte. Mit dieser Lucille in der Nähe könnte seine Aufgabe hier sehr reizvoll werden ... oder ihn den letzten Nerv kosten.
„Was geht denn heute Abend noch?“, fragte Marco nach einer längeren Pause.
„Ich glaub, nichts Großartiges. Ich bin ganz schön kaputt und brauch eine Dusche, danach wollt ich es mir gemütlich machen.“
„Und mal nach der Nachbarin sehen, was? Na, dann verzieh ich mich mal. Und wenn dir die Kleine zu anstrengend ist, kann ich sie gerne für dich übernehmen.“
„Vergiss es, Marco. Die schwebt ein paar Meter über uns, bei so einer Frau haben wir keine Chance. Außerdem sollt ich die Finger von ihr lassen.“
„Ach ja, wegen deinem Job. Na dann, viel Spaß“, sagte er grinsend und erhob sich schwerfällig.
„Du hältst aber die Klappe!?“, rief ihm Alex hinterher.